24.12.2021
Christvesper 2021 in Jena: Stadtkirche St. Michael, Regionalbischöfin Dr. Friederike F. Spengler

Predigttext: Micha 5,1-4
51Und du, Bethlehem Efrata, die du klein bist unter den Tausenden in Juda, aus dir soll mir der kommen, der in Israel Herr sei, dessen Ausgang von Anfang und von Ewigkeit her gewesen ist. 2Indes lässt er sie plagen bis auf die Zeit, dass die, welche gebären soll, geboren hat. Da wird dann der Rest seiner Brüder wiederkommen zu den Israeliten. 3Er aber wird auftreten und sie weiden in der Kraft des Herrn und in der Hoheit des Namens des Herrn, seines Gottes. Und sie werden sicher wohnen; denn er wird zur selben Zeit herrlich werden bis an die Enden der Erde. 4Und er wird der Friede sein. (Luther 2017)

Gnade sei mir Euch…
Vom Pult aus:
Liebe Gemeinde, der Prophet Micha malt mit Farben des Geistes ein Bild. Ein göttliches Bild: „Es wird Friede sein!“ Weder um das Jahr 700 v.Chr. herum, als Micha im Südreich des heutigen Israel unterwegs war, noch heute bei uns Realität.

„Ein Kind soll euch geboren werden, ein Friedensbringer“. Einer, der nicht eher ruhen wird, bis die Benachteiligten gesehen und am Leben beteiligt werden. Einer, der das Volk zusammenführen wird aus allen Himmelsrichtungen. Einer, der die Völker gerecht richtet und ihre Waffen zu Ackergeräten umschmieden lässt. Einer, der Gottes Ziel für alle Menschen umsetzt: Wohnend unter seinem Feigenbaum und Weinstock darf jeder sein und muss kein Aufschrecken fürchten. Friede auf Erden für immer!

Ach, Micha! Welche Sehnsucht rufst du in uns wach, wie gern würden wir dir weiter lauschen und uns mit hineinnehmen lassen in ein wunderbar-friedliches Weihnachtsfest. Doch das, was du sagst, ist Zukunftsmusik. „Es wird sein in den letzten Tagen…“ Bis dahin, heute, am Heiligen Abend hier in Jena, lernen wir dich auch noch von einer ganz anderen Seite kennen.

Micha, du Herausgerufener, Prophet in einem selbstzufriedenen, satten und träge-gewordenen Volk, gesandt zu uns, die alles wünschen, nur keine Irritation! Micha, der sich traut – weil betraut von Gott – einen Satz laut auszusprechen, den ihm die Leute damals und wir heute wohl auch garantiert übelnehmen. Den Satz: „Nichts ist gut!“. So etwas sagt man nicht, Micha! Niemals! Schon gar nicht, wenn man nicht um ein kritisches Statement gebeten wurde, vielmehr um eine Bestätigung. Eine Streicheleinheit.

Micha verweigert ein „Alles ist gut!“. Micha ist nur Gott Gehorsam schuldig. Ja, er muss Gott gehorchen. Er ist sein Sprachrohr. Und das, was Gott uns sagen will, ist genau dies „Nichts ist gut!“ Was erdreistet ihr euch, spricht Gott, nach wie vor das Recht mit Füßen zu treten. Was fällt euch ein, nach wie vor die Armut wachsen zu lassen und nichts gegen die Ausbeutung derer zu tun, die euren Reichtum finanzieren? Was lasst ihr Menschen am ausgestreckten Arm erfrieren und sorgt euch stattdessen darum, politisch korrekt zu sein? Seid ihr sicher, dass allein Wirtschaftswachstum lebenswichtig ist?“ Ach Micha, was sagst du da, das passt doch nicht zu Weihnachten! Müssen wir gerade heute über Probleme in unserer Gesellschaft sprechen? Wir haben Corona! Uns geht es nicht so gut. Kannst du dir nicht bitte deine Worte aufheben, wenn mal nicht so viele da sind und wir alle einfach ein schönes Fest haben wollen? Ein wenig Zerstreuung und ein gutes Gefühl? Schau dir doch den schönen Weihnachtsbaum an…
Micha, der tapfere Prophet, bleibt dabei. „Ihr lebt und handelt, ohne bereit zu sein, Antwort zu geben auf das, was Gott für die Welt will. Das ist verantwortungslos! Um Gottes willen“, ruft Micha „es ist dir doch gesagt, Mensch: Richte dein Handeln an Gottes Gebot aus, übe Liebe und halte dich nicht selbst für Gott.“ Natürlich hast du recht, Micha. Wir müssen unser Leben ändern. Es ist höchste Zeit. Aber wir schaffen es nicht aus eigener Kraft. Wir brauchen einen Ort, an dem wir der Sehnsucht nachgehen können. Wir brauchen einen, der uns anleitet, den Frieden zu leben und Gerechtigkeit unter uns wachsen zu lassen, einander gerecht zu werden! Kennst Du solch einen Ort und solch einen Friedenslehrer für uns, Micha?

51Und du, Bethlehem Efrata, die du klein bist unter den Tausenden in Juda, aus dir soll mir der kommen, der in Israel Herr sei, dessen Ausgang von Anfang und von Ewigkeit her gewesen ist.

Du sprichst von Bethlehem. Und dass der Friedenbringer aus diesem kommen soll. Aus diesem winzigen Flecken auf der Landkarte. Du räumst das Vorrecht, Geburtsort des Königs der Welt zu sein, nicht der Hauptstadt Jerusalem ein, was für eine Provokation! Damals schon. Und heute erst. Wenn du wüsstest, Micha! Bethlehem liegt im palästinensischen Autonomiegebiet. Umgeben von einer meterhohen Mauer und Grenzposten. Jeder wird kontrolliert, der hier herein- und herauswill und nachts sind die Schotten dicht. Von hier soll Frieden ausgehen? Schwer vorstellbar. Und doch bleibst du dabei: Aus dieser kleinen Stadt, von der du selbst sagst, sie gehöre nicht mal unter die ersten Tausend in Juda, aus dieser kleinen, aufgerüsteten und ganz und gar unfriedlichen Stadt, soll unser Friede kommen. Aus Bethlehem, in dem die Geburtskirche sorgfältig aufgeteilt und abgetrennt ist, damit die christlichen Konfessionen nicht in Streit untereinander geraten, was Ihres ist, aus Bethlehem, wo nichts gut ist! „Ja“, sagt Micha, „macht euch auf nach Bethlehem.“ Das hat doch auch der Engel gesagt, wir erinnern uns. „Geht nach Bethlehem und ihr werdet finden das Kind!“ Die Hirten auf den Feldern haben deine Worte wohl gekannt, Micha. Vielleicht haben sie sich nicht sofort erinnert, schließlich waren jene prophetischen Sätze einige tausend Generationen her. Und dennoch hatte sich nichts daran geändert, dass Bethlehem nicht zum Frieden taugte. Die Hirten werden also erinnert an den Ursprung der Friedenshoffnung. Du hattest ihnen das Bild mit den Farben des Geistes ausgemalt: Von Bethlehem wird Frieden ausgehen! Deine Worte, nein vielmehr Gottes Wort.

Um den Frieden zu finden, machen wir uns auf. Kommt und seht!

Vom Pult zur Krippe:
„Fürchtet euch nicht, siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren ist. Denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus der Herr. Und das habt zum Zeichen: Ihre werdet finden das Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegend. Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen.“ - Und sie kamen eilend und fanden beide, Maria und Josef und dazu das Kind in der Krippe liegend.

Was wir in der Krippe sehen, ist ach so alltäglich: ein Kind. So, wie in jeder Sekunde auf der Welt eines geboren wird. Ganz alltäglich. Dieses Kind unterscheidet sich zunächst auch nicht von jenen Kindern, die heute Abend in den Slums um Kalkutta, in einem Haus auf den Philippinen oder in einem Flüchtlingslager auf Samos geboren werden. Dieses Kind in der Krippe ist: sehr arm. Keineswegs mächtig. Bescheiden und alltäglich. Nackt und frierend. Gott im Stroh.

Ich erkenne in ihm: Gott und Erfolg, Gott und Glück, Gott und Gesundheit scheinen nicht zwangsläufig zusammen zu gehören. Denn auch Gott und Unglück. Gott und Scheitern, Gott und Krankheit gehören dazu. Ich erkenne, dass Gott im Kleinen beginnt und das Große umfasst. Dass Gott das Unglück in seine Hände nimmt und wenden kann. Dass Gott das Scheitern mit mir aushält und in Krankheit nur ein Gebet weit entfernt ist.

In Windeln gewickelt finden wir Gott und reiben uns verwundert die Augen: Der Friedefürst, so anders als erwartet. Sein ist nicht das Heer der Stärke, nicht die Macht der Könige und der Reichtum der Besitzenden. Dieses Kind ist so anders: Es wird seine Ellenbogen nicht einsetzen, um sich durchzusetzen. Es wird vielmehr die andere Wange hinhalten, wenn er auf die eine geschlagen wird. Er wird sich windige Gestalten in seine Mitarbeiterschaar holen und Menschen nahekommen, um die andere lieber einen Bogen machen. Er wird von Blumen, Vögeln und Fischen predigen und Reichtum und Besitz dem Rost anheimgeben. Er wird den Lahmen aufhelfen, den Gebeugten die Last abnehmen und die Unsichere an die Hand nehmen. Das Kind wird Tränen abtrocknen und sein Trost wird Balsam für die Seele sein. Dieses Kind ist der „Immanuel“ – „Gott mit uns“ und ist ein Versprechen. Gottes Versprechen. Er ist selbst dieses Kind und zieht die irdische Kälte der paradiesischen Himmelwärme vor. Die Größe dieses Kindes liegt genau darin, Gott wirken zu lassen und nicht sich selbst.

Liebe Gemeinde, ja, es bleibt wohl die Herausforderung des Weihnachtsfestes, Unfrieden und Elend weltweit ebenso auszuhalten und mit dem neugeborenen Kind zusammenzubringen, wie die Situation in unserer Gesellschaft. Wir sind hier an der Krippe, nicht um das Kind zu beschenken, sondern um uns von diesem Kind beschenken zu lassen. Gott macht mit uns Frieden! Dieser Friede geht von diesem Kind aus. Dieser Friede ist so umfassend, dass die Weihnachtsbotschaft das Zeug hat, auch eine gespaltene Gesellschaft, eine zerstrittene Familie, eine zerbrochene Liebe, eine getrennte Freundschaft wieder zusammen zu bringen. 

Im festen Vertrauen darauf, dass ihm dies gelingt, bete ich: „Du Kind in der Krippe. Deine Liebe zu uns ist zum Niederknien. Wir erkennen in dir unseren Messias. Du bist bei uns. Heute. Ganz nah. Vor dir gilt nicht geimpft, genesen oder getestet. Alle werden gesehen und geliebt. Dein Lächeln strahlt durch die Zeiten und erreicht mich: Du, mein Lichtpunkt, mein Funken Hoffnung, mein Sehnsuchtsort, mein Zuhause. Du bringst den Himmel auf die Erde. Klein fängst du an. Damit die Weihnachtfreude groß werde.“ Amen

Und der Friede Gottes, der uns in diesem Kind geschenkt ist, bewahre und erhalte eure Herzen und Sinne.

Lied: „Ich steh an deiner Krippen hier“


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