03.06.2022
Gedanken zur Nacht: Ukrainisches Gebet

Sie hat gebetet. Einfach nur gebetet. „Gott, hol uns hier raus.“ Irgendwann hatte sie nicht mehr mitgezählt, wie lange sie in diesem Keller saßen. Die beiden Kleinen wurden auch immer stiller. Zu hören, wie Bomben fallen, ist wie sterben, nur dass man weiterlebt.

Dann kam die erlösende Nachricht: Ein Bus. Er fährt uns aus der Stadt. In Sicherheit.

„Gelobt sei. Gott,“ betet sie. „In Ewigkeit, Amen!“ Sie nimmt die Kinder, die paar Habseligkeiten und schleppt sich zum Ausgang. Das Licht blendet. Gefühlt sind es Stunden, bis der Bus endlich losfährt. Durch zerstörte Dörfer. Ein Albtraum.Dann kommen sie in Polen an, endlich warmer Tee, eine Suppe, freundliche Menschen.

„Der Herr ist mein Licht und mein Heil,“ betet sie,
„vor wem sollte ich mich fürchten?“
Sie klammert sich an die alten Worte, die ihr seit Kindertagen vertraut sind.
„Der Herr ist meines Lebens Kraft;
vor wem sollte mir grauen?“

Sie ist zu erschöpft, um alles mitzukriegen. Sie merkt nur: Wir sind in Sicherheit. Die beiden Kinder fallen auf die Liegen und schlafen gleich ein, trotz des Lärms.

„Wenn sich auch ein Heer gegen mich lagert,
so fürchtet sich dennoch mein Herz nicht;
wenn sich Krieg gegen mich erhebt,
so verlasse ich mich auf ihn.“

Es ist, als betet etwas in ihr. Etwas, das weitergeht, trotz all des Chaos.

Zeig mir deinen Weg, Gott, betet sie, während ihr die Augen zufallen.

Eine gute Nacht auch allen, die in friedlichen Gegenden unterwegs sind, wünscht aus Weimar.


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