20.02.2020
#Hanau: Politik und Kirchen entsetzt über Gewalttat

Berlin/Hanau (epd). In Berlin ist mit Entsetzen und Fassungslosigkeit auf die mutmaßlich rechtsterroristische Gewalttat in Hanau reagiert worden.

Für Donnerstagabend riefen Politiker und Vertreter der Zivilgesellschaft zu einem Gedenken und einer Mahnwache am Brandenburger Tor auf, darunter Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth (Grüne), die Grünen-Bundesvorsitzende Annalena Baerbock, der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner und die Berliner Staatssekretärin für Bürgerschaftliches Engagement und Internationales, Sawsan Chebli (SPD).

Mehrere Initiativen wie der Berliner Flüchtlingsrat riefen zu einer weiteren Gedenkkundgebung und -demonstration am Berliner Hermannplatz in Neukölln auf. In Kirchen wie dem Berliner Dom und der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche wurde der Getöteten und ihrer Angehörigen gedacht. Im hessischen Hanau nahe Frankfurt am Main hatte ein Mann am Mittwochabend nach Polizeiangaben in zwei Shisha-Bars neun Menschen erschossen. Die Polizei fand den mutmaßlichen Täter und dessen Mutter danach tot in deren Wohnung. Der Generalbundesanwalt hat die Ermittlungen übernommen. Nach seinen Angaben haben neun der elf Getöteten einen Migrationshintergrund.

Das Berliner Abgeordnetenhaus begann seine Plenarsitzung mit einer Schweigeminute für die Opfer und ihre Angehörigen. Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) erklärte auf Twitter, das entsetzliche Gewaltverbrechen in Hanau stehe in einer Reihe mit dem rechtsextremen Anschlag in Halle, dem Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübke (CDU), der Mordserie des NSU und vielen anderen rechtsterroristischen Anschlägen in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten.

"Das sind direkte Angriffe auf die Demokratie und unsere Werte", sagte Müller. Sein Beileid gelte den Familienangehörigen der Todesopfer und den Verletzten. Zudem forderte er eine vollständige Aufklärung der Hintergründe für diese Tat.

Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) kündigte an, sich kurzfristig mit Vertretern der Berliner Migrantenverbände zu treffen. Im Augenblick gebe es keine Bezüge nach Berlin, erklärte der Innensenator: "Ich weiß aber, dass die Menschen in unserer Stadt beunruhigt sind." Geisel sagte weiter, in Hanau sei keine Shisha-Bar angegriffen worden, sondern "in Hanau wurden Menschen getötet, die zu uns gehören". Seine Gedanken seien bei den Hinterbliebenen der Opfer und den Verletzen.

Der evangelische Berliner Landesbischof Christian Stäblein verurteilte die "schockierende Gewalttat" scharf. Er sei fassungslos über so viel Hass und Menschenverachtung, sagte Stäblein: "Niemand darf in diesem Land aufgrund seiner Herkunft oder Religion in Gefahr sein." In Gedanken und im Gebet sei er bei den Opfern und ihren Angehörigen.

Haseloff zu Hanau: "Diese entsetzliche Tat schmerzt uns alle" | Sachsen-Anhalt ordnet Trauerbeflaggung an Dienstgebäuden an

Magdeburg (epd). Auch in Sachsen-Anhalt sind das Entsetzen und die Anteilnahme nach dem mutmaßlich rassistischen Mordanschlag im hessischen Hanau groß. Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) zeigte sich am Donnerstag tief betroffen. "Diese entsetzliche Tat schmerzt uns alle", sagte er vor seinem Grußwort zur Amtsübergabe der Präsidentschaft der Leopoldina in Halle. Angesichts des Terroranschlags in Halle am 9. Oktober 2019 könne er sehr gut nachvollziehen, was sein hessischer Amtskollege Volker Bouffier (CDU) und die Menschen vor Ort in diesen Stunden empfinden. "Meine Gedanken sind bei den Opfern und ihren Angehörigen", sagte Haseloff: "Ihnen gilt meine herzliche Anteilnahme."

Bei dem Festakt in der Leopoldina wurde mit einer Schweigeminute der Opfer von Halle gedacht. Das Innenministerium in Magdeburg ordnete am Donnerstag Trauerbeflaggung an. Bis einschließlich Freitag sollten an allen Dienstgebäuden des Landes die Fahnen auf halbmast wehen, teilte das Innenministerium am Donnerstag mit.

Zahlreiche weitere Vertreter aus Politik und Kirche in Sachsen-Anhalt äußerten ihre Anteilnahme. Das Landesnetzwerk Migrantenorganisationen Sachsen-Anhalt plant am Freitag eine Solidaritätsfahrt nach Hanau. Geschäftsführer Mamad Mohamad sagte, nach den Ereignissen in Hanau und anderen Orten könne man nicht mehr einfach zum Alltag zurückkehren. "Die Angst sitzt bei uns so tief wie nie zuvor", betonte er. Leib und Leben von Migranten, jüdischen Menschen, Muslimen und anderen Menschen seien bedroht.

Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende und innenpolitische Sprecherin der Links-Fraktion im Magdeburger Landtag, Henriette Quade, verwies auf den Anschlag in Halle und sagte: "Der Täter mag allein gehandelt haben, ein Einzeltäter ist er nicht." Quade betonte: "Wer jetzt nicht entschlossenes Handeln gegen die extreme Rechte als erste politische Priorität setzt, der muss sich auch für deren Handeln in Verantwortung nehmen lassen."

Bei dem antisemitischen Anschlag am 9. Oktober 2019 in Halle waren eine 40-jährige Frau und ein 20-jähriger Mann erschossen worden, zwei weitere Menschen wurden schwer verletzt. Zuvor hatte der Täter vergeblich versucht, in die Synagoge der Stadt einzudringen.

Entsetzen und Trauer über Hanauer Anschläge in Thüringen

Erfurt (epd). Die mutmaßlich rechtsterroristischen Morde in Hanau haben auch in Thüringen Bestürzung und Anteilnahme hervorgerufen. Die schrecklichen Nachrichten aus Hessen machten sie fassungslos, erklärte Landtagspräsidentin Birgit Keller (Linke) am Donnerstag in Erfurt. Die Gedanken seien bei den Opfern und ihren Angehörigen, denen furchtbares Leid zugefügt worden sei. Keller wies auch auf die politische Dimension der Anschläge hin. Sie zeigten einmal mehr, "wie groß die Gefahr ist, die von Rechtsextremisten in unserem Land ausgeht", erklärte Keller.

Für die Erfurter Christen erinnerte der Senior des Evangelischen Kirchenkreises, Matthias Rein, an die elf erschossenen Menschen, von denen einige türkische, polnische und bosnische Wurzeln hätten. Er lud für den Abend zum ökumenischen Friedensgebet in der Lorenzkirche am Anger ein. "Wir wollen für die Opfer und die Angehörigen beten. Wir wollen unsere Betroffenheit zum Ausdruck bringen und miteinander teilen. Wir wollen deutlich machen, dass wir Gewalt, Mord und Hass verurteilen", sagte Rein.

Der Vorsitzende des DGB Hessen-Thüringen, Michael Rudolph, rief zur Beteiligung an den geplanten Mahnwachen auf. Angesichts der offenbar rassistisch motivierten Morde in Hanau sei jeder und jede gefragt, Gesicht und Haltung zu zeigen. Nach dem NSU und dem Mord an dem CDU-Politiker Walter Lübcke seien erneut Menschen durch eine rechtsextreme Gewalttat in Hessen ums Leben gekommen. "Jetzt muss ein Zeichen der Trauer und des Mitgefühls mit den Hinterbliebenen sowie entschlossener Solidarität von der Gesellschaft ausgehen", forderte Rudolph.

Bischöfin spricht Beileid aus

Die Bischöfin der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck, Beate Hofmann, zeigt sich erschüttert über das Gewaltverbrechen in Hanau: "Wir trauern mit den Angehörigen der Toten und sprechen Ihnen unser Beileid aus. Wir beten für die Trauernden. Wir beten für die an Leib und Seele Verletzten, dass sie wieder gesund werden. Wir wissen uns verbunden mit allen Einsatzkräften und mit den Notfallseelsorgern, die im Einsatz waren und sind", so die Bischöfin in einer ersten Stellungnahme.

"Die vergangene Nacht hat das Leben in Hanau verändert. Wir werden uns als Evangelische Kirche weiter für ein friedliches Zusammenleben in der Stadt einsetzen. Viele Kirchen der Stadt stehen an diesem Tag zur Einkehr, zum Gebet und zum Gespräch offen", sagte Hofmann am Donnerstagmorgen in Kassel.

Auch aus der benachbarten Landeskirche, der EKHN, zu der ebenfalls zwei Hanauer Stadtteile gehören, kamen Worte der Anteilnahme. Über den Kurznachrichtendienst Twitter verbreitete die Landeskirche ein Gebet.

Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, zeigte sich erschüttert über das Verbrechen: „Ich bin fassungslos angesichts der Gewalttat von Hanau. Meine Gedanken und Gebete sind bei den Opfern und ihren Familien. Wenn sich bewahrheitet, was jetzt bekannt geworden ist, dann ist diese Gewalttat ein trauriger Beleg für die brutalen Konsequenzen des Gifts, das rechtspopulistische und rechtsextreme Kreise zu streuen versuchen. Wer Rassismus und Ausländerfeindlichkeit sät, der muss auch damit rechnen, dass daraus brutale Gewalt erwächst.“

Der mutmaßliche Täter soll gegen 22 Uhr am Heumarkt in der Innenstadt auf Menschen geschossen haben, danach fuhr er weiter zum Kurt-Schumacher-Platz im Hanauer Stadtteil Kesselstadt, wo er erneut mehrere Menschen angriff. Insgesamt wurden nach Polizeiangaben an den beiden Tatorten neun Menschen getötet.

Der hessische Landtag hatte seine geplante Plenarsitzung wegen der Gewalttat nach einer Gedenkminute abgebrochen. Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) sprach von einem furchtbaren Verbrechen, das "im Grunde sprachlos" mache.

Auch in Brüssel löste die Tat Entsetzen aus. Der Präsident des Europaparlaments, David Sassoli, erklärte bei Twitter: "Unsere Gedanken sind bei den Opfern, ihren Familien und Freunden."

Der Präsident des Europäischen Rates der Staats- und Regierungschefs, Charles Michel, nannte den sinnlosen Verlust von Menschenleben "eine Tragödie".

Der Fraktionschef der Europäischen Volkspartei im Europaparlament, Manfred Weber (CSU), twitterte: "Es stockt mir der Atem, wenn ich die schlimmen Nachrichten aus #Hanau verfolge." Weber sprach allen Einsatzkräften und Helfern Dank aus. Die sozialdemokratische Fraktion im Parlament twitterte, sie sei angesichts der "sinnlosen Zurschaustellung von Gewalt schockiert".

Die Polizei schrieb den Mann noch in der Nacht zur Fahndung aus. Schließlich fand sie den mutmaßlichen Täter am frühen Morgen tot in seiner Wohnung. Außerdem fand die Polizei den Angaben zufolge eine weitere Leiche in der Wohnung.

Generalbundesanwalt übernimmt Ermittlungen

Die Generalbundesanwalt übernahm noch in der Nacht die Ermittlungen. Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) forderte am Donnerstag in Berlin, dass die Hintergründe der Tat gründlich aufgeklärt werden müssten. "Es ist erschütternd, wie viele Menschen dort sinnlos getötet wurden", sagte Lambrecht. "Die brutalen und menschenverachtenden Taten in Hanau lassen uns alle fassungslos zurück", erklärte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU).

Auch Vertreter der Bundesregierung sagten Termine ab. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wollte eigentlich zur Einführung des neuen Präsidenten der Wissenschaftsakademie Leopoldina nach Halle reisen. Sie lasse sich fortlaufend über den Stand der Ermittlungen in Hanau unterrichten, teilte ihr Sprecher Steffen Seibert bei Twitter mit.

Der Zentralrat der Juden erklärte bei Twitter, die "offenbar rechtsextrem motivierten Morde" seien erschütternd.

Der Koordinationsrat der Muslime erklärte, die Orte des Angriffs wie auch das bekanntgewordene Bekennerschreiben zeigten, dass Migranten, insbesondere Muslime das Ziel gewesen seien. Es sei jetzt die Zeit, zusammenzurücken und zusammenzustehen, erklärte Koordinationsratssprecher Zekeriya Altug.

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Kerze Hände   Foto: pixabay

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