14.07.2022
Ökumenische Morgenandacht im Thüringer Landtag am 14.7.2022

Ökumenische Morgenandacht im Thüringer Landtag am Donnerstag, den 14. 7. 2022 um 08.30 Uhr im Raum der Stille des Thüringer Landtags

Predigt zu Röm 11, 32-36 

32 Gott hat alle eingeschlossen in den Ungehorsam, damit er sich aller erbarme.

33 O welch eine Tiefe des Reichtums, beides, der Weisheit und der Erkenntnis Gottes! Wie unbegreiflich sind seine Gerichte und unerforschlich seine Wege!

34 Denn »wer hat des Herrn Sinn erkannt, oder wer ist sein Ratgeber gewesen«? 

35 Oder »wer hat ihm etwas zuvor gegeben, dass Gott es ihm zurückgeben müsste?«

36 Denn von ihm und durch ihn und zu ihm sind alle Dinge.

Ihm sei Ehre in Ewigkeit!

Liebe Landtagsgemeinde,

Groß ist das Geheimnis des Glaubens.

Was wir gerade in der biblischen Lesung gehört haben, ist bei Paulus das hymnische Finale eines längeren Abschnittes in den Kapiteln 9 bis 11 des Römerbriefs.

Drei Kapitel lang bewegt der Apostel eine Frage, die ihn sein Leben lang umtrieb:

Wie kann es sein, dass so viele Angehörige des Volkes Israel den Christus, Jesus von Nazareth, nicht anerkennen als ihren König und Erlöser?

Jesus, der heilte, der das Wort Gottes in großer Vollmacht lehrte?

Wie kann es sein, dass das Evangelium von Jesus Christus beim Volk Gottes selbst auf solche Widerstände stößt?!

Widerstand wohlgemerkt nicht bei den Heiden – denen würde man ja viel Schlechtes zutrauen – sondern bei den eigenen Leuten?!

Wie kann es sein, dass sogar so viele sogenannte „Heiden“ zum Glauben an diesen Jesus Christus kommen – und so viele Juden, die schon zum Gottesvolk gehören, lehnen ihn momentan ab?!

Bemerkenswert ist, dass der Apostel im Laufe seines Lebens beim Ringen mit dieser Frage eine Entwicklung durchgemacht hat.

Im 1. Thessalonicherbrief, dem historisch ältesten der uns erhaltenen Paulusbriefe ist Paulus der Meinung, dass der Unglaube der Juden ein Zeichen ihrer schlimmen Verstocktheit sei.

Dort fallen sehr harte Worte gegen die Juden.

Dieser Wutausbruch des Paulus im 1. Thessalonicherbrief hat eine schlimme Wirkungsgeschichte entfaltet, hat mit beigetragen zu einem brutalen christlichen Antijudaismus über viele Jahrhunderte hinweg.

Hier, im Römerbrief, etwa sechs Jahre nach Abfassung des 1. Thessalonicherbriefes, äußert sich der Apostel wesentlich behutsamer.

Leider hat die christliche Kirche den israelfreundlichen Aussagen im Römerbrief längst nicht die Beachtung geschenkt, die ihnen gebührt hätte. Erst nach den Verbrechen der systematischen Judenvernichtung während der Nazidiktatur hat ein Umdenken stattgefunden.

Die Härte der Frage blieb allerdings für Paulus auch im Römerbrief bestehen – auch wenn seine Antwort hier wesentlich differenzierter ausfiel. Die Härte der Frage blieb bestehen:

Ja, weshalb glauben so viele nicht an Jesus, den Christus, die doch zum Volk Gottes gehören,

die regelmäßig Gottesdienste feiern,

die Heilige Schrift in- und auswendig kennen,

die Feiertage begehen,

ihre Kinder religiös erziehen?

Und weshalb kommen so viele Heiden zum Glauben – obwohl die bisher von Heiliger Schrift, Feiertagen und dem einen Schöpfer-Gott so gut wie gar nichts wussten – während die eigenen Leute wie mit Blindheit geschlagen erscheinen??!! 

Die Antwort, die Paulus im Römerbrief gibt, lässt sich vielleicht so zusammenfassen:

Dass die Einen glauben und die Anderen nicht, ist nur eine aktuelle Momentaufnahme.

Diejenigen, die jetzt glauben, mögen sich bitte nicht einbilden, dass dies ihr Verdienst sei und es irgendeinen Grund gibt, auf die momentan Ungläubigen arrogant herabzublicken.

Und diejenigen, die momentan nicht glauben, sind von Gott nicht verworfen.

Seine Geduld und seine Verheißung für sein Volk Israel zuerst und für alle Menschen ist größer als jede noch so große menschliche Blindheit, Verstocktheit und Sünde.

Den Spitzensatz dieser Zusammenfassung haben wir vorhin aus dem Bibeltext gehört:

Gott hat alle – Juden und Heiden - eingeschlossen in den Ungehorsam, damit er sich aller erbarme.

Groß ist das Geheimnis des Glaubens.

Liebe Gemeinde,

mich beeindruckt diese Argumentation und ich möchte mit Ihnen noch einen Moment darüber nachdenken, was wir heute damit anfangen können.

Auf Ihrem Liedblättchen finden Sie ein Gedicht des polnischen Lyrikers Jan Twardowski.[1] 

Bestreut die Religion nicht mit Zucker,

radiert an ihr nicht mit dem Gummi,

kleidet nicht in rosarote Lumpen die Engel,

die übers Schlachtfeld flattern,

verweist die Gläubigen

nicht an die Zimbeln der Kommentare –

Ich komme ja nicht um Trost zu betteln,

wie um einen Teller Suppe –

Ich möchte nur endlich mein Haupt aufstützen

Auf den Stein des Glaubens.[2]

Groß ist das Geheimnis des Glaubens.

In ihm geht es nicht um Zucker,

nicht um ein zur Not auch entbehrliches Sahnehäubchen,

nicht um billigen Trost, mit dem man schnell abgespeist wird wie mit einem Teller Suppe.

Groß ist das Geheimnis des Glaubens.  

In IHM geht es immer um echte Fragen, die Menschen umtreiben, manchmal so, dass wir es kaum aushalten können.

Echte Fragen, die wir Gott hinhalten.

Echte Fragen, die uns lange beschäftigen werden.

Echte Fragen, bei denen auch wir im Laufe unseres Lebens eine Entwicklung durchmachen – so wie Paulus mit seiner echten Frage im Laufe seines Lebens eine Entwicklung durchgemacht hat.

- Was hat Gott damit zu tun, dass eine Pandemie die Menschheit jetzt schon über zwei Jahre im Griff hält? Eine Seuche mit Auf und Abs, mit Lockerungen und Verschärfungen, mit immer neuen Rückschlägen, mit sozialer Einsamkeit, mit gigantischen Bildungsdefiziten bei Kindern und Heranwachsenden?! 

- Wie bringen wir es mit unserem Glauben an Gott überein, wenn – eigentlich unvorstellbar – in Europa ein brutaler Eroberungskrieg geführt wird und auch bei uns in dessen Folge soziale Verwerfungen zu befürchten sind? 

 

- Wie kann ich ganz persönlich den Blick auf meinen Lebensweg zusammenbringen mit dem Glauben an einen gütigen Gott – z. B. wenn ich in einer Diktatur aufwachsen musste und mir als Christ bestimmte Berufswege und Entwicklungschancen von vornherein verwehrt waren? 

Das sind drei der Fragen, die uns heute umtreiben.

Andere Fragen als die, die Paulus damals zerriss – doch sie sind nicht weniger heftig, manchmal so, dass wir es kaum aushalten können.

Dass der Dichter von einem „Stein des Glaubens“ spricht, ist für mich ein Zeichen dafür, dass es beim Geheimnis des Glaubens nie um etwas Folkloristisch-Harmloses geht.

Kein Seelen-Kitsch für besondere Stunden im Leben, sondern immer für Fragen, bei denen viel auf dem Spiel steht.

Kein kitschiges Rosarot für irgendwelche Engel – und schon gar nicht für Engel auf dem Schlachtfeld, die dem Wahnsinn auch noch eine religiöse Pseudobegründung liefern sollen.  

Paulus hält Gott seine brennende Frage hin, die ihn fast zerreißt.  Er bekommt im Laufe seine Betens, Ringens und Nachdenkens eine Antwort, die ihm nicht alles erschöpfend erklärt –

und die doch so ist, dass er mit seinem wundgescheuerten Herzen weiterleben, weiterlieben, weiterhoffen kann. 

Gott hat alle eingeschlossen in den Ungehorsam, damit er sich aller erbarme

Auch wir dürfen Gott unsere heute brennenden Fragen hinhalten.

Auch wir werden Antworten erhalten, die nicht alles erschöpfend erklären und die zugleich dem Herzen und dem Kopf Halt bieten auf dem Stein des Glaubens.

Eine Zuckergusstorte des Glaubens gibt es nicht.

Beim vorsichtigen Tasten hin zu Antworten zu unseren Fragen bietet der Satz des Paulus durchaus eine Spur:

„Gott hat alle eingeschlossen in den Ungehorsam.“

Das ist ein sehr harter Satz.

Für unsere Fragen heute durchdacht, würde er ja bedeuten:

Gott hat das Virus zugelassen … mit einer bestimmten Absicht.

Vielleicht um uns ins Nachdenken zu bringen über die Verrücktheit unserer menschlich-modernen Allmachtsphantasien?

Vielleicht um uns zu zeigen, dass wir mitnichten alles im Griff haben mit unserer Forschung und Technik?

Damit wir den Weg zurück finden zu einer demütigen Ehrfurcht vor Kräften, die größer sind als wir?!

„Gott hat alle eingeschlossen in den Ungehorsam.“

Das ist ein harter Satz.

Doch weil Paulus fortfährt: „… damit er sich aller erbarme.“ ziehe ich aus diesem Satz auch Hoffnung …

- für das, was wir aus dem Umgang mit der Pandemie lernen können

- für das, was vor allem die Menschen in der Ukraine jetzt unter großen Opfern leisten

- und auch für das, was wir hier in Deutschland täglich durchzuarbeiten haben für die Aufarbeitung unserer eigenen totalitären und autokratischen Vergangenheit, für eine wahrhaft plurale und demokratische, barmherzige, lernfähige und in alle Richtungen toleranzsensible Gesellschaft …

„Damit ER sich aller erbarme.“

Was für ein Satz!  

Fürs Umgehen mit unseren echten Fragen wird uns kein religiöser Kitsch, kein Sahnehäubchen, keine rosarote Zuckerguss-Torte helfen.  

Ein Stein des Glaubens dagegen sehr wohl – so dass wir weiterleben, weiterlieben und weiterhoffen können.  

Amen.

 

[1] * 1. Juni 1915 in Warschau; † 18. Januar 2006 ebenda) war ein polnischer Lyriker, Religionspädagoge und katholischer Priester.

[2] abgedruckt im EG, Regionalteil Bayern / Thüringen bei EG 636.


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