27.01.2020
„Vor allen Opfern verneigen wir uns“ | Gemeinsame Erklärung der katholischen und evangelischen Kirche zum 75. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz

Mit einer gemeinsamen Erklärung zum 75. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz am 27. Januar erinnern der Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm und der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, an die Opfer des Nationalsozialismus.

Zugleich rufen sie Politik und Gesellschaft dazu auf, dem wachsenden Antisemitismus entschlossen entgegenzutreten:

„Der Name Auschwitz‘ steht für das systematische Massenmorden, das während des Zweiten Weltkriegs in den von deutschen Truppen besetzten Gebieten Europas verübt wurde. Die Erinnerung an den millionenfachen Mord in Auschwitz erfüllt uns bis heute mit tiefer Trauer.“ Der Gedenktag erinnere aber auch an die Überwindung eines politischen Systems, das keinerlei Respekt für das Leben und die Würde des Menschen kannte und die Ausrottung ganzer Menschengruppen zum Programm erklärte und systematisch organisierte.

„Vor allen Opfern verneigen wir uns. Ihr Andenken darf weder den heute lebenden Generationen noch den künftigen gleichgültig werden. Denn es wäre ein Verrat an den geschundenen und ermordeten Menschen und es wäre zugleich ein Verrat an den Werten der menschlichen Zivilisation, würden wir das Leiden und Sterben von Auschwitz im Nebel der Geschichte versinken lassen.“

Marx und Bedford-Strohm erinnerten dabei auch an die Schuldgeschichte der Kirchen: Diese dürften nicht darüber hinwegsehen, „dass viele Christen mit dem nationalsozialistischen Regime kollaboriert, zur Verfolgung der Juden geschwiegen oder ihr sogar Vorschub geleistet haben. Auch Verantwortliche und Repräsentanten der Kirchen standen oft mit dem Rücken zu den Opfern. Es besteht kein Zweifel: Zu dieser Schuldgeschichte müssen sich die Kirchen in Deutschland bekennen.“ Der Antijudaismus, die Ablehnung der Juden aus religiösen Gründen, habe über Jahrhunderte hinweg die europäische Kultur geprägt, heißt es in der Erklärung. „Der tief auch in den Kirchen verwurzelte Judenhass der früheren Zeiten nährte den Judenhass der Moderne. Auch diesem Schulderbe müssen sich die Kirchen stellen.“

Angesichts eines heute auch in Deutschland wieder stärker hervortretenden Antisemitismus rufen Landesbischof Bedford-Strohm und Kardinal Marx Politik und Gesellschaft dazu auf, dem Judenhass entschlossen entgegenzutreten:

„Als Vertreter unserer Kirchen sagen wir: Unsere jüdischen Brüder und Schwestern müssen angesichts unseres Verhaltens überzeugt sein können, dass die Christen an ihrer Seite stehen, wann immer sie diffamiert, eingeschüchtert oder angegriffen werden. Diese Haltung sind wir der Einsicht in die Geschichte und unserem eigenen Glauben schuldig.“

Der vollständige Wortlaut der gemeinsamen Erklärung kann unter www.ekd.de/gemeinsame_erklaerung_270120 heruntergeladen werden.

 

Schuster: Holocaust-Gedenken muss Staatsräson bleiben

Berlin (epd). Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, sieht das Gedenken an den Holocaust gefährdet. "Über Jahrzehnte war es Konsens in der Bundesrepublik, dass die Erinnerung an die Schoah zur deutschen Staatsräson gehört. Doch dieser Konsens bröckelt", erklärte Schuster am Sonntag in Berlin zum Holocaust-Gedenktag am 27. Januar.

Deutschland trage aufgrund seiner Vergangenheit eine besondere Verantwortung für die Wahrung der Menschenwürde, für eine tolerante Gesellschaft und für Israel. "Wenn wir jetzt nicht gegensteuern, könnte unsere Demokratie ernsthaft gefährdet sein", sagte Schuster weiter.

Dabei gehe es nicht nur um die Zukunft der jüdischen Gemeinschaft, sondern um die Zukunft Europas: "Wer den Abgrund von Auschwitz kennt, wird die Menschenwürde nie aufs Spiel setzen", betonte der Zentralratspräsident. Deshalb müssten in diesem Gedenkjahr alle Kräfte gebündelt werden, "um die Lehren aus der Schoah wieder in den Köpfen zu verankern". Am Montag jährt sich die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz durch die Rote Armee zum 75. Mal.

Schuster sprach sich unter anderem auch für verbindliche Gedenkstättenbesuche von Schulklassen aus. "Das Entscheidende ist die Erinnerungsarbeit in der Schule und der Besuch von authentischen Orten, also den Gedenkstätten", sagte er dem in Berlin erscheinenden "Tagesspiegel" (Sonntag). Obligatorische Gedenkstättenbesuche wären dann Teil des Lehrplans, "so dass die Lehrer auch angehalten sind, sie tatsächlich durchzuführen".

Allerdings müssten derartige Besuche auch angemessen vor- und nachbereitet werden, unterstrich Schuster: "Was die Besuche bewirken, hängt nicht davon ab, ob sie verpflichtend sind, sondern, wie sie im Unterricht behandelt werden." "Wenn eine Schulklasse von München aus erst kurz in die KZ-Gedenkstätte Dachau fährt, danach die Filmstudios besucht und zwischendurch zu McDonalds geht, dann sollte man es lieber lassen", so Schuster.

Zugleich kritisierte er Defizite bei Lehrern etwa im Umgang mit antisemitischen Vorfällen in der Schule oder wenn auf dem Schulhof "Du Jude" als Schimpfwort benutzt wird. Schuster plädierte für entsprechende Fortbildungen für Lehrer und Lehrerinnen.

Schuster forderte angesichts neuer antisemitischer Tendenzen in Deutschland auch eine strikte Abgrenzung von der AfD. "Die demokratischen Parteien müssen sich sehr klar von der AfD distanzieren", sagte er der Zeitung. "Es ist der falsche Weg, sich der AfD anzubiedern oder sie gar nachzuahmen, weil das angeblich Stimmen bringt", sagte Schuster. Die anderen Parteien sollten versuchen, die AfD zu "entlarven".

Weiter sagte er, der antisemitische Anschlag in Halle vom 9. Oktober vergangenen Jahres habe "zu einer erheblichen Verunsicherung innerhalb der jüdischen Gemeinden" geführt. Zwar säßen Juden in Deutschland heute nicht auf gepackten Koffern: "Aber man guckt jetzt, wo der leere Koffer steht", sagte Schuster der Zeitung.

Der Justiz warf er einen zu nachlässigen Umgang mit antisemitischen Taten vor. "Es gibt aus unserer Sicht eindeutig judenfeindliche Fälle, in denen die Justiz aber keinen Antisemitismus erkennen kann." Er habe das Gefühl, dass "das Thema Antisemitismus in juristischen Kreisen als ein bisschen lästig empfunden" werde.

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