27.01.2022
27. Januar: Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus

Bundespräsident: "Es gibt kein Recht auf Vergessen"

Oranienburg (epd). Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat zum Holocaust-Gedenktag an die Opfer des Nationalsozialismus erinnert und dazu aufgerufen, Antisemitismus, Rassismus und Diskriminierung entgegenzutreten. „Wir gedenken der Millionen von Menschen, die in Konzentrationslager verschleppt, gefoltert und dort ermordet worden sind“, sagte Steinmeier am Mittwoch bei einem Besuch der brandenburgischen KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen in Oranienburg: „Der Ort mahnt uns, es gibt kein Recht auf Vergessen.“

„Die Opfer haben ein Recht auf Erinnerung“, betonte der Bundespräsident. Die Verantwortung ende jedoch nicht mit dem Erinnern, sondern bedeute, allen Formen des Antisemitismus, des Rassismus und jeder Form von Diskriminierung entschieden entgegenzutreten. „Es gibt kein Ende der Verantwortung“, sagte Steinmeier: „Wir müssen die Verantwortung weitertragen.“ Es freue ihn deshalb auch, dass Umfragen zufolge die jüngere Generation wieder stärkeres Interesse an dem Thema zeige. Auch dafür seien die Gedenkstätten wichtig.

Der Bundespräsident besuchte die Gedenkstätte Sachsenhausen am Tag vor dem Holocaust-Gedenktag gemeinsam mit seiner Frau Elke Büdenbender und wurde dabei von Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke, Landtagspräsidentin Ulrike Liedtke, Kulturministerin Manja Schüle (alle SPD) und dem Direktor der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten, Axel Drecoll, begleitet. Nach einem rund anderthalbstündigen Rundgang durch die Gedenkstätte wurden zur Ehrung der Opfer des Nationalsozialismus drei Kränze am Gedenkort in der früheren Hinrichtungsstätte „Station Z“ niedergelegt.

In der Hinrichtungsstätte wurden unter anderem im Herbst 1941 innerhalb von zehn Wochen mehr als 10.000 sowjetische Kriegsgefangene in einer „Genickschuss-Baracke“ ermordet. Steinmeier betonte, an Orten wie Sachsenhausen sei es auch darum gegangen, den NS-Völkermord einzuüben. Zwischen 1936 und 1945 waren in dem Konzentrationslager mehr als 200.000 Menschen inhaftiert. Zehntausende von ihnen wurden ermordet oder kamen auf andere Weise ums Leben.

Das Erinnern an den Holocaust und die Auseinandersetzung damit sei „eine immerwährende Aufgabe“, betonte Woidke: „Wir müssen uns, wann immer es nötig ist, gegen Nationalsozialismus, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit wehren und diejenigen in die Schranken weisen, die Hass und Ausgrenzung säen.“ Erinnern heiße, die Opfer zu würdigen, ihr Leid wahrzunehmen und neuen Gräueltaten durch Aufklärung vorzubeugen, erklärte Liedtke: „Hass und Hetze dürfen nie wieder siegen über Menschenrechte und Toleranz.“ Es müsse auch gefragt werden, welche Folgen die NS-Erziehung weit über das Ende des Terrorregimes hinaus hatte, betonte Schüle: „Erst dann wird Aufarbeitung wahrhaftig.“

„Wir sind dankbar, dass der Bundespräsident anlässlich des Gedenktages für die Opfer des Nationalsozialismus diesen historischen Tatort der Verbrechen besucht hat“, betonte Drecoll. Die Gedenkstätten würden angesichts der „schwindenden Zeitzeugenschaft“ für nachfolgende Generationen immer wichtiger.

Zahlreiche Veranstaltungen zum Holocaust-Gedenktag

Berlin/Dresden (epd). Mit zahlreichen Veranstaltungen bundesweit wird am Donnerstag der Holocaust-Gedenktag begangen. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier wird gemeinsam mit dem Präsidenten der israelischen Knesset, Mickey Levy, im Stelenfeld des Denkmals für die ermordeten Juden Europas in Berlin Kränze niederlegen. Mit dabei sein werden Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), die Präsidenten von Bundesverfassungsgericht und Bundesrat, Stephan Harbarth und Bodo Ramelow (Linke), sowie Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD). Bereits am Mittwoch besuchte Steinmeier die brandenburgische KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen.

Im Bundestag werden am Donnerstag bei der traditionellen Gedenkstunde neben Bundestagspräsidentin Bas die Holocaust-Überlebende Inge Auerbacher und der Präsident der israelischen Parlaments, Levy, Ansprachen halten. Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) wird in Berlin Kränze an den Denkmälern für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas, für die Opfer der nationalsozialistischen „Euthanasie“-Morde und für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen niederlegen.

Anlässlich des Holocaust-Gedenktages findet überdies die bundesweite Aktion #LichterGegenDunkelheit statt, bei der Gedenk- und Bildungsstätten beleuchtet werden. Die Aktion will ein Zeichen gegen Rassismus und Antisemitismus setzen. Der Landesverband Deutscher Sinti und Roma Berlin Brandenburg wird in der Gedenkstätte des Zwangslagers in Berlin-Marzahn an die Opfer des Nationalsozialismus erinnern.

Der Zentralrat der Juden forderte anlässlich des Holocaust-Gedenktages die schnelle Verabschiedung eines Demokratiefördergesetzes. Dies sei nötig, um das zivilgesellschaftliche Engagement gegen Antisemitismus zu fördern, erklärte der Zentralrat in Berlin. Zudem müssten in allen Bundesländern Antisemitismus-Beauftragte bei den Staatsanwaltschaften eingesetzt werden.

Amnesty International rief anlässlich des Gedenktags dazu auf, entschiedener gegen Rassismus und Antisemitismus vorzugehen. Nötig seien insbesondere mehr Schulungen für Polizei und Justiz, um antisemitische Taten zu erkennen, aufzuklären und konsequent zu verfolgen, sagte der Generalsekretär von Amnesty International in Deutschland, Markus Beeko.

Vor dem Hintergrund von Antisemitismus im Internet starteten jüdische Organisationen und Holocaust-Gedenkstätten auf der Online-Plattform TikTok eine Aufklärungskampagne. „Hass und Hetze, die in sozialen Netzwerken verbreitet werden, beschränken sich nicht auf soziale Medien“, beklagte der Geschäftsführer des Zentralrats der Juden in Deutschland, Daniel Botmann, bei der Vorstellung der Initiative in Berlin.

Auch sächsische Städte beteiligen sich mit Veranstaltungen am bundesweiten Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus. Bei einer Veranstaltung in Dresden wollen unter anderem Oberbürgermeister Dirk Hilbert (FDP) sowie Mitglieder des sächsischen Landtags Blumen niederlegen.

Am 27. Januar 1945 wurde das NS-Vernichtungslager Auschwitz von der Roten Armee befreit. 1996 wurde der 27. Januar in Deutschland zum nationalen Gedenktag erklärt.

Internationales Auschwitz Komitee entsetzt über Bagatellisierung

Berlin (epd). Das Internationale Auschwitz Komitee hat sich zum Holocaust-Gedenktag (27. Januar) entsetzt darüber geäußert, wie Erinnerungen an die Shoah bagatellisiert und bei Demonstrationen missbraucht werden. „Auch die antisemitischen Schmähungen und der aggressive Schmutz, der tagtäglich nicht nur im weltweiten Netz ausgekippt wird, verstört zutiefst“, sagte der Exekutiv-Vizepräsident des Internationalen Auschwitz Komitees, Christoph Heubner, am Mittwoch in Berlin.

Gerade deshalb sei es an diesem Gedenktag wichtig, den Menschen und Gruppen zu danken, die sich der Ursachen und Geschehnisse von Auschwitz erinnern und immer wieder für die Demokratie eintreten. Vor allem hofften die Überlebenden dabei auf junge Menschen, die sie in den vergangenen Jahren bei vielen Gesprächen getroffen und denen sie ihre Erinnerungen weitergegeben hätten.

Der Auschwitz-Überlebende und Präsident des Internationalen Auschwitz Komitees, Marian Turski, beklagte in Warschau, auch wenn Europa nach dem Zweiten Weltkrieg 80 Jahre relativen Frieden erlebt habe, sei zu wenig von dem verwirklicht worden, was die Überlebenden der Konzentrationslager erhofft hatten: „Der Antisemitismus frisst sich wieder in die Gesellschaft hinein, Diskriminierung und Ausgrenzung von Minderheiten prägt noch immer den Alltag Europas und der Rechtsextremismus und populistische Verschwörungstheorien führen zu neuer Aggressivität, Hass und Gewalt.“ Dies alles sei für die Überlebenden bei der Befreiung aus den Händen der Nazis unvorstellbar gewesen, so Turski.

Holocaust-Gedenkstätten starten Aufklärungsinitiative auf TikTok

Berlin (epd). Vor dem Hintergrund von Antisemitismus im Internet haben Jüdische Organisationen und Holocaust-Gedenkstätten auf der Online-Plattform TikTok eine Aufklärungskampagne gestartet. „Hass und Hetze, die in sozialen Netzwerken verbreitet werden, beschränken sich nicht auf soziale Medien“, beklagte der Geschäftsführer des Zentralrats der Juden in Deutschland, Daniel Botmann, bei der Vorstellung der Initiative am Mittwoch in Berlin. „Hass verwandelt sich in physische Gewalt.“ Die sozialen Medien nähmen zunehmend ihre Verantwortung wahr, sagte Botmann anlässlich der von TikTok Deutschland unterstützten "TikTok - Shoah Education and Commemoration Initiative”.

Die Schoah werde immer offener geleugnet, sagte der Direktor des American Jewish Committee Berlin, Remko Leemhuis. „Diesem Problem können wir nicht allein mit dem Strafgesetzbuch begegnen.“ Wichtig seien Aufklärung und Angebote auf Plattformen, die „ein junges Publikum zielgerichtet erreichen“.

Nicht zuletzt im Kontext der Corona-Pandemie würden zunehmend Vergleiche mit dem Nationalsozialismus angestellt und unverhohlen die Schoah relativiert, hieß es bei der Vorstellung der Initiative. Das American Jewish Committee Berlin ermutigte vor diesem Hintergrund gemeinsam mit der Hebrew University in Jerusalem zur Einbindung von TikTok in die Gedenk- und Bildungsarbeit.

An dem Pilotprojekt nehmen unter anderem die Gedenkstätten Bergen-Belsen, Ravensbrück und Sachsenhausen sowie das Jüdische Museum Berlin und das Haus der Wannseekonferenz teil. In den Clips berichten sie über Hintergründe zu Orten, Gebäuden und Ausstellungsstücken.

Zentralrat der Juden fordert baldiges Demokratiefördergesetz

Berlin (epd). Der Zentralrat der Juden hat anlässlich des Holocaust-Gedenktages am Donnerstag die schnelle Verabschiedung eines Demokratiefördergesetzes gefordert. Dies sei nötig, um das zivilgesellschaftliche Engagement gegen Antisemitismus zu fördern, teilte der Zentralrat der Juden am Mittwoch in Berlin mit. Zudem müssten in allen Bundesländern Antisemitismus-Beauftragte bei den Staatsanwaltschaften eingesetzt werden. Länder und Hochschulen müssten zügig das geänderte Richtergesetz umsetzen, das verpflichtende Lehrveranstaltungen zum NS-Unrecht in der Juristenausbildung vorsieht.

Auch die Lehrerausbildung müsse entsprechend reformiert werden, um Antisemitismus in den Schulen zurückzudrängen, erklärte der Zentralrat. Der Holocaust-Gedenktag am 27. Januar erinnert an alle Opfer des nationalsozialistischen Terrors.

Das Demokratiefördergesetz ist schon lange ein Anliegen der SPD. Es kam in der vergangenen Wahlperiode wegen des Widerstands großer Teile der Union in der großen Koalition nicht mehr zustande. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) will nun bis Ostern einen Entwurf vorlegen. Das Gesetz soll die dauerhafte Finanzierung von Initiativen, Zentren und Projekten sichern, die sich gegen Extremismus engagieren.

77 Jahre nach dem Ende der Schoah sei „ein erschreckendes Ausmaß an Antisemitismus“ zu beobachten, teilte der Zentralrat weiter mit. Gerade am Holocaust-Gedenktag machten die Berichte der Schoah-Überlebenden deutlich, wie wichtig der Kampf gegen den Judenhass sei. „Damals begann es mit Worten und Ausgrenzung. Es führte in den millionenfachen Judenmord.“

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