28.12.2022
Schwerelos im Weltall

Erst jetzt, wo er ein paar Tage frei hat, kann er es fühlen: Die Knochen sind schwer, er ist hundemüde, seine Seele hat keine Kraft mehr.

Dieses Jahr hat einfach zu viel von ihm verlangt.

Er ist ein Engagierter. Einer, der einen ordentlichen Job macht in seiner Firma, der ehrenamtlich auf vielen Hochzeiten tanzt. Der sich für andere krumm legt.

Zwei Flüchtlingsfamilien hat er begleitet. Eine aus dem Iran. Mehr als hundert Briefe hat er geschrieben, bis sie endlich geduldet waren. Und dann die Ukrainerin mit ihrer Mutter.

Wohnung besorgt, Behördengänge begleitet.

Und sein Naturschutzprojekt.

Jetzt merkt er, dass er verdammt noch mal Ruhe braucht.

Torsten kann nicht mehr. Es ist alles so hoffnungslos, sagt er. ‚Du hilfst an zig Stellen, aber es reicht hinten und vorne nicht. Du engagierst dich für die Umwelt, und die Leute lernen nichts dazu. Es wird alles vor die Wand fahren.‘

In der Nacht träumt er, wie er rennt und rennt und die Erde dreht sich immer schneller, und er rennt schneller und fällt hin. Und dann ist es, als treibe er schwerelos durchs Weltall.

Da kommt ein Engel. Er stellt ihm wortlos einen Teller mit frischem Brot hin und eine Karaffe Wasser und ein Glas Wein. Und Torsten isst und trinkt.

Als er am nächsten Morgen aufwacht, weiß er: Gott sieht mich.

Er hat mich nicht vergessen.

Was immer kommen mag, ich werde nicht verlorengehen.

Ulrike Greim, Weimar.


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