26.04.2023
Petra und ihre Schwäche

„Du Schwuchtel!“, hat meine frühere Konfirmandin Petra als Erstes nach dem Aufwachen zu ihren Schlafraum-Genossinnen gesagt. Dann wegen ihrer Verletzung am Fuß: „Wenn ich jetzt laufe, seh‘ ich behindert aus.“ Den ganzen Tag ist das damals so gegangen auf unserer Konfifahrt. „Machen Sie sich nichts draus, Frau Pfarrerin, so sprechen die Jugendlichen heute eben“, haben da Eltern zu mir gesagt. Es sei doch gut, dass die jungen Leute heute direkter sind. Petras Mutter meinte: „Ich mag ihre ehrliche Art.“ Ganz ehrlich? Das will ich jetzt auch mal sein: ich finde es gut, wenn jemand direkt ist. Es spart Zeit, ist manchmal zum Lachen und kann Dinge klären. Aber hier geht es um mehr. Mit dem Wort „Schwuchtel“ wurden früher homosexuelle Männer beschimpft, weil sie sich in den Augen der anderen zu weiblich verhalten haben. Sie waren anders und wurden dafür abgewertet. Und behindert zu sein ist meist schmerzhaft, belastend für die betreffende Person und die um sie herum. Nichts, worüber man sich lustig machen muss. Denn man kann doch auch Witze machen, ohne andere zu beleidigen. Man muss andere nicht kleinmachen, um selbst stark zu sein. In einem Vers in der Bibel steht sogar: Der Gerechte hält fest an seinem Weg und wer reine Hände hat, nimmt an Stärke noch zu. Das heißt: ja – man kann direkt sein, sich nicht verbiegen. Aber für diese Art von Stärke muss man nicht auf andere draufhauen – weder mit Händen noch mit Worten. Man wird in sich selbst immer stabiler.  

Solche Kraft wünsche ich Petra. Und ihrer Familie. Und Ihnen. Milina Reichardt-Hahn, evangelisch und Pfarrerin in Fambach


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