22.05.2019
Urteil zu Schmährelief "Judensau" erwartet

Dessau-Roßlau/Wittenberg (epd). Das Landgericht Dessau-Roßlau urteilt am Freitag über eine mögliche Entfernung der Spottplastik "Judensau" von der Fassade der Stadtkirche in Lutherstadt Wittenberg. Zu klären ist die Frage, ob das Relief im juristischen Sinne eine Beleidigung darstellt und ob sich daraus ein Anspruch auf Beseitigung ergibt.

Der Kläger Michael Düllmann gehört einer jüdischen Gemeinde in Berlin an und fühlt sich durch die Skulptur in seiner Ehre verletzt.

Das Sandsteinrelief prangt etwa seit dem Jahr 1305 an der Südfassade der evangelischen Kirche. Es zeigt eine Sau, an deren Zitzen sich Menschen laben, die Juden darstellen sollen. Ein Rabbiner blickt dem Tier unter den Schwanz und in den After. Ähnliche mittelalterliche Darstellungen finden sich an oder in diversen weiteren Kirchen in Deutschland, darunter der Kölner und der Regensburger Dom sowie der Dom zu Brandenburg.

Ein erstes Verfahren zur Entfernung der Plastik vor dem Amtsgericht Wittenberg war im Mai 2018 kurz nach Beginn beendet worden. Das Gericht erklärte sich für nicht zuständig und verwies Düllmanns Klage an die nächsthöhere Instanz. Grund war der zu hohe Streitwert von mehr als 10.000 Euro, sollte das Relief entfernt werden müssen.

Am Landgericht war der Fall an nur einem Prozesstag Anfang April verhandelt worden. Dort hatte Richter Wolfram Pechtold die vorläufige Tendenz erkennen lassen, dass dem Streit juristisch nur schwer beizukommen sei und die Klage vermutlich keinen Erfolg haben werde. Für diesen Fall ist Kläger Düllmann nach Angaben seines Anwalts Hubertus Benecke bereit, "alle zur Verfügung stehenden Rechtsmittel auszuschöpfen".

Nach dem Urteil ist vor der Debatte

Von Johannes Süßmann (epd)

Dessau-Roßlau/Wittenberg (epd). Wolfram Pechtold, Richter am Landgericht Dessau-Roßlau, hatte sich gut vorbereitet. So sieht es nach der Verhandlung Anfang April auch der Anwalt des Klägers. Mehr als eine Stunde lang schlüsselte Pechtold akribisch die Gemengelage rund um die Schmähplastik "Judensau" auf, die seit Jahrhunderten an der Wittenberger Stadtkirche prangt. Am Ende ließ er eine Tendenz für das am Freitag erwartete Urteil erkennen: Das Relief kann wohl vorerst hängenbleiben - rein juristisch sei dem Streit indes kaum beizukommen.

Der Kläger Michael Düllmann, Mitglied einer jüdischen Gemeinde in Berlin, will die Plastik weghaben: Er hat auf Beleidigung nach Paragraf 185 des Strafgesetzbuchs geklagt, verbunden mit einem Beseitigungsanspruch nach Paragraf 1004 des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Die hierfür erforderliche Voraussetzung, ein "aktives Tun" der Stadtkirchengemeinde, ist aus Sicht von Richter Pechtold eher nicht gegeben; schließlich sei die "Judensau" nicht durch die Gemeinde aufgehängt worden, sondern Teil eines historischen Baudenkmals.

In Frage kommt demnach lediglich eine sogenannte Formalbeleidigung. Dafür müsse eine über den eigentlichen Inhalt der Darstellung hinausgehende, "nach Form und Umständen eigenständige Beleidigung" vorliegen. Auch hier ließ Pechtold eine eher ablehnende Tendenz durchscheinen - was ihn zu dem vorläufigen Ergebnis führte, "dass zweifelhaft erscheint, ob die Klage Erfolg haben wird".

So könnte das Urteil also lauten, dass die Plastik bleibt - und damit auch das Problem, dass sich Düllmann - und mit ihm wohl viele weitere Menschen jüdischen Glaubens - durch sie verletzt fühlen; denn dass die Plastik beleidigend ist, stelle "niemand ernsthaft in Abrede", erkannte auch der Richter an.

Unabhängig davon, wie das Urteil am Ende ausfällt, gab der Richter der Gesellschaft mit auf den Weg, dass sie sich darüber klarwerden müsse, wie sie mit solchen Abbildungen umgehen will. Insbesondere die Kirche müsse sich fragen, was sie dadurch für ein Bild abgebe, sagte Pechtold.

"Der Entscheidungsträger ist der Gemeindekirchenrat", sagt Stadtkirchenpfarrer Johannes Block. Dieser sei seit 30 Jahren davon überzeugt, "dass man Geschichte nicht verleugnen und zu seiner Geschichte stehen soll und am Originalort mit dem Originalstück der Geschichte gedenkt".

Andererseits, sagt Block, der seit acht Jahren Pfarrer an der Stadtkirche ist, nehme er in Wittenberg "seit Jahrzehnten eine große Kollision in der Bevölkerung" wahr. Die Gräben zwischen Verfechtern einer Entfernung der Skulptur und denjenigen, die sagten, damit müsse man leben, seien "relativ tief".

Und auch der Gemeindekirchenrat, der zwar nach außen hin mit einer Stimme spreche, befinde sich intern nach wie vor in der Diskussion. Er wolle dem Urteil nicht vorgreifen, sagt Block, halte es aber für durchaus denkbar, die 1988 errichtete Stätte der Mahnung in Form einer Bodenplatte noch weiterzuentwickeln.

Auch für den Fall, dass das Landgericht die Entfernung der Plastik anordnet, wäre die Debatte nicht beendet. Da ist zum einen der Denkmalschutz. Und: "Wenn wir die Plastik abnehmen, wird uns der Vorwurf gemacht, 'Ihr wollt Euch Eurer dunklen Geschichte entledigen, Ihr wollt die deutsche Geschichte reinigen'", sagt Pfarrer Block. Er ist sich sicher: "Diese Stimmen wird es dann geben." Er wolle dem Urteil jedoch nicht vorgreifen - und auch zu bedenken geben, dass Kläger Düllmann nicht "die Judenheit in ihrer Gesamtheit repräsentiert".

In diesem Zusammenhang hat der Gemeindekirchenrat im Sommer 2018 auch Kontakt zum Zentralrat der Juden aufgenommen. Dessen Präsident Josef Schuster ist mit den bisherigen Bemühungen der Gemeinde offenbar nur zum Teil zufrieden. Dem epd sagt er: "Wenn die Schmähplastik an ihrem ursprünglichen Platz bleiben sollte, wäre es unerlässlich, eine eindeutige Erklärtafel anzubringen, die gut sichtbar ist." Sollte das Relief abgenommen werden müssen, "könnte man es in einem Museum zeigen, wo eine historische Einordnung den notwendigen Kontext zum Verständnis liefert", erklärt Schuster.

Wie das Urteil auch ausfällt - die Auseinandersetzung wird bleiben, wohl auch vor Gericht: Kläger Düllmann ist laut seinem Anwalt Hubertus Benecke bereit, "alle zur Verfügung stehenden Rechtsmittel auszuschöpfen".

Die Wittenberger "Judensau" und der Umgang damit

Wittenberg (epd). Das Sandsteinrelief wurde um das Jahr 1300 an der Südfassade der Stadtkirche Wittenberg angebracht. Es zeigt eine Sau, an deren Zitzen sich Menschen laben, die Juden darstellen sollen. Ein Rabbiner blickt dem Tier unter den Schwanz und in den After. Schweine gelten im Judentum als unrein.

Mit solchen Darstellungen sollten Juden im Mittelalter unter anderem davon abgeschreckt werden, sich in der jeweiligen Stadt niederzulassen. Ähnliche Spottplastiken finden sich auch am oder im Kölner und Regensburger Dom sowie am Dom zu Brandenburg.

Über der Wittenberger "Judensau" prangt wohl seit 1570 zusätzlich der Schriftzug "Rabini Schem HaMphoras", ein hebräischer Verweis auf den unaussprechlichen Namen Gottes bei den Juden. Die Ergänzung wird mit Reformator Martin Luther (1483-1546) in Verbindung gebracht, der in Wittenberg wirkte und vor allem in seinem Spätwerk gegen Juden hetzte.

Die Stadtkirchengemeinde ließ 1988 eine Bodenplatte unterhalb des Reliefs anbringen. Ihre Inschrift nimmt Bezug auf den Völkermord an den Juden im Dritten Reich, die Plastik selbst findet jedoch keine Erwähnung. Durch Gedenkveranstaltungen und Führungen hat sich laut der Gemeinde eine rege Erinnerungskultur entwickelt.

Der Wittenberger Stadtrat sprach sich Mitte 2017 für einen Erhalt der Plastik aus. Er wertete die Bodenplatte als Mahnmal und ließ in Absprache mit der Gemeinde eine Stele mit Erklärtexten auf Deutsch und Englisch errichten. Darauf wird die Skulptur in ihren historischen Kontext eingebettet. Zudem finden sich Verweise auf Luthers Antisemitismus und Judenverfolgungen in Sachsen.

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