31.03.2024
Predigt Ostern 2024 zu 1 Sam 2,1-8a RBin, Regionalbischöfin Dr. Friederike Spengler

Predigt Ostern 2024 zu 1 Sam 2,1-8a RBin, Regionalbischöfin Dr. Friederike Spengler

1 Sam 2,1-8a: Und Hanna betete und sprach: Mein Herz ist fröhlich in dem Herrn, mein Haupt ist erhöht in dem Herrn. Mein Mund hat sich weit aufgetan wider meine Feinde, denn ich freue mich deines Heils. Es ist niemand heilig wie der Herr, außer dir ist keiner und ist kein Fels wie unser Gott ist. … Der Herr tötet und macht lebendig, führt hinab zu den Toten und wieder herauf. Der Herr macht arm und macht reich, er erniedrigt und erhöht. Er hebt auf den Dürftigen aus dem Staub Und erhöht den Armen aus der Asche, dass er ihn setze unter Fürsten und den Thron der Ehre erben lasse.

Liebe Gemeinde,

sie hatte wohl mit Vielem gerechnet, aber damit nicht: Dass sie einmal ein Kind in den Armen halten würde! Ein Kind, in ihr herangewachsen und von ihr entbunden. Ein Kind, welches sie drei Jahre lang geduldig und liebevoll stillen würde. Ein Kind, pulsierend vor Leben und ein Bollwerk Gottes gegen alle Feinde, denn wenn Samuel schrie, dann schrie er aus Leibeskräften! Mit so viel Power konnte Gott wahrhaftig einen ganzen Schutzwall aufrichten. Nach wie vor aber musste Hanna jeden Morgen nachschauen, dass sie sich auch nicht getäuscht, alles vielleicht nur erträumt hatte: doch, tatsächlich, da war es, ihr Kind! Jahrelang war ihr Herz schwer vor Trauer gewesen. Unfruchtbar, wie sie war. Und das war etwas Ungeheuerliches für die Gesellschaft, in der Hanna lebte: Jeder, der sie kannte, hatte bei der Nennung ihres Namens dazugefügt: die Unfruchtbare. Als wäre das ihr Zweitname, so wie ich Franziska heiße und du vielleicht Dieter, hieß man sie: Hanna, die Unfruchtbare. Gott sei Dank hat Hanna einen Mann, der sie liebt. Und bei ihr blieb. Keine Selbstverständlichkeit, damals nicht und heute auch nicht, Gott sei`s geklagt! Aber alle beide können Gottes Entscheidung über sie und ihre Zukunft nicht verstehen. Diese Demütigungen, die sie erleiden müssen! Bis zu dem Tag, an dem Hanna es nicht mehr hinnehmen will, die „Unfruchtbare“ zu bleiben. Sie geht und schüttet all ihren Kummer, die Wut, die Enttäuschung, die vielen hoffnungsvollen und die ihre Hoffnung verratenen Augenblicke und Situationen aus. Sie klagt Gott ihren Tod. Geradewegs ins Herz. So heiß sind ihre Tränen.

Wenn ich mir Hannas Gebet vorstelle, sehe ich eine energiegeladene Frau vor mir. Alles bricht aus ihr heraus. Gott musste sich wohl ganz schön was anhören… Sie schont sich selbst nicht und sie schont Gott nicht. Ihr Vertrauen ist trotzig und stark, sie kämpft wie eine Löwin, die weiß, dass sie nichts zu verlieren hat.

Das Lied der Hanna, welches wir heute Morgen als Osterlied hören, dieses Lied gehört in die jüdische Liturgie am Neujahrstag. Die Aufgabe an diesem Tag besteht darin, die eigenen Lebensträume und -pläne dahingehend zu durchforsten, was man selbst dazu tun muss, dass diese aufgehen. Gott danach zu befragen. Also, ab ins Gebet! So wie Hanna. Und indem sie alles vor Gott ausschüttet, ihm sich offenbart, handelt er an ihr. Das Wunder geschieht. Das Wunder wird aus ihr heraus geboren.

„Und jetzt singt sie“, könntet Ihr denken, liebe Gemeinde. „Mein Herz ist fröhlich in Gott, mein Haupt erhöht in dem Herrn…“ So, wie später Maria, als sie ihr Ja ihrem Weg, Mutter Jesu zu werden, gefunden hat. Aber, so kommt es nicht! Hannas Geschichte geht anders, überraschend anders. Denn sie hat sich mit einem Gelübde an Gott gebunden. Sie versprach im Gebet Gott im Tempel, den erhofften Sohn schon im Kindesalter zurückzubringen. Und so hält man den Atem an, als es heißt, dass Hanna wirklich und wahr schwanger wird und einen Samuel zur Welt bringt. Und Hanna achtete auf ihn wie auf ihren Augapfel und als er abgestillt war, bringt sie ihn zu dem Gott hin, von dem sie ihn erbeten hatte. Sie steht zu ihrem Versprechen, Samuel soll zum Priester erzogen werden. Und als sie ihn am Tempel in gute Hände gegeben hat – sicher mit schwerem, ach wie schwerem Herzen und tränennassen Augen – singt sie dieses Lied.

Hanna singt ein Lied davon, dass Gott hinter den Kulissen wirkt. Hannas Lied handelt davon, wie Gott hinter den Kulissen wirkt. Hannas Lied bezeugt die ganze Ambivalenz, mit der auch wir glauben: „Der HERR tötet und macht lebendig, führt hinab zu den Toten und wieder herauf. Der Herr macht arm und macht reich, er erniedrigt und erhöht. Er erhebt den Dürftigen aus dem Staub und den Armen aus der Asche setzte er unter Fürsten auf den Ehrenthron.“ 

Was für ein Gott, der beides tut: der zu den Toten führt und wieder ans Leben bringt. Was für ein Gott, der selbst dort HERR der Welt ist, wo alles nur aussichtslos und furchtbar und zum Weglaufen (aber wohin denn?) ist. Hanna hält aus, dass sich Gott ganz und gar zeigt. Von allen Seiten, mit allem, was durch ihn wunderbar und herrlich und alles, was an ihm verstörend und abweisend ist. Sie wagt es, Gott nicht nur vom Hörensagen zu trauen, sondern sieht ihn ganz, sieht ihn, wie von Angesicht zu Angesicht. Hanna ist der Gotteserkenntnis näher als die Geschichte ahnen lässt. Indem sie sich Gott offenbart, wird ihr Gott offenbar.

Und so kann Hanna ihren Samuel dem Gottes-Dienst anvertrauen. Aus dieser Haltung Gott gegenüber, fällt sie auch nicht in ihre Trauer zurück. Im Gegenteil. Der eine Moment des Angesehen-Werdens eröffnet ihr ein Tieferes: Lebensfreude! Freude, die in diesem Moment des Glücks entsteht und sie ganz und gar erfüllt. Tief und echt „Mein Herz ist fröhlich in dem Herrn. Mein Haupt ist erhöht.“ Sie lebt jetzt das Leben eines Menschen, der sich von Gott gesehen weiß.

„Der Herr tötet und macht lebendig, führt hinab zu den Toten und wieder herauf.“ Auferstehung. „Wahrhaftig auferstanden“, rufen wir. Und im Lied wird es dann heißen „Der schöne Ostertag! Ihr Menschen kommt ins Helle. Christ, der begraben lag, brach heut aus seiner Zelle!“  Oh, das klingt weit überzeugter als das, was wir im Osterevangeliums eben hörten! Von Trauer, Zittern und Entsetzen ist da die Rede. Und dass die Frauen sich fürchteten. Als wäre es damit nicht endlich genug. Die Bilder der letzten Tage immer vor Augen, sind die Jüngerinnen ans Grab gekommen, um dem Gekreuzigten eine letzte Ehre zu erweisen. Kostbare Öle als Zeichen der Erinnerung an die gemeinsame Geschichte – in Jerusalem.

Heute liegen Blumen, Steine, Fotos und Kerzen als Symbole der Erinnerung im Kibbuz Be’eri und Re’im. Fotos halten gegen den Krieg protestierende Frauen und Kinder in Gaza in die Kameras. Kerzen und Blumen stellen mutige Frauen in Russland an die Soldatenfriedhöfe und fordern Putin zur Entlassung ihrer Söhne, Brüder und Männer aus dem Kriegsdienst gegen die Ukraine auf. Kerzen und Blumen flackern in Kiew und in Moskau. Getötete Familienmitglieder werden von palästinensischen und von jüdischen Angehörigen beweint. Und für die vielen zigtausenden Vermissten auf den Wegen in sichere Staaten gibt es noch nicht einmal Orte der Trauer. Kein Grab. Nicht einmal ein volles, geschweige denn, ein leeres.

Ostern 2024. Und wieder wissen oder ahnen wir, dass Menschen zutiefst verstört vor den Auswirkungen des Todes stehen. Wie sollen sie denn, zutiefst verletzt in ihrer Seele hören können, was der Engel Gutes, Heilvolles, Tröstendes sagt. „Er ist auferstanden! Christus ist unter uns.“ Mit allem rechnen sie im Moment, nur nicht mit dem Leben!

„Und sie gingen hinaus und flohen von dem Grab; denn Zittern und Entsetzen hatte sie ergriffen. Und sie sagten niemand etwas; denn sie fürchteten sich.“ 

Liebe Ostergemeinde, ich bestaune diese Ehrlichkeit. Ich verbeuge mich vor dem Mut, diese Texte bei der Aufnahme in die Bibel, wie wir sie kennen, nicht auszusortieren. Dieser Mut macht Ehrlichkeit möglich: Jene Ehrlichkeit, nicht glauben, oder besser: doch nur zaghaft glauben zu können, was im Grenzbereich des Todes und des Lebens passiert. Eine Ehrlichkeit, die bei der Geburt eines Menschen ebenso im Raume steht, wie am Sterbebett. Gerade, an den Grenzen des Lebens, werden wir aller Lebenslügen und Selbstvertröstungen beraubt. Was bleibt, ist die nackte Sehnsucht danach, vorbehaltlos gesehen, geliebt und getragen zu sein. Und das alles waren, sind und werden wir von dem Gott, dem HERRN, der - wie Hanna betet - auch „dein Haupt hebt“ und dich deiner Würde vergewissert.

Ostern braucht Ehrlichkeit. Auf dem Weg zum Grab muss ausgesprochen werden, was fassungslos macht und Angst. Für uns persönlich und beim Blick auf unsere Welt. Skandalös viele Menschen verlieren täglich ihr Leben durch Hunger, werden Opfer von Gewalt, die des Todes ist. Gewalt, die auch subtil ausgeübt wird etwa durch Hass und Hetze im Netz und auf der Straße. An die Auferstehung glauben heißt, vorbehaltlos auch gegen solche Formen von Gewalt aufzustehen: für die Bedürftigen, die Armen in Staub und Asche, wie Hanna sie nennt. Wahre Osterfreude ist eine, die den Tiefgang kennt und Anteil nimmt am Schmerz des Nächsten.

Hanna bekennt es so: Gott führt hinab zu den Toten. Aber er führt auch wieder herauf. Gott will nicht ohne uns sein. Deshalb: Er ist auferstanden – und mit ihm auch wir. Gegen Tod und Verderben – aufstehen! Gegen Intoleranz und Menschenverachtung – aufstehen! Gegen jedes entmutigte „Da kann ich ja doch nichts machen!“ – aufstehen. Denn: Christus ist auferstanden. Er ist wahrhaftig auferstanden, Halleluja, Amen.


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