Anmerkungen der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM) zum Filmbeitrag „Ewige Schulden“ 
(ausgestrahlt am 18.02.2019, 23.40 Uhr in der ARD)
In der Mediathek verfügbar unter: https://www.daserste.de/information/reportage-dokumentation/dokus/sendung/ewige-schulden-100.html

 

Wir begrüßen, dass sich MDR und NDR in einer Gemeinschaftsproduktion im Jahr 2019 der Frage stellen, wie sich die Vereinigung der Gliedkirchen der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) nach der Wiedervereinigung auf das Leben in den Kirchen der neuen Bundesländer ausgewirkt hat. Es ist von einer solchen Film-Dokumentation zu erwarten, dass sie durch Darstellung verschiedener Positionen aus Kirche und Gesellschaft einen fruchtbaren Gesprächsprozess anregt und unterschiedliche Gesprächsprozesse zusammenführt. Bedauerlicherweise leistet das der entstandene „Meinungsfilm“ nur sehr eingeschränkt. 

Der erste Teil des Films versucht die unterschiedlichen Prägungen der evangelischen Kirche Ost im Vergleich zur evangelischen Kirche West zu beschreiben. Dabei unterliegt der Beitrag schon im Eingang einer verengten Perspektive. Die Gemeindekirche Ost wird der mit dem Staat verbandelte Institutionskirche West gegenüber gestellt. Übersehen wird dabei:  Eine den Menschen nahe Gemeindekirche kann ohne das Fundament  einer institutionellen Struktur nur sehr eingeschränkt gelebt werden.

Im Fortgang fokussiert der Film diese Verkürzung auf die Finanzierung der Landeskirchen und nimmt insbesondere die Staatsleistungen in den Blick. Die Frage nach Entstehung und Charakter der Staatsleistungen wird im Film angemessen und anschaulich vor Augen geführt. An dieser Stelle wird der Beitrag dem Format einer sachlichen Dokumentation gerecht.

Gleichzeitig fällt bei den Einspielungen von offenbar älterem Interview-Material mit in der Wendezeit aktiven Kirchenvertretern auf, dass diese Gespräche mit der Frage nach Staatsleistungen gar nichts zu tun haben. Es wird deutlich, dass die Fragestellung nach einem angemessenen Kirche-Sein auf die Frage nach der Finanzierung von Kirche insbesondere im Blick auf die Staatsleistungen verengt wird. 

In unsachlicher Weise werden die verschiedenen Finanzierungsinstrumente von Kirche, wie Staatsleistungen, Kirchensteuern und Spenden sowie Kollekten miteinander in einen Topf geworfen und nicht hinreichend differenziert. 

Offenbar lebt der Film von einer unausgesprochenen Grundannahme: Eine arme Kirche ist bei den Menschen. Dagegen strebt die mit staatlichen Verantwortungsträgern in Kontakt stehende Kirche nach unzulässiger Einflussnahme (Lobby) und ihr längst nicht mehr zustehenden Finanzprivilegien und verliert so ihre Mitglieder.  

Eine regelrechte Falschaussage ist der erhobene Vorwurf der Intransparenz kirchlicher Finanzen. Landeskirchliche Haushalte sind öffentlich zugänglich und für jedermann im Internet einsehbar. Auch die Haushaltsberatungen in den Landessynoden sind öffentlich. Ebenso ist der Vorwurf der mangelnden Prüfbarkeit der Verwendung kirchlicher Mittel unredlich. Die Kirchen verfügen als Körperschaften des öffentlichen Rechts über unabhängig von der kirchlichen Verwaltung agierende Prüfinstitutionen. Diese kirchlichen Rechnungsprüfungsämter sind vergleichbar mit den Landesrechnungshöfen der Länder. 

Die im Film aufgeworfene Frage nach Möglichkeiten zur Beendigung der Staatsleistungen differenziert nicht hinreichend das grundgesetzliche Gebot der Ablösung dieser Leistungen oder einer Beendigung der Zahlungen. Letztere käme einer Enteignung gleich. 

Die Kirchen haben mehrfach signalisiert, dass sie sich Gesprächen über eine Ablösung der Staatsleistungen nicht verschließen. Das grundgesetzliche Gebot der Ablösung der Staatsleistungen richtet sich an den staatlichen Gesetzgeber, nicht an die Kirchen. Die im Film angedeuteten Erwartungen, dass die Kirchen selbständig auf die Staatsleistungen oder Teile verzichten könnten, ist vor der im Film gut erklärten Herleitung der Staatsleistungen abwegig. 

Der letzte Teil des Beitrags wendet sich der Frage zu, wie Kirche unter den Bedingungen des 21. Jahrhunderts im Osten nah bei den Menschen sein kann. Mit dem Beispiel der Luthergemeinde in Zwickau wird deutlich, dass Kirche auch heute im Osten nach Wegen sucht,  als Kirche für und mit Anderen nahe bei den Menschen zu sein. Die Frage nach der Verallgemeinerbarkeit derartiger Formen von Gemeindeleben im Osten Deutschlands wird im Film bedauerlicherweise nicht gestellt. Damit übersehen die Filmemacher die vielfältigen interessanten und mutigen Erprobungsfelder insbesondere in den Ostkirchen, unter dem Dach der Institution Kirche den Menschen in ganz unterschiedlichen Formen zu begegnen. 

Zudem wird ausgeblendet, dass Kirche in Mitteldeutschland weitgehend eine durch Ehrenamtliche getragene Kirche ist. Dies zeigt sich zum Beispiel schon an der hohen Zahl von über 14.000 Männern und Frauen, die die Gemeinden vor Ort leiten. 

Die letzten Szenen des Filmes mit einem Beispiel lebendigen Gemeindelebens geben Anlass zur Hoffnung, dass trotz der unübersehbaren Einseitigkeiten, in die der Film gerät, er zu einem Gespräch darüber anregt, was Kirche braucht, um nahe bei den Menschen und mitten in der Gesellschaft ihren Beitrag zu leisten.


Fragen an Oberkirchenrat Stefan Große, Finanzdezernent der EKM

Was sind Staatsleistungen?
Staatsleistungen sind Gelder, die von den Bundesländern an die Landeskirchen gezahlt werden. Sie haben ihre historische Grundlage darin, dass kirchliche Vermögensgegenstände im Jahre 1803 im Rahmen des sogenannten "Reichsdeputationshauptschlusses" und schon weit davor dauerhaft in das Staatsvermögen eingezogen wurden. Damit übernahmen die Landesherren zugleich die Verpflichtung, die Besoldung und Versorgung der Pfarrer sicherzustellen. Das war nötig, weil der Kirche auf Dauer die wirtschaftliche Grundlage für die Deckung ihres Bedarfs entzogen war. Vereinfacht betrachtet handelt es sich  um eine Art von Pachtersatzleistungen. Der Staat übernahm kirchliches Eigentum. Damit war die Kirche nicht mehr in der Lage, sich aufgrund der Pachterlöse von diesem Land zu finanzieren. Deshalb erfüllt  damit der Staat eine Rechtsverpflichtung gegenüber der Kirche. Das haben die Weimarer Reichsverfassung und später das Grundgesetz so übernommen.

Liegt das nicht lange zurück und ist überholt?
In den frühen 1990er-Jahren wurden in den neuen Bundesländern in den Staatskirchenverträgen u. a. die Staatsleistungen neu verhandelt und durch Landesgesetze in Kraft gesetzt. Im Rahmen dieser Verhandlungen haben sich Kirche und Staat neu verständigt und sich dabei in durchaus harten Verhandlungen aufeinander zu bewegt. Das ging natürlich nicht ohne Zugeständnisse auf beiden Seiten. Die getroffenen Regelungen haben bereits ablösenden Charakter, denn sie beinhalten, dass die Staatsleistungen anstelle aller anderen auf älteren Rechtstiteln beruhenden Zahlungen geleistet werden. Staatsleistungen sind kein alter Zopf. Nein, in den neuen Ländern liegen ihnen moderne Verträge zu Grunde – und Verträge sind zu erfüllen. Wir leben in einem Rechtsstaat. Natürlich würden wir uns Ablöseverhandlungen nicht verschließen. Der Bundesgesetzgeber ist nach Artikel 140 Grundgesetz der eigentliche Verpflichtete für ein Ablösegrundsätze-Gesetz. Dabei muss der Wertersatz für die Kirche gewährleistet sein, alles andere wäre eine Enteignung. Es sollte einen länderübergreifenden einheitlichen Maßstab geben, mit dem klar ist, wie die Staatsleistungen abgelöst werden und dass keine Enteignung stattfindet.

Warum zieht der Staat die Kirchensteuern ein?
Die Kirchensteuer wird oft herangezogen, um eine zu enge Verflechtung zwischen Staat und Kirche in Deutschland zu belegen. Im Kern ist die Kirchensteuer das Gegenteil. Sie löste die direkte Staatsfinanzierung ab und ist im Grunde nichts anderes als ein Mitgliedsbeitrag, den der Staat im Auftrag der Kirche erhebt. Für diese Dienstleistung bekommt der Staat von der Kirche drei Prozent des Kirchensteueraufkommens. 

Welche Gelder bekommen Kirchen noch vom Staat?
Das sind zum einen öffentliche Mittel, die der Staat als Kostenerstattung an freie Träger der Wohlfahrtspflege zahlt, etwa dafür, dass sie Kindergärten, Pflegeheime oder Krankenhäuser betreiben. Solche Gelder bekommen die AWO, das Rote Kreuz, die Volkssolidarität, die Waldorfschulen und eben auch die kirchlichen Träger wie Kirchengemeinden, Diakonie oder Caritas. Dies als besondere Unterstützung der Kirchen herauszustellen, ist falsch.
Schließlich zahlt der Staat für die Erfüllung staatlicher Aufgaben, sofern die Kirchen tätig werden. Dies betrifft den Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach, wenn kirchliche Leistungen aufgrund von Gestellungsverträgen abgerufen werden. Auch die Finanzierung der Seelsorge in staatlichen Einrichtungen wie die Gefängnisseelsorge oder die Militärseelsorge trägt der Staat, da der Staat nach dem Grundgesetz gehalten ist, die Religionsfreiheit der Bürgerinnen und Bürger zu gewährleisten.

Im Film werden auch Baulasten thematisiert. Wie verhält es sich damit?
Die Rechtsgrundlagen für kommunale Kirchbaulasten sind vielfältig. Oft sind sie eine Folge der Trennung von politischer und kirchlicher Gemeinden Mitte des 19. Jahrhunderts. Dabei wurde auch das Vermögen, oft Ländereien, aufgeteilt. In vielen Fällen waren die Kirchengemeinden dann nicht mehr oder kaum noch in der Lage, die Kirchen- und Pfarrgebäude zu erhalten. Mitunter besaßen Kirchengemeinden von Anfang an kein Vermögen zum Erhalt von Gebäuden, da dies mit dem Bau der Kirche in die Verantwortung der gesamten Einwohnerschaft eines Ortes gegeben worden war. Zum Ausgleich dafür übernahmen die politischen Gemeinden bauliche Unterhaltungspflichten – die kommunalen Kirchbaulasten. Kommunale Kirchbaulasten bestehen nicht nur in den neuen, sondern auch in den alten Bundesländern. Sie waren in einigen Fällen auch schon Gegenstand höchstrichterlicher Rechtsprechung und sind dort in ihrem Bestand auch im Lichte des Grundgesetzes grundsätzlich anerkannt.

Die EKM klagt beim Verwaltungsgericht um Ansprüche aus kommunalen Kirchbaulasten, warum?
Wir haben im Dezember 2014 Klage gegen die Gemeinde Hochheim (Landkreis Gotha) beim Verwaltungsgericht Weimar eingereicht, um Ansprüche aus einer kommunalen Kirchenbaulast gerichtlich klären zu lassen. Damit will die EKM grundsätzlich überprüfen lassen, ob die kommunalen Baulastansprüche der Kirchen in den östlichen Bundesländern trotz ablehnender Gerichtsentscheide aus den vergangenen Jahren dennoch weiterhin bestehen. Hintergrund ist ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes in Leipzig vom 11. Dezember 2008, nachdem vertragliche Baulastansprüche von Kirchengemeinden gegen Kommunen im Beitrittsgebiet mit der deutschen Einheit ‚untergegangen‘ seien. Dieses Urteil ist seinerzeit auf einen Einzelfall hin ergangen. Dies kann nicht auf die kommunalen Kirchenbaulasten insgesamt übertragen werden und ist auch mit den verfassungsmäßig geschützten Rechten der Kirchen nicht vereinbar. Für die Überprüfung gehen wir mit verschiedenen Fallkonstellationen den Klageweg, notfalls bis zum Bundesverfassungsgericht.
Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes zu den Baulasten kann aus unserer Sicht nicht das letzte Wort sein. Sollten die Baulastverpflichtungen auf den DDR-Staat übergegangen und die Kommunen von der Pflicht entbunden sein, müssen gegebenenfalls der Bund oder die Länder den Verpflichtungen nachkommen. Hierzu sind beispielsweise in Hessen vernünftige politische Lösungen gefunden worden, die als Modell dienen könnten. In Hessen sind die kommunalen Kirchenbaulasten durch die Kommunen, durch das Land Hessen und durch teilweisen Forderungsverzicht der Kirchen abgelöst worden.


Weiterführende Informationen zum Thema:

www.ekmd.de/kontakt/transparenzseite-der-ekm
www.kirchenfinanzen.de

Dokumente zum Download