25.11.2020
100 Jahre Ev. Kirche in Thüringen | Grußwort von Landesbischof i.R. Dr. Christoph Kähler und dem Vizepräses der Landessynode Steffen Herbst

8. November 2020

100 Jahre Thüringer Kirche

Im Gottesdienst aus Anlass des Jubiläums am 8. November 2020
in der Georgenkirche Eisenach

Wir erinnern uns heute an die Geschichte der evangelischen Kirche in Thüringen, die 89 Jahre in diesem Land ihren Dienst getan hat. In diesem Gottesdienst und bei anderen Gelegenheiten dürfen wir Gott danken für alles, was in den Gemeinden, den Regionen und in der Landeskirche gelungen ist. Wir werden schwere Schuld nicht verschweigen, die Vertreter unserer Kirche auf sich geladen haben. Wir beklagen die Verfolgung, Unterdrückung und Benachteiligung, die viele Glieder unserer Kirche in zwei Diktaturen erfahren haben. Wir wissen, dass die umstrittene Geschichte dieser Kirche weiter erforscht und bedacht werden muss. Doch wir werden das, was gelungen ist und uns freut, wie das, was falsch und böse war und bis heute schmerzt, dem endgültigen – wie wir hoffen – gnädigen Urteil Gottes anvertrauen. Alles das in dem Wissen, dass wir selbst als Erben dieser Geschichte täglich um Gottes Vergebung für unsere Gedanken, Worte und Werke bitten müssen.

Unmittelbar nach dem ersten Weltkrieg überlegten neun kleine Landeskirchen in Thüringen, ob sie zusammengehen sollten. Es waren dann sieben, später acht selbständige Kirchen, die sich zu einer „Thüringer evangelischen Kirche“ vor genau hundert Jahren zusammenschlossen. Die entscheidenden Beschlüsse wurden mit einer unglaublichen Schnelligkeit innerhalb eines Jahres bis zum Dezember 1919 vorbereitet und gefasst, obwohl die führenden Vertreter sich zuvor kaum gekannt hatten. Aber Not lehrt beten –und gemeinsam zu handeln. Denn revolutionäre Politiker bekämpften damals in Thüringen die Kirchen offen und verdeckt.

Der Anfang der Thüringer Landeskirche ist bis heute alles andere als selbstverständlich. Aus sieben Landeskirchen eine Landeskirche zu bilden, ist eine ungeheure Aufgabe. In den zehn Jahren von 1999 bis 2008 wurde über den Weg einer Kooperation und Föderation aus nur zwei Landeskirchen die Evangelische Kirche in Mitteldeutschland gebildet: Daher können wir uns heute vorstellen, welches Engagement, welche Entschlossenheit und Zielstrebigkeit vor über 100 Jahren aufgebracht wurden, um in viel kürzerer Zeit mit viel mehr Partnern zu einer neuen Einheit zu gelangen. Wir stellen im Rückblick vor allem eins dankbar fest: Die evangelisch-synodalen Strukturen waren und sind leistungsfähig – in der Zusammenarbeit von kirchlich Aktiven im Ehrenamt, von Hauptamtlichen und von engagierten Vertretern der Theologischen Fakultät in Jena. In den 20er Jahren entwickelte sich die evangelische Kirche in Thüringen bewusst zur Volkskirche. Sie wollte keine Staatskirche mehr sein, sondern eine von den Kirchgemeinden, dem Kirchenvolk, verantwortete Kirche werden. Die unterschiedlichen Prägungen der verschiedenen Regionen blieben in aller evangelischen Freiheit erhalten – nur lutherisch wollte man bleiben. Das war das einigende Band.

Allerdings war eine solche Freiheit auch – Gott sei es geklagt – ein Einfallstor für die Zerstörung dieser Kirche durch die breite Übernahme nationalsozialistischer Ideen, Strukturen und Verhaltensweisen: Wenn eine Synode sich selbst aufgibt und alle Macht dem Bischof und dem hauptamtlichen Landeskirchenrat überträgt, Wahlen nicht mehr stattfinden, wenn die freie Rede und Gegenrede, die freie Verkündigung  abgeschafft werden, ja, wenn Bibel und Bekenntnis nicht mehr gelten sollen, so wie es 1933 in Thüringen geschah, zerstört das die Fundamente der Kirche. Wir sind dankbar für Christen in den Gemeinden, für Mitarbeiter und für Zusammenschlüsse, die dennoch ihren Glauben, ihre Menschlichkeit und ihren Anstand bewahrten. Wir nennen als Beispiel dafür die Lutherische Bekenntnisgemeinschaft. Nicht wenige ihrer Mitglieder wurden gemaßregelt, aus Thüringen verdrängt und verfolgt. Die Entrechtung und Ermordung von Pfarrer Werner Sylten ist ein besonders schrecklicher Tiefpunkt dieser Geschichte.

Vor 75 Jahren konnte sich diese Kirche auf ihre Grundlagen besinnen und orientierte sich neu an Bibel und Bekenntnis. Davon zeugte auch ihr neuer Name Evangelisch-Lutherische Landeskirche in Thüringen. Es hat in dieser Zeit redliche Versuche gegeben, die Volkskirche zu bewahren. Kompromisse und Zugeständnisse, die dafür gemacht wurden, werden heute oft kritisch beurteilt. Das trifft vor allem auf manche Alleingänge der Thüringer Kirchenleitung zu, die ohne die anderen Kirchen in der DDR geschahen. Wir sind heute dankbar, dass dieser Weg vor allem durch synodale Entscheidungen zunehmend verlassen wurde. Synodalpräsidentin Christina Schultheiß und Landesbischof Werner Leich haben dafür nach und mit anderen durch Courage und Klarheit gewirkt.

Nach der friedlichen Revolution und wegen der verheerenden Folgen der DDR-Planwirtschaft hat die Thüringer Synode erhebliche Mühe aufwenden müssen, um berechtigte Wünsche und finanzielle Möglichkeiten zusammenzuhalten. Das war ohne tiefe Einschnitte und für manche verletzende Eingriffe nicht machbar. Weiter hat sich Synode in langem Ringen und sorgfältigen Beratungen dafür entschieden, die Kräfte der Thüringer Kirche mit denen der Kirchenprovinz Sachsen zu vereinen, um Arbeitsmöglichkeiten in den und für die Gemeinden vor Ort zu erhalten.

Die Grundlage aller kirchlichen Arbeit formuliert unsere Verfassung so: „Jesus Christus schafft seine Kirche durch sein lebendiges Wort als Gemeinschaft von Schwestern und Brüdern.“ Daran wollen wir glauben, darauf wollen wir vertrauen, darauf wollen wir hoffen.

Steffen Herbst                                                                                               Christoph Kähler


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