16.07.2019
Widerstand unter dem Kreuz | Experte: Kirchlichen Widerstand gegen Hitler gab es nicht | Hitler-Attentat jährt sich zum 75. Mal

Berlin/Frankfurt a.M. (epd). Wenige Tage vor seiner Hinrichtung durch die Nationalsozialisten schreibt Helmuth James Graf von Moltke, Mitwisser des Attentats auf Hitler vom 20. Juli 1944, in der Haft einen Brief an seinen Mitverschwörer, den Jesuitenpater Alfred Delp. Moltke teilt seine Empfindung, als Christ, nicht etwa als politischer Widerstandskämpfer angeklagt zu sein.

Beide sind am 11. Januar 1945 vom NS-Volksgerichtshof unter Vorsitz von Richter Roland Freisler wegen Hochverrats zum Tode verurteilt worden. Das Attentat von Claus Schenk Graf von Stauffenberg auf Adolf Hitler jährt sich am Samstag zum 75. Mal.

In dem Brief rekapituliert Moltke in Todeserwartung Prozess und Urteil: "Die wahre Offensive Freislers (ging) gegen die katholische Kirche und gegen die evangelische Kirche, gegen mich, (...), der ich ein protestantischer Laie war, gegen mich konnte der Nationalsozialist Freisler eben nur vorgehen als gegen den Christen schlechthin. Das hat ihn zu jenen extremen, klaren Äußerungen über die letzte Unvereinbarkeit von Christentum und Nationalsozialismus gezwungen, die, selbst, wenn wir fallen, als fruchtbarer Same ins Land gehen werden."

Am 23. Januar 1945 wird Moltke hingerichtet, Delp am 11. Februar. Aus den Worten Moltkes spricht die Annahme, Freisler habe an ihm als bekennenden Protestanten ein Exempel statuieren wollen. Er glaubte, gegen ihn und den Katholiken Delp sei stellvertretend ein Prozess gegen die kirchlichen Institutionen geführt worden.

Der Rechtsanwalt Moltke, Nachfahre eines mecklenburgischen Adelsgeschlechts, und der Jesuitenpater Delp gehörten zur zivilen Widerstandsgruppe des "Kreisauer Kreises", benannt nach dem Gut Kreisau in Schlesien, das der Familie Moltke gehörte und wo ab 1940 konspirative Treffen einer Gruppe von Regimegegnern stattfanden. Moltke war einer der Vordenker des Kreises und arbeitete daran, das klandestine Netzwerk aus zivilen, kirchlichen und später auch militärischen Widerstandskämpfern auszuweiten. Er erfuhr schon früh von militärischen Umsturzplänen. Delp brachte Ideen des christlichen Sozialismus und der katholischen Soziallehre in die Kreisauer Pläne für eine Nachkriegsordnung mit ein. Auch er arbeitete daran, das Netzwerk des Widerstands zu erweitern und war Mitwisser der Attentatspläne.

Der Kreisauer Kreis war, obwohl viele seiner Mitglieder gläubige Christen waren, dennoch keine kirchliche Widerstandsgruppe. Viele der Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944 waren Christen und begründeten ihren politischen Widerstand auch mit christlichen Werten. Doch einen organisierten kirchlichen Widerstand im Dritten Reich hat es nie gegeben. Das bestätigt Johannes Tuchel, Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Berlin. "Es gab Widerstand einzelner Christen gegen die Hitler-Diktatur", sagt Tuchel. "Und diese einzelnen wurden zumeist von ihren Amtskirchen im Stich gelassen."

So war etwa auch die Bekennende Kirche, die sich 1934 in Wuppertal-Barmen gründete, keine kirchliche Widerstandsorganisation. Sie sollte ein Gegensatz sein zu den gleichgeschalteten evangelischen Amtskirchen, die sich die "Deutschen Christen" nannten. Dietrich Bonhoeffer, Theologe und Widerstandskämpfer, war Mitglied der Bekennenden Kirche. Er stand in Verbindung mit den Verschwörern des 20. Juli, kam in Haft und wurde später für seine politischen Widerstandsaktivitäten noch in den letzten Kriegstagen 1945 ermordet.

Auch wegen solcher Schicksale wird die Bekennende Kirche heute in der kirchlichen Erinnerungskultur als Bollwerk gegen den Nationalsozialismus wahrgenommen. Diese Zuschreibung sei eine Konstruktion aus der Nachkriegszeit, sagt Tuchel. Er spricht deshalb von Widerstand von Christen und nicht von kirchlichem Widerstand.

Beispiele für einzelne Christen, die sich als Gegner des Regimes im Widerstand engagierten, gibt es indes viele: Neben Bonhoeffer, Delp und Moltke gab es viele weitere - darunter auch den evangelischen Pfarrer Harald Poelchau. Auch er war Mitglied des Kreisauer Kreises, seine Beteiligung blieb jedoch bis Kriegsende unentdeckt. Er half später als Gefängnispfarrer in der Berliner Haftanstalt Tegel vielen Widerstandskämpfern als Seelsorger durch die Haftzeit, an deren Ende meist die Hinrichtung stand. Die Briefe Moltkes, Bonhoeffers, Delps und vieler anderer zeugen von tiefer Gottesliebe und Frömmigkeit im Gefängnis. "Der Glaube gab den Menschen dann auch in der Haft Kraft", sagt Tuchel.

In der Haft entstand Bonhoeffers berühmtestes Gedicht, das Menschen bis heute zu Tränen rührt: "Von guten Mächten treu und still umgeben, behütet und getröstet wunderbar."

Kirchlichen Widerstand gegen Hitler gab es nicht

epd-Gespräch: Franziska Hein

Berlin/Frankfurt a.M. (epd). Für die evangelische Kirche ist Dietrich Bonhoeffer die zentrale Erinnerungsfigur für den christlichen Widerstand gegen die Diktatur. Der Pfarrer der Bekennenden Kirche wurde im April 1945 wegen seiner politischen Widerstandsaktivitäten ermordet. Die Erinnerung an ihn verdeutlicht aber auch das Feigenblatt der Kirche im Nationalsozialismus. Denn einen organisierten kirchlichen Widerstand gab es nicht, sagt der Politikwissenschaftler und Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Berlin, Johannes Tuchel.

epd: Herr Tuchel, gab es einen kirchlichen Widerstand im Dritten Reich?

Tuchel: Einen organisierten Widerstand der christlichen Kirchen in Deutschland in den Jahren zwischen 1933 und 1945 hat es nicht gegeben. Was es gegeben hat, ist der Widerstand von einzelnen Christen gegen die Hitler-Diktatur. Und diese Einzelnen wurden zumeist von ihren Amtskirchen stark im Stich gelassen. Daher spreche ich vom Widerstand von Christen und nicht von kirchlichem Widerstand oder kirchlicher Opposition.

epd: Was ist mit der Bekennenden Kirche, die sich 1934 auf der Bekenntnissynode in Wuppertal-Barmen gründete und der auch Dietrich Bonhoeffer angehörte?

Tuchel: Die Definition der Bekennenden Kirche als Widerstandsorganisation ist eine Konstruktion aus der Nachkriegszeit. Die Bekennende Kirche war als Gruppe innerhalb der Kirche auch relativ klein, so dass ich nicht von einer Widerstandsgruppe sprechen würde, sondern bestenfalls von einem losen Netzwerk.

epd: Bonhoeffer wird heute wie eine Art evangelischer Heiliger verehrt. Wie bewerten Sie sein Wirken im Widerstand?

Tuchel: Bonhoeffers Wirksamkeit hat sich erst nach seinem Tod entfaltet. Bei ihm muss man immer genau ansehen, in welcher Phase seines Wirkens man sich befindet. Er schreibt schon 1933 einen Aufsatz "Die Kirche vor der Judenfrage" und bezieht darin klare Stellung gegen die Nationalsozialisten. Er leitet dann ab 1935 das Predigerseminar in Finkenwalde und Zingst der Bekennenden Kirche, eine Art Kaderschmiede der Bekennenden Kirche. 1939 beginnt die Phase seiner politischen Widerstandsaktivität. Im Amt Ausland/Abwehr knüpft er für den Widerstand Kontakte ins Ausland, etwa nach London. Spätestens da steht er im Zentrum des politischen Widerstands. 1943 wird er verhaftet und schreibt in der Haft seine theologischen Werke, die erst nach dem Krieg rezipiert werden. Erst da entdeckt ihn auch die evangelische Kirche für sich.

epd: Bonhoeffer wird von einigen als Märtyrer bezeichnet. Ist diese Zuschreibung Ihrer Meinung nach zutreffend?

Tuchel: Ich tue mich als evangelischer Christ sehr schwer mit dem Begriff des Märtyrers. Aus meiner Sicht wollte keiner der Widerstandskämpfer ein Martyrium erleiden, und sie wollten auch nicht den Status eines Märtyrers erlangen. Bonhoeffer wurde für seine politischen Widerstandsaktivitäten verhaftet und schließlich ermordet. Er war ein lebensbejahender Mensch, der politisch und theologisch gedacht hat - mit einer seltenen Konsequenz und - wie ich finde - in einer wunderschönen Sprache.

epd: Neben Bonhoeffer gab es noch viele weitere gläubige Christen unter den Widerstandskämpfern, beispielsweise im Kreisauer Kreis, der Gruppe um Helmuth James Graf von Moltke. Welche Rolle spielte der Glaube für die Kreisauer?

Tuchel: Der Anteil der Christen im Kreisauer Kreis war groß. Da waren prominente Vertreter der Protestanten und der Katholiken dabei, darunter die Jesuitenpatres Augustin Rösch, Lothar König und Alfred Delp und von protestantischer Seite Eugen Gerstenmeier und Harald Poelchau. Die christliche Motivation hat für den Kreisauer Kreis eine ganz große Rolle gespielt. Moltke selbst war ein zutiefst religiöser Mensch. Aber noch mal: Für den einzelnen war die christliche Motivation bedeutsam und ist auch nachweisbar in vielen Briefen. Doch der Kreisauer Kreis war deswegen keine kirchliche Widerstandsgruppe.

epd: Eugen Gerstenmeier überlebte die Verfolgung durch die Nationalsozialisten. Er trat der CDU bei und wurde 1954 Bundestagspräsident. Hat das Vermächtnis des Widerstands die junge Bundesrepublik beeinflusst?

Tuchel: Der gesamte Widerstand gegen Hitler war in der Nachkriegszeit lange keine besondere Erinnerung wert. Die Verschwörer galten als Verräter, auch in der jungen Bundesrepublik. Einige wenige Widerstandskämpfer wurden in der Nachkriegszeit hervorgehoben und vereinnahmt, um die anti-nationalsozialistische Haltung der Kirchen zu belegen. Erst in den 80er Jahren ist der politische Widerstand in den Blick genauerer historischer Forschungen gerückt und damit wandelte sich auch die Erinnerungskultur. Natürlich gab es immer wieder auch Versuche der Vereinnahmung. Aber ich denke, der Widerstand gegen den Nationalsozialismus ist so sperrig, dass er sich einer Vereinnahmung entzieht.

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