11.11.2022
Mehr Kunden, weniger Spenden: Tafeln in Sachsen-Anhalt spüren die Krise

Halberstadt/Genthin (epd). In dem weißen Container der Caritas in Halberstadt duftet es bereits nach Mittagessen.

In der Küche stehen große Töpfe auf dem Herd, die Helferinnen in der Küche müssen deutlich mehr Menschen beköstigen als noch vor einigen Monaten. Schnell füllen sich die beiden Speiseräume, kaum ein Platz bleibt an diesem Mittag frei.

Jeden Wochentag bietet die Caritas hier Frühstück und Mittagessen an, außerdem können bedürftige Menschen - die Bemessungsgrundlage liegt bei rund 1.000 Euro - bei der Caritas günstige Lebensmittel erhalten. Der katholische Sozialverband folgt hier der Idee der „Tafeln“: Supermärkte und Lebensmittelhersteller geben überschüssige Ware kostenlos ab, die dann von den Tafeln kostenlos an Bedürftige verteilt wird.

Die Nachfrage ist zuletzt spürbar gestiegen, berichtet Caritas-Mitarbeiterin Maria Oppermann. Gehörten noch vor kurzem zwischen 1.200 und 1.300 Menschen zu den regelmäßigen Kunden, sind es aktuell ungefähr 2.500. Derzeit seien wieder mehr Flüchtlinge aus der Ukraine darunter, aber auch Menschen, die sich die zuletzt stark gestiegenen Lebensmittelpreise nicht mehr leisten könnten.

Zugleich aber erhält die Caritas immer weniger Lebensmittelspenden. Einerseits hätten einige Supermärkte in der Region geschlossen, andere wiederum kalkulierten knapper, sodass weniger übrig bleibt. „Früher“, erzählt Maria Oppermann, „ist eine Person mit drei Taschen nach Hause gegangen. Jetzt ist es eine Tasche.“ Und die gibt es auch nicht mehr jeden Wochentag, sondern nur noch viermal die Woche.

Bei der Diakonie in Genthin (Jerichower Land) sieht es ganz ähnlich aus. Statt einmal pro Woche können die Kunden der Tafel seit einigen Monaten nur noch alle zwei Wochen eine Tasche oder Kiste mit Lebensmitteln erhalten, berichtet Christoph Grothe, Geschäftsführer der Diakonie Jerichower Land-Magdeburg. Rund 30 bis 40 Personen unterstützt die Genthiner Tafel mittlerweile, in den Vorjahren waren es bis zu 25. „Wir merken einen Anstieg“, sagt Grote: „Und wir merken auch den Druck und die Diskussionen vor der Tür.“

Diese Situationen sind keine Einzelfälle, bestätigt auch Andreas Steppuhn. Der frühere SPD-Landtagsabgeordnete ist Vorsitzender des Landesverbandes Tafel Sachsen-Anhalt e.V., in dem zahlreiche lokale Tafeln organisiert sind. Die Situation sei „dauerhaft angespannt“, sagt Steppuhn im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd).

Im vergangenen Jahr hätten die Tafeln in Sachsen-Anhalt zusammen rund 50.000 Personen einmalig oder mehrfach mit Lebensmitteln versorgt. In diesem Jahr erwartet er einen Anstieg um rund 20 bis 25 Prozent. Bei den Spenden durch Supermärkte gebe es große regionale Unterschiede. Während es in den Ballungszentren wie Halle oder Magdeburg noch genügend Märkte gebe, die überschüssige Lebensmittel abgeben, sei das in ländlichen Regionen wie der Altmark viel schwieriger.

Und diese Situation wird sich Steppuhn zufolge in den nächsten Monaten weiter zuspitzen. So hat die Zahl der Flüchtlinge wieder zugenommen. Geplante soziale Entlastungen wie den höheren Mindestlohn oder das Bürgergeld hält der SPD-Politiker für einen „Tropfen auf den heißen Stein“.

Hinzu kommt: Auch die Tafeln selbst sind von den steigenden Energiekosten betroffen, sie müssen unter anderem Kühlvorrichtungen für die gespendeten Lebensmittel vorhalten. Erstmals seien die Tafeln in diesem Jahr von der Landesregierung finanziell unterstützt worden. 30.000 Euro gab es vor kurzem als Zuschuss für ein zentrales Kühllager.

Doch Steppuhn bleibt in diesem Punkt vorsichtig: „Was wir nicht wollen, ist, dass der Staat uns Geld gibt und dann sagt, jetzt haben wir das Problem gelöst - die Tafeln machen das für uns.“ Für Menschen, die von Armut betroffen sind, müsse der Staat selbst sorgen.

Von Oliver Gierens (epd)

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