29.12.2022
Menschenrechtsgruppen fordern wirksame Kontrollen von Lieferketten

Berlin (epd). Menschenrechtsgruppen und Hilfsorganisationen fordern vom Bund eine wirkungsvolle Umsetzung des Lieferkettengesetzes.

Das aus mehr als hundert Organisationen bestehende Bündnis „Initiative Lieferkettengesetz“ und das Cora-Netzwerk für Unternehmensverantwortung begrüßten am Mittwoch in Berlin, dass das Regelwerk am 1. Januar in Kraft tritt.

Die Koordinatorin der „Initiative Lieferkettengesetz“, Johanna Kusch, erklärte: „Was wir nun brauchen, ist eine gute Umsetzung in Deutschland und der Einsatz für eine starke EU-Regulierung, die die Lücken im deutschen Gesetz dauerhaft schließen kann.“ Die Koordinatorin des Cora-Netzwerkes, Heike Drillisch, fügte hinzu: „Gerade, weil die behördliche Kontrolle der einzige Durchsetzungshebel für das Gesetz ist, muss dieser gut greifen.“

Im Januar tritt der erste Teil des Lieferkettengesetzes in Kraft. Die menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten sowie Vorgaben gegen Umweltverschmutzung gelten dann für große Firmen in Deutschland mit mehr als 3.000 Beschäftigten. Das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle wird künftig Vorwürfen der Ausbeutung und Kinderarbeit nachgehen und gegebenenfalls Zwangs- und Bußgelder verhängen.

Die Cora-Koordinatorin Drillisch betonte, die Behörde müsse von ihren Befugnissen „umfassend Gebrauch machen“. Sie forderte wirksame Prüfkriterien und risikobasierte Kontrollen bei Unternehmen.

Zur „Initiative Lieferkettengesetz“ gehören unter anderem Amnesty International Deutschland, die kirchlichen Hilfswerke „Brot für die Welt“ und Misereor, der Deutsche Gewerkschaftsbund und Greenpeace.

Lieferkettengesetz wird für Großunternehmen wirksam

Von Mey Dudin (epd)

Berlin (epd). Vor zwei Wochen noch machten CDU und CSU gegen das deutsche Lieferkettengesetz mobil. In der letzten Sitzung des Jahres legte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) im Bundesrat einen sogenannten Entschließungsantrag vor. Weil die Wirtschaft aktuell vor „ungeheuren Herausforderungen“ stehe, sei es „zwingend erforderlich“ den Zeitpunkt des Inkrafttretens zu verschieben, hieß es darin. Ein ähnlicher Antrag der Unionsfraktion wurde im Bundestag debattiert.

Doch die Initiativen waren allem Anschein nach nur ein letztes Aufbäumen. In der Länderkammer fand sich keine Mehrheit für eine sofortige Sachentscheidung. Der Entschließungsantrag, rechtlich ohnehin nicht verbindlich, kam erst einmal zur weiteren Beratung in die Ausschüsse - ebenso wie der Antrag von CDU/CSU im Bundestag.

Im Januar tritt der erste Teil des Lieferkettengesetzes in Kraft: Die menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten sowie gewisse Vorgaben gegen Umweltverschmutzung gelten dann für große Firmen in Deutschland mit mehr als 3.000 Beschäftigten. Es gilt eine Bemühenspflicht, nicht eine Erfolgspflicht. Das bedeutet, die Firmen müssen die Risiken in ihrer Lieferkette genauer in den Blick nehmen - zum Beispiel, indem sie Menschenrechtsbeauftragte einstellen. Wenn es dann noch Verstöße gibt, werden die betreffenden Firmen nicht sofort abgestraft, sondern erst, wenn sie nichts dagegen tun.

Das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle wird Vorwürfen der Ausbeutung oder Kinderarbeit künftig nachgehen und gegebenenfalls Zwangs- und Bußgelder verhängen. Zum Jahresende sollen rund 50 Personen an der neuen Außenstelle der Behörde in Borna bei Leipzig zum Lieferkettengesetz arbeiten. Bis Sommer 2023 ist geplant, deren Zahl auf etwa 100 zu verdoppeln.

Beim TÜV Nord können Unternehmen Hilfe suchen, wenn sie ihre Lieferketten unter die Lupe nehmen wollen. Zertifizierungsexperte Martin Saalmann sagte auf epd-Anfrage, dass täglich ein bis zwei Anfragen bei ihm eingehen. „Viele kommen von Firmen, die in Hochrisikoländern wie Bangladesch, China oder Indien produzieren lassen.“ Oftmals sind es kleinere Unternehmen, für die das Lieferkettengesetz zwar nicht gilt, die aber als Lieferanten von den großen Konzernen in die Pflicht genommen werden.

Wie wirksam das Gesetz tatsächlich ist, wird sich im kommenden Jahr zeigen. Für deutsche Firmen, die in der chinesischen Provinz Xinjiang produzieren, dürfte es aber schwieriger werden. Das Menschenrechtsbüro der Vereinten Nationen wirft China vor, dort Uiguren und andere Angehörige muslimischer Minderheiten willkürlich in Haftlagern festzuhalten. Seit Jahren gibt es Vorwürfe der Zwangsarbeit in den Fabriken, die US-Regierung spricht sogar von einem Genozid.

Auch Elektrokonzerne, die mit Konfliktmineralien aus Bürgerkriegsregionen arbeiten wie Coltan, Kobalt, Gold oder Zinn, dürfen künftig nicht mehr wegschauen. Die Textilbranche ist ebenfalls enorm risikobehaftet. Schließlich gab die Katastrophe von Rana Plaza im Jahr 2013 den Anstoß für das Lieferkettengesetz: Bei dem Einsturz der achtstöckigen Fabrik in Bangladesch wurden mehr als 1.100 Menschen getötet und mehr als 2.400 zum Teil schwer verletzt - überwiegend Frauen, die dort für globale Modekonzerne als Näherinnen arbeiteten.

Das neue Gesetz war ein Herzensanliegen des früheren CSU-Entwicklungsministers Gerd Müller, der das Regelwerk gemeinsam mit SPD-Arbeitsminister Hubertus Heil gegen massiven Widerstand aus der Wirtschaft durchgesetzt hat. Es wurde allerdings im Gesetzgebungsverfahren entschärft und gilt nicht, wie ursprünglich vorgesehen, schon für Betriebe ab 500 Beschäftigten. Auch eine zivilrechtliche Haftung wurde verhindert. Ausgebeutete Textilarbeiterinnen in Bangladesch haben somit auch künftig kaum Chancen, vor deutschen Gerichten auf Entschädigung zu klagen.

Das Stichwort: Lieferkettengesetz

Berlin (epd). Das Lieferkettengesetz verpflichtet Konzerne dazu, mehr auf die Einhaltung von Menschenrechten und Umweltschutz bei Zulieferern im Ausland achten. Es tritt in zwei Schritten in Kraft: Ab 2023 gilt es für etwa 600 große deutsche Firmen mit mehr als 3.000 Beschäftigten, ab 2024 für knapp 3.000 Unternehmen mit mehr als 1.000 Beschäftigten. Auch ausländische Unternehmen mit Zweigniederlassung oder Tochterunternehmen in Deutschland müssen sich daran halten.

Für direkte Zulieferer gelten strengere Regeln als für indirekte Zulieferer. Bei letzteren müssen die Unternehmen erst tätig werden, wenn Anhaltspunkte über Menschenrechtsverletzungen wie Armutslöhne oder Kinderarbeit in der Region vorliegen, in der die Fabrik des Zulieferers steht. Ein Ende der Geschäftsbeziehungen ist erst erforderlich, wenn Maßnahmen, die ergriffen wurden, keinen Erfolg zeigen.

Das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle geht gemeldeten Verletzungen der Sorgfaltspflicht nach und verhängt gegebenenfalls Zwangs- und Bußgelder. Das Zwangsgeld kann bis zu 50.000 Euro betragen, das Bußgeld je nach Schwere der Ordnungswidrigkeit bis zu acht Millionen Euro oder zwei Prozent des Jahresumsatzes einer Firma. Unternehmen können zudem bis zu drei Jahre von öffentlichen Ausschreibungen ausgeschlossen werden.

Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen mit Sitz in Deutschland haben die Möglichkeit, bei Menschenrechtsverletzungen im Ausland vor deutschen Gerichten zu klagen, wenn die Opfer dem zustimmen. Doch eine zivilrechtliche Unternehmenshaftung, gegebenenfalls mit Entschädigung der Opfer, gibt es nicht.

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