26.06.2018
Bergab

Sie hasst es, wenn es bergab geht.

Beim Wandern, und beim Radfahren ganz besonders.

Bergauf ist es zwar anstrengend, aber da findet sie ihren eigenen Schritt und ihr Tempo. Stück für Stück. Da ist sie ganz bei sich.

Da hat sie ein Ziel, da steht noch etwas aus, da will sie hin.

Bergab ist ganz anders, das geht auf die Knie, das läuft ihr zu schnell, oder sie muss ihren Lenker gut festhalten, da hat sie Angst vor dem Tempo, was sie nicht mehr überschauen kann. Da gewinnt etwas an Fahrt. Und sie will nicht nach unten. Sie will nach oben.

Sie hasst es, wenn es bergab geht.

Jetzt, im Sommer, wird sie 60. Noch kein Alter. Sie steht mitten im Leben. Gefühlt. Auch wenn sie weiß, dass sie die Mitte längst überschritten hat. Dennoch: 60 fühlt sich gut an. Wie Gipfel erklommen. Bergfest.

Was kommt jetzt?
Sie will nicht, dass es bergab geht.

Dass die Knochen schmerzen, ihr Namen nicht mehr einfallen, und sie nicht weiß, wo es jetzt hingeht.

Ich will euch tragen bis ins Alter. Das hatte ihre Großmutter manchmal gesagt, eher zu sich selbst, wenn ihre Gelenke nicht mehr mitmachen wollten.

Ein Vers aus der Bibel. Ihre Großmutter war eine fromme Frau. Als Kind hatte sie über diesen Spruch geschmunzelt. Jetzt kam er ihr manchmal in den Sinn.

Ich will euch tragen bis ins Alter, spricht der Allmächtige.

Was, wenn es nicht mehr weiter bergauf geht? Ob sie sich tragen lassen kann? Sie will es gerne lernen und üben. Spüren, dass andere Kräfte sie tragen. Dem Vers ihrer Großmutter  trauen.

Morgen will sie im Kleinen anfangen und es ausprobieren. Und sich von ihrem Nachbarn die Wasserkiste hochtragen lassen. Er hatte es immer schon so nett angeboten. 

Ich wünsche Ihnen die gute Erfahrung, getragen zu sein.

Pfarrerin Elisabeth Wedding aus Jena.


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