15.06.2015
Stellungnahme zum Justizvollzugsgesetz
des Landes Sachsen-Anhalt vom Beauftragten der Evangelischen Kirchen bei Landtag und Landesregierung in Sachsen-Anhalt, Oberkirchenrat Albrecht Steinhäuser
Gesetzentwurf zur Weiterentwicklung des Justizvollzuges in Sachsen-Anhalt (Drs. 6/3799); Gesetzentwurf über die Einführung eines Jugendarrestvollzugsgesetzes und zur Än¬derung des Schulgesetzes des Landes Sachsen Anhalt (Drs. 6/1885) und Entschließungsantrag (Drs. 6/1886); Zweijahresbericht zur Lage des Jugendstrafvollzuges in Sachsen-Anhalt 2012 bis 2013 (Drs. 6/3645)
Sehr geehrter Herr Vorsitzender,
sehr geehrte Damen und Herren,
ich beziehe mich auf Ihre Einladung zur Anhörung in o.g. Angelegenheit, die uns mit Schrei¬ben vom 24. April erreicht hat, und danke für die Gelegenheit, die Haltung der evangelischen Kirchen in Sachsen-Anhalt vortragen zu können. Die Beteiligung am Anhörungsverfahren erfolgt ausschließlich auf diesem Wege, ein mündlicher Vortrag scheint uns im konkreten Fall entbehrlich.
Zu Drs. 6/3799:
Der Gesetzentwurf der Landesregierung sieht in § 28 die schulische und berufliche Aus- und Weiterbildung sowie die vorberufliche Qualifizierung im Vollzug mit der Zielsetzung vor, dem Gefangenen Fähigkeiten zur Eingliederung und zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit nach der Entlassung zu vermitteln sowie vorhandene Fähigkeiten zu verbessern oder zu erhalten. Der junge Gefangene ist vorrangig zur Teilnahme an schulischen und beruflichen Orientie¬rungs-, Berufsvorbereitungs-, Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen oder an speziellen Ma߬nahmen zur Förderung seiner schulischen, beruflichen oder persönlichen Entwicklung ver¬pflichtet. Zur Ermöglichung dieser Maßnahmen können Vollzugslockerungen gewährt oder als Behandlungsmaßnahme (keine Bestrafung!) verwehrt oder widerrufen werden. Diese Regelungen begegnen in Anbetracht dessen, dass die überwiegende Anzahl insbesondere der jüngeren Gefangenen über keinen Schulabschluss verfügt und aufgrund verzögerten Reifeprozesses für sich persönlich kaum einen Schulbesuch bzw. Bildungsprozesse zu initi¬ieren oder durchzuhalten vermag, keinen Bedenken.
Aufgrund unserer Stellungnahme zu § 41 des Referentenentwurfes hat die Landesregierung ausgeführt, dass der Schriftwechsel der Gefangenen mit den Seelsorgern aus verfassungs¬rechtlichen Gründen keiner Überwachung unterliegt und deshalb eine einfachgesetzliche Aufnahme nicht nötig sei (S.22 DrS. 6/3799). Begrüßenswert ist es insoweit, dass unsere Position hinsichtlich des Schutzes der Kommunikation zwischen Gefangenen und Seelsor¬gern bestärkt wurde. Die Schlussfolgerung, dass wegen der Selbstverständlichkeit dieses Schutzes keine einfachgesetzliche Regelung erforderlich sei, überzeugt jedoch nicht voll¬ständig, sodass wir weiterhin um Berücksichtigung im Gesetz bitten. Jedenfalls sollte in der Gesetzesbegründung klargestellt werden, dass es auch neben den in § 41 aufgezählten Kommunikationsformen eine geschützte Kommunikation u. a. mit den Seelsorgern gibt, deren verfassungsrechtliche Verankerung eine einfachgesetzliche Regelung entbehrlich machen.
Wie auch in unserer vorherigen Stellungnahme, die ausweislich S. 47 der DrS. 6/3799 inso¬weit auch Berücksichtigung finden soll, regen wir bei § 149 Abs. 1 an, redaktionell nach „Seelsorger“ einen Zeilenwechsel einzufügen, da sich der Rest des Satzes ab „unterliegen hinsichtlich...“ auch auf die Nr. 1–3 bezieht. In seiner derzeitigen Gestaltung wird der Ein¬druck erweckt, dass sich der Rest des Satzes nur auf Nr. 4 bezieht. Absatz 1 würde sich sodann wie folgt darstellen:
Derzeitige Fassung des Gesetzentwurfs
"(1) Die im Vollzug tätigen oder außerhalb des Vollzugs mit der Untersuchung, Behandlung oder Beratung von Gefangenen beauftragten
- 1. Ärzte, Zahnärzte, Apotheker
und Psychologische Psychotherapeuten oder Angehörige eines anderen Heilberufs, der für die Berufsausübung oder die Führung der Berufsbezeichnung eine staatlich geregelte Ausbildung erfordert, - 2. Diplom-Psychologen,
- 3. staatlich anerkannte Sozialarbeiter oder staatlich anerkannte Sozialpädagogen sowie
- 4. Seelsorger unterliegen
hinsichtlich der ihnen in der ausgeübten Funktion von Gefangenen anvertrauten oder sonst über Gefangene bekannt gewordenen Geheimnisse untereinander sowie gegenüber der Anstalt und der Aufsichtsbehörde der Schweigepflicht, soweit nichts anderes bestimmt ist. Dies gilt entsprechend für ihre berufsmäßig tätigen Gehilfen und die Personen, die bei ihnen zur Vorbereitung auf den Beruf tätig sind, nicht aber gegenüber dem Berufsträger."
Vorgeschlagene Fassung
(1) Die im Vollzug tätigen oder außerhalb des Vollzugs mit der Untersuchung, Behandlung oder Beratung von Gefangenen beauftragten
- 1. Ärzte, Zahnärzte, Apotheker
und Psychologische Psychotherapeuten oder Angehörige eines anderen Heilberufs, der für die Berufsausübung oder die Führung der Berufsbezeichnung eine staatlich geregelte Ausbildung erfordert, - 2. Diplom-Psychologen,
- 3. staatlich anerkannte Sozialarbeiter oder staatlich anerkannte Sozialpädagogen sowie
- 4. Seelsorger
unterliegen hinsichtlich der ihnen in der ausgeübten Funktion von Gefangenen anvertrauten oder sonst über Gefangene bekannt gewordenen Geheimnisse untereinander sowie gegenüber der Anstalt und der Aufsichtsbehörde der Schweigepflicht, soweit nichts anderes bestimmt ist. Dies gilt entsprechend für ihre berufsmäßig tätigen Gehilfen und die Personen, die bei ihnen zur Vorbereitung auf den Beruf tätig sind, nicht aber gegenüber dem Berufsträger.“
Durch diese redaktionelle Änderung wird der Intention des Gesetzentwurfs besser Rechnung getragen.
Zu Drs 6/1886:
Der Entwurf der Fraktion DIE LINKE (Drs. 6/1886) basiert auf der Ablehnung des Jugend¬arrestes als "Sanktionsform". Das Jugendgerichtsgesetz (= Bundesgesetz) begreift den Jugendarrest hingegen als Zuchtmittel (Warnschuss, "short sharp shock") für Jugendliche, die - aus prognostischer Sicht - Erziehungsmaßregeln (Weisungen, Hilfe zur Erziehung gemäß §§ 30, 34 SGB VIII) nicht mehr zum Anlass einer Verhaltensänderung nehmen (können).
Seit dem Jahr 2013 erlaubt das Jugendgerichtsgesetz zudem die Verhängung von Jugendar¬rest bei Aussetzung einer Jugendstrafe zur Bewährung, wenn dies geboten ist, um
- ... dem Jugendlichen seine Verantwortlichkeit für das begangene Unrecht und die Folgen weiterer Straftaten zu verdeutlichen,
- den Jugendlichen zunächst für eine begrenzte Zeit aus einem Lebensumfeld mit schäd¬lichen Einflüssen herauszunehmen ..., oder
- im Vollzug des Jugendarrests eine nachdrücklichere erzieherische Einwirkung auf den Jugendlichen zu erreichen oder um danach bessere Erfolgsaussichten für eine erzieherische Einwirkung in der Bewährungszeit zu schaffen.
Soweit zur Vermeidung eines "Beugearrests" für jugendliche Schulschwänzer gemäß Artikel 2 des Gesetzentwurfs der Fraktion DIE LINKE der Bußgeldtatbestand des § 84 Abs. 1 Nr. 1 SchulG LSA aufgehoben werden soll, gebe ich Folgendes zu bedenken:
Der Wegfall der Ordnungswidrigkeit des vorsätzlichen oder fahrlässigen nicht Nachkommens der Schulpflicht würde bedeuten, dass zukünftig strafmündige, d. h. mindestens 14-jährige Schüler und Schülerinnen, die i. d. R. bereits mehrfach - letztlich - erfolglos dem Unterricht zwangsweise zugeführt worden sind, (nur) noch mit Maßnahmen der Jugendamts zu rechnen haben. Demgegenüber sollen das nicht Anhalten des Schülers oder der Schülerin zur regelmäßigen Teilnahme am Unterricht, an sonstigen schulischen Veranstaltungen, zur Erfüllung sonstiger Schülerpflichten sowie die nicht zweckentsprechende Ausstattung des Schülers oder der Schülerin für schulische Zwecke für die Eltern eine Ordnungswidrigkeit bleiben. Im Hinblick auf das strafmündige Alter des Schulschwänzers oder der Schulschwänzerin und die mit steigendem Kindesalter häufig sinkenden Einflussmöglichkeiten des Elternhauses entsteht hier ein Ungleichgewicht.
Der in der Gesetzesbegründung erwähnte "Beugearrest" wird nach dem Ordnungswidrig¬keitengesetz i. V. m. dem Jugendgerichtsgesetz dann angeordnet, wenn ein verhängtes Bußgeld ganz oder zum Teil nicht gezahlt wird und der Betroffene sich wegen seiner Zah¬lungsunfähigkeit nicht bei der Behörde meldet ... D. h. bei Meldung/Darlegung der Zahlungs¬unfähigkeit gegenüber der Behörde droht keine Erzwingungsmaßnahme.
Zu Drs. 6/3645:
Der Zweijahresbericht 2012/2013 zum Jugendvollzug in Sachsen-Anhalt lässt deutlich erken¬nen, dass in der Jugendvollzugsanstalt Raßnitz der Focus auf der Vermittlung von Bildung liegt. Dies entspricht den Vorgaben des Jugendgerichtsgesetzes (Bundesgesetz), welches für deviantes Verhalten Jugendlicher unter Zurückdrängung des Bestrafungs-/Vergeltungs- und Resozialisierungsgedankens vorrangig erzieherische Maßnahmen/Begleitung vorsieht. In diesem Licht sind auch die geschilderten zahlreichen Veranstaltungsangebote der evan¬gelischen und katholischen Seelsorge positiv zu beurteilen.
Wir danken noch einmal für die Gelegenheit zur Stellungnahme
und bleiben mit freundlichen Grüßen