15.09.2023
Holocaust-Opfer schauen besorgt auf Wahl in Nordhausen

Nordhausen (epd). Die Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora wird für den Fall seiner Wahl zum Oberbürgermeister von Nordhausen keine gemeinsamen Termine mit dem AfD-Politiker Jörg Prophet durchführen.

Auch sei der Kommunalpolitiker bei Veranstaltungen der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora unerwünscht, sagte Stiftungsdirektor Jens-Christian Wagner am Donnerstag in Nordhausen. Die Wahl des im politischen Spektrum äußerst rechts zu verortenden 61-Jährigen würde „Nordhausen großen Schaden zufügen“.

Wagner bezeichnete Prophet als einen Kandidaten, der sich regelmäßig antisemitischer und rechtsextremer geschichtsrevisionistischer Stereotype bediene. Eines seiner Schriftstücke sei im Thüringer Verfassungsschutzbericht 2021 intensiv behandelt worden. Prophet sei stark verankert in den rechtsextremistischen Strukturen seine Partei.

Das belege auch ein für dieses Wochenende angekündigtes Bürgerfest des Kandidaten am Rathaus der Stadt. Hier trete er gemeinsam mit dem wegen seiner offen fremden- und verfassungsfeindlichen Äußerungen umstrittenen AfD-Spitzenkandidaten zur Europawahl, Maximilian Krah, auf. Dies zeige, dass Prophet keineswegs der konservative Kandidat sei, als der er sich gern darstelle. „An Prophet ist nichts konservativ, gar nichts“, sagte Wagner.

Gemeinsam mit der ehemaligen Nordhäuser Oberbürgermeisterin Barbara Rinke (SPD) warnte Wagner vor den Auswirkungen der Wahl eines Oberbürgermeisters mit AfD-Parteibuch in Nordhausen für die regionale Erinnerungskultur. Es sei der KZ-Gedenkstätte während der vergangenen Jahrzehnte gelungen, eine anerkannte Gedenkstättenarbeit aufzubauen, die die Opfer achte und Verantwortung für die in Nordhausen begangenen Verbrechen wissenschaftlich seriös beleuchte. Über Jahre aufgebautes Vertrauen und Freundschaften würden durch die Wahl des AfD-Kandidaten Prophet zerstört werden.

Rinke rief alle Demokraten dazu auf, sich hinter dem in der Stichwahl zweitplatzierten demokratischen Kandidaten Kai Buchmann (parteilos) zu versammeln. Es wühle sie sehr auf, dass ihre Heimatstadt in Zeiten zurückzufallen drohe, die sie für längst überwunden gehalten habe.

Nordhausens Gedenkstättenleiterin Anett Dremel berichtete von „großer Unsicherheit in den Überlebendenverbänden“ angesichts der aktuellen politischen Entwicklungen. Für die Opfer und deren Nachfahren sei es unvorstellbar, gemeinsam mit einem rechtsextremen Bürgermeister Gedenkveranstaltungen zu besuchen.

Die Stiftung zitierte aus dem Schreiben eines deutschen Juden, der in dieser Woche den vergangenen Wahlsonntag als schlimmsten Tag seit 1945 bezeichnete. Er fühle sich ins Jahr 1933 versetzt; er könne nicht mehr. Die Stiftung teilte diese Gleichsetzung ausdrücklich nicht, wertete die Wortmeldung aber als Ausdruck einer tiefen Befürchtung unter den Opfern des Nationalsozialismus und aktuellen Rechtsextremismus.

Bei der Oberbürgermeister-Wahl in Nordhausen entfielen auf Jörg Prophet 42,1 Prozent der Stimmen, auf den amtierenden Oberbürgermeister Kai Buchmann 23,7 Prozent. Zwischen beiden findet am 24. September eine Stichwahl statt.

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