16.07.2023
Predigt zu Jes 43,1-7, Gera-Pforten mit Entwidmung der Kirche „St. Michael“, Regionalbischöfin Dr. Friederike Spengler

Predigt zu Jes 43,1-7, Gera-Pforten mit Entwidmung der Kirche „St. Michael“, 6. n. Trin., 16.07.2023

Predigttext: Jesaja 43
1 Und nun spricht der HERR, der dich geschaffen hat, Jakob, und dich gemacht hat, Israel: Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein!
2 Wenn du durch Wasser gehst, will ich bei dir sein, dass dich die Ströme nicht ersäufen sollen; und wenn du ins Feuer gehst, sollst du nicht brennen, und die Flamme soll dich nicht versengen.
3 Denn ich bin der HERR, dein Gott, der Heilige Israels, dein Heiland. Ich habe Ägypten für dich als Lösegeld gegeben, Kusch und Seba an deiner statt,
4 weil du in meinen Augen so wertgeachtet und auch herrlich bist und weil ich dich lieb habe. Ich gebe Menschen an deiner statt und Völker für dein Leben.
5 So fürchte dich nun nicht, denn ich bin bei dir. Ich will vom Osten deine Kinder bringen und dich vom Westen her sammeln,
6 ich will sagen zum Norden: Gib her!, und zum Süden: Halte nicht zurück! Bring her meine Söhne von ferne und meine Töchter vom Ende der Erde,
7 alle, die mit meinem Namen genannt sind, die ich zu meiner Ehre geschaffen und zubereitet und gemacht habe.

Gnade sei mit euch und Friede…

Die Geschichte einer Taufschale ist mir unvergesslich: Wir waren damals mit unseren Kindern in der fränkischen Schweiz im Urlaub und die Verhandlungen mit den Knripsen darüber, wie viele Kirchen wir an diesem Tag besuchen durften, war gerade zu unseren Gunsten ausgefallen. Also rein in die barocke Dorfkirche. Ich stand vor dem alten Taufstein, in dessen Aussparung für die Schale ein großes Foto von der sicher verwahrten Taufschale lag und dessen Geschichte darunter vermerkt war: Am Neujahrstag des Jahres 1917 wurde hier ein Säugling namens Fritz getauft. Die Eltern waren voll Dankbarkeit und Fürsorge für ihren Sohn und hatten in der Taufe Schutz und Segen für das junge Leben erbeten. 23 Jahr später, im Frühjahr 1940, starb Fritz im zweiten Weltkrieg. Viel zu früh aus dem Leben gerissen. Die Eltern von Fritz haben der Taufkirche ihres Sohnes eine silberne Schale gestiftet. Bei jeder Taufe steht sie seither dort. Auf dem Rand der Schale ist der erste Satz unseres heutigen Predigttextes eingraviert: „Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst. Ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein.“ Es berührt mich sehr, dass diese Eltern sich durch Gottes Zusage in ihrer tiefen Trauer begleiten ließen. Der Satz konnte sie trösten. Er gab ihnen etwas Verbindliches von Gott mit, wohl die Gewissheit, dass kein Tod ihren Fritz von Gott trennen kann. Sie konnten ihm nun nicht mehr Mutter und Vater sein. Jetzt hielten sie sich daran fest, dass Gott ihm auf ewig Vater und Mutter bliebe.

„Beim Namen gerufen sein“. Im Judentum wird der Name bei Jungs im Zusammenhang mit der Beschneidung - oder wie auch bei Mädchen - im Umfeld eines Synagogengottesdienstes vor den Ohren der Gemeinde ausgesprochen. Dass die Aufgabe dem Vater zufiel, hatte stets auch etwas mit der öffentlichen Anerkennung des Kindes und der Übernahme darauf resultierender Fürsorge zu tun. Bei Adoptionen wurde deshalb mit der Hinzufügung eines zweiten Vornamens diese Aufgabe von den neuen Eltern übernommen. In der rabbinischen Auslegung heißt es, jeder Mensch habe drei Namen: Einen, den die Eltern bekanntgegeben haben, einen, unter dem Freunde und Bekannte ihn kennen und den dritten, den man sich durch sein Tun an den Mitmenschen, also durch gute oder weniger gute Taten erworben hat. Dabei ist jeder Name wichtig. Er ist ein Identifikationsmerkmal, sagt etwas aus über den Träger. Manchmal ist er ein Wunsch, manchmal wird mit dem Namen eine bestimmte Hoffnung formuliert.

Normalerweise hat sich keiner seinen Namen ausgesucht. Kinder machen erst Stück um Stück die Erfahrung, dass die Nennung eines Namens mit ihnen verbunden wird, lernen, mit dem Namen zu leben. Namen prägen auf ganz eigene Weise. Jesaja schreibt: Gott vergisst keinen Namen. Wir halten Namen auf unterschiedliche Weise fest: die leinernen Handtücher meiner Großmütter sind mit Initialen geziert. Heute steht der Name des Kindes vielleicht auf Brotdose, Trinkflasche und Rucksack. Wir haben Pässe und Versicherungspolicen mit unseren Namen. Eine Werbung für Kreditkarten warb früher mit dem Spruch „Bezahlen sie mit ihrem guten Namen.“  Unsere Namen steht auf dem Schulzeugnis und dem Gesellenbrief, auf dem Führerschein und auf der Steuererklärung, auf Taufurkunde, Patientenverfügung und im Sterberegister. Von alten Grabsteinen wissen wir, welche Namen in den Jahrhunderten vor uns modern waren und wer hier im Ort lebte. Unsere Namen begleiten uns ein ganzes Leben; unsere Benamung holt uns aus der Anonymität und lässt uns individuell zu einer unverwechselbaren Person werden. Aber selbst, wo Namen ausgelöscht und damit eine Erinnerung verhindert wird, wo wir in unserer Kultur der „namenlosen Opfern“ gedenken: Gott vergisst keinen Namen. Und mit ihnen stehen wir in der Kontinuität der großen Geschichte seit Jakob und Israel. Wir sind Teil der Gott unvergesslichen Geschöpfe vom ersten Menschen an.

Gott verspricht sich uns: „Wenn du durch Wasser gehst, will ich bei dir sein, dass dich die Ströme nicht ersäufen sollen; und wenn du ins Feuer gehst, sollst du nicht brennen, und die Flammen sollen dich nicht versengen“, so führt der Predigttext weiter aus. Schwere Situationen, Wasser bis zum Hals, das alles gehört wohl oder übel zum Leben hinzu. Aber mit Gottes Zusage sind wir niemals ein „Nichts“, niemals nur „Opfer“ oder „Täter“, nie auf das reduziert, was andere über uns sagen oder wir selbst von uns meinen (Gott sei Dank!). Vielmehr stellt sich Gott uns an die Seite und sagt „Dich meine ich.“

Die Eltern von Fritz ließen auf der Taufschale nicht sein Geburts-, oder sein Sterbejahr eingravieren. Beides steht nur in den Kirchenbüchern. Auf der Schale ist das Taufdatum eingraviert: Unser Name, dein und dein und mein Name sind mit Gottes Namen verbunden. Unverbrüchlich. Komme, was wolle. Auf welchen Abwegen wir auch unterwegs sind: Gott nennt uns mit Namen. Ruft uns. Will verändern und erneuern, legt uns nicht fest auf unser Tun. Aber hofft, dass wir unsere Taten daran messen lassen, dass er uns vorbehaltlos beim Namen ruft.

Liebe Gemeinde, als nach der Wende die Pfarrämter mit Fragen zu Familiengeschichten so überschwemmt wurden, dass wir Unterstützung in der Verwaltungsarbeit brauchten, ging es selten um historische Details, viel öfter um die Einordnung und Verbindung des eigenen Namens.
„Namen sind Schall und Rauch? Ja und nein. Ja, wenn es um die eigene Bedeutungssucht geht. Nein, wenn ich wissen will, aus welcher Geschichte meine Geschichte erwachsen ist. Die Sehnsucht, diese zur eigenen Selbstvergewisserung zu kennen, ist groß. Das hat etwas mit Identität zu tun. Gerade auch, weil wir wissen, dass wir alle sterblich sind. Weil wir ahnen, dass alles fällt – auch Mauern von vertrauten Kirchen, die eine Weile wie ein Schutzraum, ein Körper für die Gemeinde waren. „Denn wir haben hier keine bleibende Stadt…“ Das gilt. Aber der Satz aus dem Hebräerbrief geht noch weiter „sondern die Zukünftige suchen wir.“ Der Bogen zwischen dem Zurücklassen und der aufbrechenden Suche ist unser Name. Gott ruft uns und spricht damit seine Liebeserklärung aus, die alles übersteigt. Gott spricht „Ich gebe Menschen an deiner statt und Völker für dein Leben.
5 So fürchte dich nun nicht, denn ich bin bei dir. Ich will vom Osten deine Kinder bringen und dich vom Westen her sammeln,
6 ich will sagen zum Norden: Gib her!, und zum Süden: Halte nicht zurück! Bring her meine Söhne von ferne und meine Töchter vom Ende der Erde“

Auch die Verscharrten und heimlich Entsorgten, auch die Ungeborenen und ohne Segen aus der Welt Gegangenen, auch die Vermissten und die von keinem Erinnerten -  sie alle werden bei ihrem Namen genannt, erhalten von Gott selbst, in seinem ewig gültigen Namen: Wie in der Taufe jedes Mädchen eine „Christin“ und jeder Junge mit zweitem Namen „Christ“ heißt. Das hat Ewigkeitscharakter. Ist Zeitlos. Maßlos im besten Sinne des Wortes. Das „Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst, ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein.“, gilt. Und es überdauert Taufschalen ebenso wie Kirchenräume. Gemeinde ist dazu da, einander daran zu erinnern. Immer wieder. Das ist auch euer Auftrag. Amen

Und der Friede Gottes…


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