27.05.2021
Heidnische Beschwörungsformeln sollen Welterbe werden

Merseburg (epd). Die über 1.000 Jahre alten „Merseburger Zaubersprüche“ sollen zum Unesco-Weltdokumentenerbe erklärt werden.

Ein entsprechender Antrag zur Aufnahme der einzigen in Deutschland erhaltenen heidnischen Beschwörungsformeln in das Memory-of-the-World-Register werde nun an die deutsche Unesco-Kommission übergeben, kündigten Vertreter des Landes Sachsen-Anhalt und der Vereinigten Domstifter zu Merseburg und Naumburg und des Kollegiatstifts Zeitz am Mittwoch an. Bei einer erfolgreichen Bewerbung könnten die „Merseburger Zaubersprüche“ dann 2024 oder 2025 zum Welterbe erklärt werden.

Die „Merseburger Zaubersprüche“ stammen aus dem 9. oder 10. Jahrhundert. Sie wurden von einem Mönch aufgeschrieben. Die Formeln wurden 1841 von einem Historiker in Merseburg entdeckt und ein Jahr später von einem der Gebrüder Grimm erstmals veröffentlicht. Während der erste Vers gesprochen wurde, um Gefangene aus ihren Fesseln zu befreien, sollte mit dem zweiten die Heilung einer Fußverletzung bei einem Pferd bewirkt werden.

Die Beschwörungsformeln werden heute in der Domstiftsbibliothek Merseburg als deren wertvollster Schatz verwahrt. Wegen ihres Wertes und ihrer Empfindlichkeit wurden die Handschriften in den zurückliegenden Jahrzehnten nur äußerst selten und unter größten Schutzvorkehrungen im Original präsentiert.

Sachsen-Anhalts Kulturminister Rainer Robra (CDU) sprach von einem „einzigartigen Dokument“. Er fügte hinzu: „Daher unterstützen wir als Land die Bewerbung um die Anerkennung der 'Zaubersprüche' als Unesco-Erbe der gesamten Menschheit.“ Oberbürgermeister Jens Bühligen (CDU) würdigte die „Zaubersprüche“ als Teil eines umfangreichen Kulturschatzes der Dom- und Hochschulstadt.

Stiftsdirektor Holger Kunde betonte, die „Zaubersprüche“ gäben einen direkten Einblick in die Lebens- und Sprachwelt der Region vor 1.000 Jahren. Besucher des 1.000 Jahre alten Merseburger Doms seien bei Anblick oder Klang der Verse regelmäßig „zutiefst ergriffen“.

Formuliert wurde der Welterbe-Antrag unter Mithilfe von Privatdozent Wolfgang Beck vom Institut für Germanistische Literaturwissenschaft der Universität Jena. Beck spricht in seinem Antrag von einem „unersetzlichen Schlüsseldokument“ und integralem Bestandteil des deutschen und internationalen Kulturerbes. Und weiter: „Ihr Wert für das Studium der Religion, der Sprache, der Literatur und der Magie kann kaum überschätzt werden.“ Die Schriften seien für die Epoche des kulturellen Wandels durch die Christianisierung Europas von hoher Aussagekraft. Zudem stünden die Formeln „am Anfang der schriftlich fixierten Geschichte der deutschen Sprache und Literatur“, nachdem der mühsame Übergang von mündlicher Tradition zur Schriftlichkeit gelungen war.

Aus Deutschland gibt es bisher 24 Einträge als Unesco-Weltdokumentenerbe, darunter die Himmelsscheibe von Nebra, das Nibelungenlied oder das Autograph der h-Moll-Messe von Johann Sebastian Bach (1685-1750). Alle zwei Jahre können pro Land zwei Vorschläge zur Aufnahme in das Unesco-Register des Weltdokumentenerbes eingereicht werden. Die Entscheidung trifft ein internationales Komitee.

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