16.03.2022
DLF-Morgenandacht: Fasst sie nicht an! | Schutz und Zuflucht bieten

Eine junge Mutter pendelt hilflos zwischen zwei Kinderwagen, ein weiteres Kleinkind an der Hand, daneben sitzt eine ältere Frau auf ihrem Gepäck am Berliner Hauptbahnhof. Sie warten.

Aufgeregt schauen sie auf den Eingang zum improvisierten Hilfecenter, dann wieder auf ihre Handys. Die Kinder sind sichtlich übermüdet, schlafen gleich im Sitzen ein. In der Hand das Würstchen, dass sie eben bekommen haben. Mitten unter den vielen aufgeregten Menschen – keine Chance auf Ruhe. Es geht auf Abend zu. Wo finden sie ein Nachtquartier?

Daneben zwei junge Frauen, die eine Ältere stützen. Alle Habseligkeiten in Einkaufstaschen verstaut, die Hälfte hängt raus. Sie versuchen sich zu orientieren.

Dazwischen junge Menschen in orangefarbenen Westen. „Maria“ steht auf dem Stück Klebekrepp. „D/RU“. Deutsch und Russisch spricht sie. „Sven“ steht auf dem ihres Kollegen, und „D/E“. Alle reden mit Worten, mit Händen und Füßen und so, wie es eben geht. Goldwert, alle, die ukrainisch dolmetschen können.

Hilfsbereite Berliner halten Schilder hoch, auf denen steht, für wie viele Menschen sie Platz haben. „Wir sind fünf und können noch drei Menschen aufnehmen in unsere WG.“ „Ein Gästezimmer für eine Mutter mit ein bis zwei Kindern. Gemeinsames Bad.“

Und hier: „queer-freundliche WG kann einen Menschen aufnehmen.“ Oder dort: „Gästewohnung für vier.“

An einer Pinnwand hängen weitere Angebote. Und die Warnung der Bundespolizei: Achtung vor dubiosen Angeboten. Bitte alles immer prüfen.

Immer wieder, so sagt die Helferin, stehen hier zwielichtige Männer, die gucken, und wenn junge, hübsche Frauen kommen, heben sie ihr Schild hoch und bieten kostenfreie Schlafgelegenheiten an. Die Polizei schickt sie weg, spricht Platzverweise aus.

Zwischen all der enormen Hilfsbereitschaft werden sie aber wiederkommen: die Männer, die nichts anderes suchen als billige Prostituierte.

Ist das nicht irre?

Wo die Not wächst, wuchert die Ausbeutung.

Da steht die Mutter mit dem kleinen Jungen, der völlig übermüdet schreit. Da lehnen sich zwei erschöpfte Frauen an das Geländer und schauen auf ihre Handys. Eine fängt an zu weinen. Die andere tröstet.

Freiwild für Ausbeuter?

Wehe denen, die sich an diesen Frauen und Kindern vergreifen!

Ihnen sollen die Hände abfaulen!

FASST SIE NICHT AN!

In einer Ecke stehen zwei Jugendliche, starren auf ihre Smartphones. Keine Eltern? Nein, keine Eltern hier.

"Wir wissen, dass unbegleitete Minderjährige in solchen Situationen besonders gefährdet sind, Opfer von Kriminellen zu werden", so hatte es EU-Innenkommissarin Ylva Johansson im EU-Parlament gesagt. Es gebe Berichte von Straftätern, die sich seit Ausbruch des Ukraine-Kriegs als Angehörige von Waisen ausgäben und diese dann in anderen Ländern ausbeuteten. "Menschenhandel ist das profitabelste Verbrechen überhaupt", sagte Johansson. „Wir sind verpflichtet, diese Kinder zu schützen."

Ja, das sind wir.

Von alters her wird eine gute Regierung gemessen daran, dass sie den Elenden Recht schafft und den Armen hilft, so heißt es im Ersten Testament der Bibel, in Psalm 72. Und: dass die Bedränger aber zermalmt werden.

Es ist so gut zu hören, dass die offiziell Vermittelten und ihre Gastgeber mit Ausweis und Telefonnummer nachprüfbar sein müssen. Dann können die Geflüchteten nach einigen Tagen angerufen werden und sagen, ob es ihnen gut geht.

Wie schön wäre es, sie könnten viel später einmal über uns sagen, wir hätten sie warm eingepackt. So, wie es das Gottesvolk immer wieder erfahren hat, und zu Gott gebetet hat: „Du bist der Geringen Schutz gewesen, der Armen Schutz in der Trübsal, eine Zuflucht vor dem Ungewitter, ein Schatten vor der Hitze, wenn die Tyrannen wüten wie ein Unwetter im Winter.“ (Jes 25,4)

Ulrike Greim

https://rundfunk.evangelisch.de/kirche-im-radio/morgenandacht/fasst-sie-nicht-12597


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