Augenblick mal, MDR, Radio, Radio-Andacht, Radio-Andachten, Radioandacht, Radioandachten,

25.05.2021
Für die Seele sorgen

Michael betreibt das Café an der Ecke seit einer gefühlten Ewigkeit. Es gehört dazu, zum Leben in diesem Viertel. Man geht zu ihm zum Kaffeetrinken und Plauschen. Seine Kuchen und Torten sind exquisit. Oft genug sitzt man bei ihm an lauen Sommerabenden draußen unter dem Flieder und freut sich des Lebens.

Mit dem Lockdown hat Michael natürlich zugemacht. „Wir sind ganz viel spazieren gegangen“, sagt er. „Wir haben Wanderwege entdeckt, bei denen wir nicht einmal ahnten, dass es sie gibt. Wir haben unsere Gegend entdeckt. Früher haben wir alle Kraft und Zeit nur in das Café gesteckt. Jetzt hat uns das Leben genötigt, umzudenken.“

Mittlerweile läuft der Außer-Haus-Verkauf ganz gut. Er hat den kleinen Tisch an der Tür stehen. Die Kunden kommen. „Reich wird man davon nicht“, sagt er, „aber immerhin kommt etwas Geld rein.“

Michael hat schon oft in seinem Leben umgeplant. Nach dem Tod seiner ersten Frau, als er dachte, die Welt steht still. Und dann kann Bärbel, und er hat das Café wieder aufgemacht. „So ist es doch,“ sagt er „wir haben unser Leben nicht in der Hand.“

Und nun merkt er, wie die Leute länger bleiben. Die einsame Dame aus dem Haus gegenüber. Sie holt einen Kaffee, obwohl sie den zuhause billiger haben könnte, und ein Stück Erdbeerkuchen. Und sie plauscht. Über Kinder und Enkel, den Frühling. Auch der junge Mann, der den Fotoladen hat, kommt öfter. Michael vermutet, er hat sonst niemanden zum Reden. So sprechen sie auch mal eine Stunde lang. „Plötzlich bist Du Seelsorger“ sagt Michael. Ja, sorge für die Seelen, lieber Michael. Mit all deiner Weisheit, mit einer klugen Frage und mit Erdbeerkuchen.

Ulrike Greim, Weimar, Evangelische Kirche.


Bleiben Sie mit unseren Newslettern auf dem Laufenden.

Hier Abonnieren

Die besten News per E-Mail - 1x pro Monat - Jederzeit kündbar