23.03.2021
Gottesdienst zur Verabschiedung des Beauftragten der Evangelischen Kirchen bei Landtag und Landesregierung in Thüringen, OKR Christhard Wagner, und zur Einführung von OKR Dr. André Demut in dieses Amt, 23. März 2021 in der Thomaskirche zu Erfurt

Predigt zu Hebräer 11, 1  (OKR Dr. André Demut)

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen! Amen.

Liebe Gemeinde,
„Es ist aber der Glaube eine feste Zuversicht dessen, was man hofft und ein Nichtzweifeln an dem, was man nicht sieht.“
Mit diesem Satz beginnt der Bibeltext, der nach Leseordnung der Evangelischen Kirchen in Deutschland am kommenden Sonntag in den Gottesdiensten ausgelegt werden soll.
„Es ist aber der Glaube eine feste Zuversicht dessen,
was man hofft …“ –
das klingt nach einem Zirkelschluss,
nach einer Binsenwahrheit.
Der Glaube als feste Zuversicht.
Na gut.  
Spannend wird es, wenn wir in den griechischen Text schauen. Auch die revidierte Lutherbibel aus dem Reformationsjubiläumsjahr 2017 gibt in einer Fußnote einen Hinweis, der aufhorchen lässt.
Wo Luther „Zuversicht“ übersetzt, steht im Urtext „hypostasis“, lateinisch „substantia“ – und das ist so ziemlich das Gegenteil einer subjektiven Geisteshaltung, an die wir beim Wort „Zuversicht“ zu denken geneigt sind.

„Es ist aber der Glaube die Substanz dessen, was wir hoffen.“

Hypostasis, substantia, wörtlich: „das darunter-Stehende unserer Hoffnung“, ihre „Grundlage“ – so die kleine Fußnote in der revidierten Lutherbibel von 2017.
Der Glaube als die Grundlage unserer Hoffnung. …

Was ist die Grundlage unserer Hoffnung darauf, dass wahrhaft menschliches Leben möglich ist in dieser Welt?
Ein Leben, sicher nicht in romantisch-naiver Harmonie mit Allem, was so begegnet – aber doch mit Respekt vor den Anderen – und das wechselseitig zwischen allen, wie fremd sie sich auch sonst sein mögen?!

Was ist die Grundlage unserer Hoffnung darauf, dass ein gutes Leben, ein Leben in Resonanz mit allen Mitgeschöpfen gelingen kann? Ein Leben, das nicht Mitgeschöpfe und Mitwelt gnadenlos ausbeuten muss, um selbst bestehen zu können?

Was ist die Grundlage unserer Hoffnung darauf, dass ein Leben möglich ist, welches auch in großen Bedrängnissen und Katastrophen die Nerven nicht verliert, zuversichtlich lebt und – wenn die Stunde gekommen ist – getröstet stirbt?
Was ist die Grundlage unserer Hoffnung auf eine wahrhaft menschliche Gesellschaft?

Für den Schreiber des Hebräerbriefes ist der Glaube die Grundlage dieser Hoffnung.
Und bitte: „Glaube“ ist hier nicht verstanden als inhaltlich leere, rein subjektiv-emotionale Geisteshaltung – Fanatiker und Terroristen „glauben“ auch irgendwas.
Und auch jene milde liberal-protestantische Gläubigkeit des Glaubens an sich selbst ist hier nicht gemeint. So etwas hat mich nie wirklich überzeugt.
Ein Glauben an den Glauben ohne präzise Bezeichnung, was wir denn da so glauben ist entweder langweilig oder gefährlich.

Der Glaube im Hebräerbrief jedenfalls blickt auf den menschlichen Gott in Jesus Christus.
Der Glaube im Hebräerbrief blickt darauf, dass wir noch lange nicht am Ziel sind, solange einem oder einer der geringsten Schwestern und Brüder Jesu Christi der Respekt, die Menschenwürde und ein gutes Leben vorenthalten werden.
Der Glaube im Hebräerbrief rechnet damit, dass in der Tiefe der Welt durch diesen Christus – durch sein Leiden und Sterben – etwas versöhnt und geheilt wurde, was kein Hass und keine Katastrophe wieder zerstören kann.

Was ist die Grundlage unserer Hoffnung – Ihrer und meiner Hoffnung auf eine menschlichere Welt?

Ich meine das als offene Frage.

Das dürfen Sie jetzt ruhig dialektisch verstehen.
Ich habe Ihnen eben erzählt, was für mich als Christ die Grundlage meiner Hoffnung auf eine menschlichere Welt ist. Ich hielte es für unredlich, Ihnen das vorzuenthalten.
Und zugleich kann ich diese Frage ernsthaft stellen und dabei offen und neugierig auf das hören, was für andere Menschen die Grundlage ihrer Hoffnung auf eine menschlichere Welt ist.

Was trägt Sie durch die Mühen der Ebene im oft knallharten politischen Tagesgeschäft?
Was ist die Substanz Ihres Einsatzes für eine menschlichere Welt?
Was lässt Sie weitermachen, auch dann, wenn es manchmal knüppeldick kommt?  
Was ist die Substanz, was ist die Grundlage Ihrer Hoffnung auf eine menschlichere Welt?

Die Antworten, die unterschiedliche Menschen auf diese Frage geben, können und werden immer unterschiedlich sein.  
Was jedoch nicht zur Disposition steht und was um Himmels und der Menschen willen niemals zur Disposition gestellt werden darf ist unsere Sehnsucht nach einer menschlicheren Welt.
Ist unsere Hoffnung auf ein gutes Leben mit allen Mit-Geschöpfen.
Ist unsere Leidenschaft für eine menschlichere Welt.
    
Der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn. Amen.


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