18.04.2019
Vortrag von OKR Christhard Wagner am 24.1.2018 Burg Bodenstein: Mitarbeiterkonvent Kirchenkreis Mühlhausen

Der Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann - Und Kirche? Eine Verhältnisbestimmung von Kirche und Staat.

Liebe Schwestern und Brüder. Vielen Dank für die Einladung. Ich möchte mit Ihnen heute drei Schritte gehen.

  1. Was hat Politik mit Religion zu tun?

  2. Die Situation heute – Religionen und der Staat.

  3. Aktuelles aus dem Leben der Beauftragten.

 

1. Was hat Politik mit Religion zu tun?

„Polis“ ist der kleine Stadtstaat in der klassischen griechischen Antike. Der „Polites“ war der freie Bürger – er betrieb die „politika“ – die Diskussionen um die Angelegenheiten der Polis – er regierte. Politik: eine Sache freier Bürger- nicht allein bezahlter Berufspolitiker in Berlin und Erfurt. Übrigens: Als Idiotes bezeichnete man Personen, die weder ein öffentliches Amt innehatten noch sich am politischen Leben beteiligten.

Im politischen Handeln spielt Macht eine wichtige Rolle. Sie ist nötig – sonst kann man nichts durchsetzen. In demokratischen Staaten wird sie nach Regeln erworben, eingesetzt und verloren.

Zur Macht will sich immer niemand bekennen. Sie wird oft genug gleichgesetzt mit etwas Unanständigem, Schmutzigen, ja Unchristlichen. Diejenigen, die sie tatsächlich haben: und das zu Recht, reden dann lieber von Verantwortung. Besonders wir Protestanten haben ein zwiespältiges Verhältnis zur Macht.

Wir halten uns von ihr fern – sind jedoch den Machthabern gegenüber kritisch. Kritik aus protestantischer Entfernung liegt uns mehr. Vielleicht ist das ja auch unsere Rolle, dazu später mehr. Die grundsätzliche Verdächtigung der Macht und des Machthabers ist jedoch m.E. nicht angemessen.

Natürlich gehört Verantwortung als Kriterium für wohl verstandene Machtausübung dazu. Ohne Macht sind jedoch politische Prozesse nicht voranzubringen. Der demokratische Staat hat zu Recht die Macht. Der Staat ist jedoch weit mehr als wir hinlänglich vermuten. „ Der Staat sind wir“ - die freiheitlich- demokratische Grundordnung kennt viele demokratische Akteure, die mit unterschiedlichen Aufgaben und Befugnissen den Staat ausmachen.

Wie gelingt es, die ethischen Grundpfeiler, die für einen verantwortungsvollen Gebrauch der Macht nötig sind, zu finden und zu integrieren ?

Autorität ist nicht eingesetzte Macht. Jeder politisch Handelnde ist gut beraten, für seine Entscheidungen Akzeptanz zu finden und auf andere zu hören.

Dies geschieht im Diskurs auf allen Ebenen: mit Staaten, Parteien, Bündnissen, Parlamenten, der Zivilgesellschaft. Hier finden wir auch die Religionsverbände und Kirchen.

Die wichtigste Aufgabe des Staates ist es, für Gerechtigkeit und Frieden zu sorgen – in der Bundesrepublik hat sich das mit dem Begriff „Rechtsstaat“ verknüpft. Schafft es der Staat nicht – oder ist er gar Ursache für Ungerechtigkeit, Gewalt und Willkür, kann man von Unrechtsstaat sprechen. Kennen wir.

Die Kirche wie das Judentum hat auf die Ausprägung von Politik und Staatlichkeit großen Einfluss gehabt. Theodor Heuß sagte: „Europa ist auf drei Hügeln gebaut: Akropolis – Golgatha – Capitol.“

Den Griechen verdankt Europa den Geist der Philosophie und Demokratie, Golgatha steht für die christlich- ethische Fundierung und das Capitol für die Rechtsordnung.

Das Christentum ist durch zwei Jahrtausende mit vielen unterschiedlichen politischen Systemen mehr oder weniger zurecht gekommen. Grundlage dafür war u.a. Matthäus 22,21 und die Apostelgeschichte 5,29: „Gebt des Kaisers, was des Kaisers ist und Gott, was Gottes ist.“ und: „Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen.“

Im Mittelalter kam man im Heiligen römischen Reich zu der Überzeugung, dass Gottes Herrschaftsanspruch auf die ganze Welt und die damit verbundene Ordnungsmacht am besten durch die Institution der Kirche repräsentiert werden kann. So war der Machtanspruch der Kirche im Abendland so manifest, wie es weder im byzantinischem, noch islamischen, noch im chinesischen Kulturkreis bekannt war.

Und dann kam die Reformation. Sie war zunächst ganz auf kirchliche Reformen und auf den Einzelnen gerichtet, hatte jedoch schon bald gewaltige politische Folgen.

Warum musste dies so kommen?

Das entscheidende Element der Reformation ist die Entdeckung des Individualismus. Jeder Einzelne steht unmittelbar in der Verbindung zu Gott. Er braucht keine vermittelnden Institutionen. Um seines Seelenheils willen muss er in völliger Eigenverantwortung handeln. Um seinen innersten Überzeugungen zu entsprechen, braucht er Freiheit. Diese Glaubensfreiheit wird später zur Gedankenfreiheit – zu Glaubens- und Gewissensfreiheit. Mit dieser Freiheit trat man den bisher begründungslosen, der Kritik entzogenen Institutionen gegenüber. Der Weg aus der Vormundschaft hin zum mündigen Christen und Bürger war offen.

Ich trage Eulen nach Athen, will es aber der Vollständigkeit halber kurz erwähnen: Luther knüpft an Augustinus´ Lehre von den 2 Staaten oder 2 Reichen an. Er redet jedoch von 2 Regimenten und meint damit die zweifache Regierungsweise, wie Gott die Welt lenkt und leitet. Das Ziel des geistlichen Regimentes ist die Erlösung der Welt. Dazu dienen die Mittel Wort und Geist.

Das Ziel des weltlichen Regimentes ist die Erhaltung der Welt. Deshalb dürfen nie mit den Mitteln des weltlichen Regimentes Menschen für den Glauben „gewonnen“ werden. Das weltliche Regiment darf Gewalt ausüben – zur Verteidigung derer, die dies vom Staat erwarten dürfen. Der Staat kümmert sich also um das Wohl, die Kirche um das Heil – das schützt beide Seiten vor Allmachtsphantasien und Übergriffigkeiten. Das heißt jedoch auch: wir sind als Christen und Kirche nicht davon dispensiert, der Stadt Bestes zu suchen.

Wir leben als Christen unter beiden Regimenten. Die zwei Regierungsweisen Gottes beschreiben also nicht zwei geschiedene Welten, sondern sind aufeinander bezogen.

Vieles, was uns heute selbstverständlich im politischen Raum erscheint, hat seine Wurzeln in der Reformation:

Vom Gewaltmonopol des Staates haben wir gehört.

Die Bildung als Staatsauftrag ist eine Frucht der Reformation.

Die Sozialhilfe als institutionelle Aufgabe löste die Almosen der Armenfürsorge ab.

Durch die Ablehnung der kirchlichen Gerichtsbarkeit wuchs der Bedarf einer staatlichen Rechtssprechung. Es entstand die moderne Gesetzgebung.

Auch die Reformation kam nicht ohne politische Macht aus. Ohne Friedrich den Weisen wäre Luther grandios gescheitert. Der dreißigjährige Krieg, dessen Beginn wir in diesem Jahr zum 400. Mal gedenken, ist eine mittelbare Folge der Reformation, wenn auch weitere politische Faktoren hinzukamen.

Nach dem Augsburger Religionsfrieden entstanden die protestantische Landeskirchen – das landesherrliche Kirchenregiment, das bis 1918 in Kraft blieb.

In der Weimarer Verfassung wurde das Verhältnis von Staat und Kirche neu definiert. Es kam zur Trennung von Staat und Kirche. Anders als in Frankreich definiert sich der Staat jedoch als weltanschaulich neutral- darüber später mehr. Die Religionsausübung bleibt öffentlich, ist jedoch dem Staat entzogen.

1920 gründete sich die Thüringer Landeskirche. Viele der damaligen Kirchenmänner trauerten der alten Verbindung von Thron und Altar nach. Doch es kam – auch deshalb - schlimmer. Die Zeit des Nationalsozialismus – die Verirrung vieler Christen, angeführt von ihren Pfarrern und Kirchenleitungen.

Wäre doch die Barmer Theologische Erklärung nicht nur einer kleinen Gruppe zur Richtschnur geworden, eine der dramatischsten Fehlinterpretationen der Zwei- Regimentenlehre wäre verhindert worden: Unter dem Wort aus dem 1. Petrusbrief: „Fürchtet Gott, ehrt den König“ heißt es in These 5:

„Wir verwerfen die falsche Lehre, als solle und könne der Staat über seinen besonderen Auftrag hinaus die einzige und totale Ordnung menschlichen Lebens werden und also auch die Bestimmung der Kirche werden.

Wir verwerfen die falsche Lehre, als solle und könne sich die Kirche über ihren besonderen Auftrag hinaus staatliche Art, staatliche Aufgaben und staatliche Würde aneignen und so selbst zu einem Organ des Staates werden.“

In der DDR – Verfassung stand: Staat und Kirche sind getrennt. Doch es ging nicht allein um die Trennung von Kirche und Staat – die SED versuchte, die Kirche vom Rest der Gesellschaft zu trennen. Auch wenn 1989 die Menschen nicht vergessen hatten, wo man in der Not Hilfe findet, so hat doch 40 Jahre lang das Trommelfeuer der Kirchenfeindlichkeit ganze Arbeit geleistet – man könnte sagen, nur auf dem Feld des Kampfes gegen die Kirche hatte die SED nachhaltig Erfolg.

 

2. Die Situation heute

In der freiheitlich-demokratischen Grundordnung weiß sich der Staat zu einer fördernden Neutralität gegenüber allen Religionen und Weltanschauungen verpflichtet .

Über die fördernde Neutralität des Staates, die kooperative, auch hinkend genannte Trennung von Staat und Kirche gibt es immer wieder Missverständnisse und Fehlinterpretationen. Sie kennen den Satz des Verfassungsrechtlers Böckenförde:

„Der Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht schaffen kann.“

Der Verfassungsrechtler di Fabio ergänzt: „und er darf es auch nicht.“

Die Väter und Mütter des Grundgesetzes haben aus den Erfahrungen des Alles an sich reißenden Staates gelernt. Neben dem Subsidiaritätsprinzip als tragender Säule der freiheitlich-demokratischen Grundordnung wird der Staat als weltanschaulich neutral beschrieben – und die positive und negative Religionsfreiheit Verfassungsgrundlage. Dazu zählt auch die Weltanschauungsfreiheit . Sie gilt für Einzelne – aber auch – und das wird oft übersehen – für Institutionen. So wird im Artikel 4 des GG festgestellt:

  1. Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.
  2. Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.“

Neben der positiven Religionsfreiheit wird im Artikel 137 der WRV auch die negative Religionsfreiheit postuliert: „Außerdem darf niemand zu einer kirchlichen Handlung oder Feierlichkeit oder zur Teilnahme an religiösen Übungen... gezwungen werden.“

Die Trennung von Kirche und Staat wird ganz kurz und schmerzlos beschrieben: „Es besteht keine Staatskirche.“

Wenn also der Staat neutral bleiben will, kann und darf er weder katholisch, evangelisch, jüdisch sein. Aber, und das ist der große Denkfehler der Laizisten: er kann und darf auch nicht atheistisch oder agnostisch sein.

Der säkulare Staat ist selbst bekenntnisfrei – er lebt von ethischen Voraussetzungen, die er selbst nicht schaffen kann - und darf: und braucht deshalb umso mehr die Kooperation mit den Kirchen, Religionen, Weltanschauungen. Dies wird mit fördernder Neutralität bzw. wohlwollender Kooperation beschrieben.

Denn der Staat ist nicht indifferent gegenüber Werten. Die Werte kommen aus der Gesellschaft. Der Staat reflektiert diese und nimmt sie auf.

Es ist die Aufgabe des Staates, einen Leerraum zu wahren, um das Gewissen der Menschen sich entfalten zu lassen. Menschen müssen diesen Raum füllen – Bürger und Institutionen, die etwas mit Freiheit anfangen können.

Dazu zählt selbstverständlich die Kirche, die im öffentlichen Diskurs ihre Positionen erarbeitet und vertritt. Die nachlassende religiöse Prägekraft ist kein Argument für Geringschätzung oder der Forderung nach Rückzug ins Private.

Der Sinn für den Sinn muss wachgehalten werden. Dies gelingt durch sinnstiftende Gemeinschaften, die ihren Wert dadurch gewinnen, dass sich schon innerhalb der Gemeinschaften Überzeugungen in längeren Prozessen herausbilden und diese auf ein gewachsenes kulturelles, geschichtliches und geistliches Erbe zurückgreifen können.

Dies bedeutet: der Staat schafft und ermöglicht einen Freiraum für den Diskurs, der für alle Weltanschauungen und Religionen offen ist – um seinetwillen.

Dessen Neutralität bedeutet also nicht, dass er nicht an den Vorschlägen, Positionen, dem Rat, der Forderung, der ethischen Argumentation interessiert ist. Es ist erwünscht, wenn wir uns als Kirche politisch äußern – uns einmischen in unsere eigenen Angelegenheiten, „der Stadt Bestes suchen“, so wie es auch von anderen Teilen der Zivilgesellschaft erwartet wird.

So wird in diesem Zusammenhang die Bonhoeffersche „Kirche für Andere“ weiterentwickelt zu einer „Kirche mit Anderen“. Ohne uns fehlt eine wichtige Stimme. Mich hat schon immer maßlos geärgert, wenn wir mit erhobenem Zeigefinger aufgefordert wurden, uns „um das Eigentliche“ zu kümmern.

Es geht um unser Eigentliches, wenn wir um des Evangeliums uns für Menschenwürde, Gerechtigkeit, Frieden und Schöpfungsbewahrung einsetzen. Wenn es um der Stadt Bestes geht, dürfen wir streitbar, unbequem und hoffentlich überzeugend sein. Ob innerhalb oder außerhalb von Parteien und Verbänden: es gibt viele Anlässe für Christen, sich in das demokratische Getümmel zu stürzen. Wir brauchen keine Sonderrolle zu beanspruchen, jedoch unser Alleinstellungsmerkmal in die Debatte einbringen – unsere Motivation und Verwurzelung in der Bibel. Wir sollen uns jedoch davor hüten, unsere Argumente mit heiligem Pathos aufzuladen. Entweder wir überzeugen oder wir tun es nicht.

Im Wissen um das Letzte können wir eine wichtige Tugend einbringen: die fröhliche Gelassenheit derer, die um die Vorläufigkeit dieser Welt wissen. Mit der Zusage, die Welt weder erretten zu können noch zu müssen. Mit der Erwartung, alles in unseren Kräften zu tun, im Geiste Jesu die Geringsten seiner Brüder und Schwestern zu sehen und für sie einzutreten. Und mit dem Auftrag, das angebrochene Gottesreich hier und da sichtbar werden zu lassen.

Wir sind weder Öl noch Sand im Getriebe der Welt. Wir wollen Salz der Erde und Licht der Welt sein – und damit der Stadt Bestes suchen.

Auch wenn Rolf Dahrendorf Recht hat, wenn er sagt: „Die parlamentarische Demokratie bleibt die erträglichste aller misslichen Formen der Machtausübung“, braucht gerade deshalb sie unsere kritische Solidarität. Dabei wollen wir weder Besserwisser-Zuschauer noch Feiertags-Zeremonienmeister des Staats sein.

Die Trennung von Staat und Kirche bewahrt den Staat vor ideologischer und die Kirche vor politischer Anmaßung. Diese Selbstverständlichkeit wird immer wieder in Frage gestellt.Wir finden Laizisten in vielen Parteien, die in der Regel einfach nur schlecht informiert sind. Ihnen ist neben der Frage nach der Abschaffung finanzieller Privilegien besonders im Auge, das wir als Kirche ein selbstverständlicher Teil der Zivilgesellschaft sind. Die Forderung der Laizisten nach dem Rückzug des Glaubens in die Privatsphäre ist nichts anderes als die Fortsetzung des fast gelungenen Versuchs der DDR, unter dem Motto: Trennung von Kirche und Staat die Trennung von Kirche und Gesellschaft zu erreichen.

Doch dem widerspricht die Bibel und das Grundgesetz. Es ist unser Auftrag, die politischen Auswirkungen des Evangeliums zu bezeugen und mit Leben zu erfüllen.

Poltische Themen, die in der DDR, z.B.im konziliaren Prozess bearbeitet worden sind – sie sind immer noch aktuell. Ich nenne nur einige Beispiele: Friedensethik/Kriegswaffenexport, Sterbehilfe, Freiheit und Sicherheit, Gerechte Weltwirtschaftsordnung, Massentierhaltung, Flüchtlingsfragen, Rechtsextremismus, Klimawandel. Diese Themen spielen auf EKD-Ebene genauso eine Rolle wie auf landeskirchlicher und Gemeindeebene. Dabei haben die Gemeinden und Kirchenkreise die schwierigste Aufgabe – sie sind vor Ort – hier zeigt sich, ob die schönen Worte der Synoden auch tragfähig sind.

Ich nenne nur drei Beispiele: Zu Recht kritisieren wie die Flüchtlingspolitik Europas – geißeln, dass im Mittelmeer die Menschen ertrinken. Vor Ort erweist es sich, wie wir mit Flüchtlingen umgehen.

Die Positionen der EKD zur Sterbehilfe – sie wird umso glaubwürdiger, wie es uns gelingt, die Hospizarbeit als echte Alternative weiter auszubauen.

Unser Protest gegen die Massentierhaltung ist nur dann überzeugend, wenn er an der Fleischtheke, in unseren Einrichtungen und unserer persönlichen wöchentlichen Speisekarte eine Bekräftigung erfährt.

Unser Allgemeines Meckern ist folgenlos – auch ein Drücken des „like“- Buttons auf Facebook ist noch keine qualifizierte demokratische Einmischung.

Die Position der EKM zum Rechtsextremismus kam früh – als erste Landeskirche – und war eindeutig. Das Motto: „Nächstenliebe verlangt Klarheit“, inzwischen EKD- weit benutzt, trägt das Copyright EKM. Wir wissen jedoch, wie belastend und anstrengend es immer wieder ist, dieses Motto auf die Straße und in die Bündnisse zu bringen.

Unsere Arbeit vor Ort – als Teil der Zivilgesellschaft – sie wird gebraucht. Wer meint, sich politisch rauszuhalten zu können, handelt hochpolitisch. Durch unser Nichtstun lassen wir Dinge zu, die wir nicht wirklich wollen wollen. Unser Zeugnis ist gefragt.

 

Ein Wort zum Umgang mit Politikern:

Es ist beliebt, diese Kaste zu beschimpfen und für alles verantwortlich zu machen. Manchmal ist es ja auch berechtigt. Doch ich möchte darauf hinweisen: Nicht allein die Politiker sind für das Gemeinwohl verantwortlich – es gibt Verantwortungsträger in Wirtschaft, Kultur, Kirche, Sport. Wie oben beschrieben, ist die freiheitlich- demokratische Grundordnung auf die Mitwirkung der Zivilgesellschaft angewiesen und hat dafür Instrumente geschaffen. Demokratie ist auch zwischen den Wahlen auf Demokraten angewiesen. Wenn die Zivilgesellschaft diese Mitwirkungsinstrumente nicht nutzt, verkümmern sie. Ich freue mich, wenn zunehmend Elemente der direkten Demokratie neben die vorhandene repräsentative Demokratie treten. Denn ich bemerke mit Unbehagen, dass eine der wesentlichen Säulen unser demokratischen Gemeinwesens geschwächt wird: das Subsidiaritätsprinzip. Was ist damit gemeint? Ich sage es mal ganz volkstümlich: der Staat soll sich möglichst heraus halten. Nur dort, wo das Gemeinwesen ohne sein Mitwirken nicht funktioniert, soll er eingreifen. Ansonsten soll immer die unterste Ebene, so sie denn in der Lage ist, die Aufgaben übernehmen. Die einzige Aufgabe, die der Staat hier hat: er hat diese Aufgaben zu finanzieren. Das gefällt Politikern nicht. Sie meinen: Wer die Musiker bezahlt, darf auch die Musik bestimmen. Förderung ist nicht etwa selbstverständlicher Ersatz für den Aufwand, den ein Träger für das Gemeinwohl aufbringt, sondern ein großzügiges Almosen, für das man Dankbarkeit und Wohlgefälligkeit erwarten kann.

Der Etatismus – die Staatsgläubigkeit - ist auf dem Vormarsch. Dabei treffen sich alte DDR- Mentalitäten eines vormundschaftlichen Vater Staats und 68er – Überzeugungen, die glauben, dass allein der Staat in der Lage ist, für Gerechtigkeit und gutes Leben zu sorgen . Diese Einstellung findet sich in allen Parteien mehr oder weniger ausgeprägt. Allerdings verbindet sich dieser Etatismus kongenial mit alten Mustern im DDR-Volk. Es ist ganz bequem, alles vom Staat erwarten zu dürfen. So kann man seine eigene Trägheit kaschieren und folgenlos auf die da oben schimpfen. Der mich schon immer aufregende Satz: „da kömmer doch sowieso nüscht machen“ ist wieder auferstanden – er war eh nur kurzzeitig - und auch nur von einer Minderheit - in Frage gestellt worden.

Eine Zuschauerdemokratie, die sich nur an den persönlichen Skandalen reibt und ansonsten nicht einmal mehr Zuschauer, geschweige denn Mitspieler hat, ist gefährlich. Wenn die Zustimmung zur Demokratie davon abhängt, wie gut es mir wirtschaftlich geht, dann habe ich Sorge vor der nächsten Krise. Wenn Demokratie missverstanden wird als ein Instrument - allein zur Durchsetzung meiner Interessen, werden demokratische Elemente wie Bürgerinitiativen immer öfter zu St. Florians – Vereinen. Wenn vermeintliche Demokraten populistisch verkürzt einfache Antworten auf komplizierte Fragestellungen vorgaukeln, wird es gefährlich. Doch das wäre eines weiteren Vortrages wert.

Gott sei Dank wachsen auch gemeinwesenorientierte Initiativen. Ich hoffe dort auf eine gewisse Eigendynamik. Nichts treibt den Erfolg stärker als der Erfolg. Wer sich engagiert und feststellt: ich kann etwas bewegen, der macht weiter. Derartige emanzipatorischen Gruppen zu unterstützen – und selbst ein Teil davon zu werden - war schon immer ein attraktives Markenzeichen der Kirche. Es gibt keinen Grund, dies zu ändern.

Wir sonnen uns manchmal in der berechtigten Erinnerung, vor 1989 und 1989 viel für die erfreuliche politische Veränderung dieses Landes getan zu haben. Es wäre fatal, wenn unsere Nachkommen sagen müssten: Obwohl es genügend Gründe gegeben hat, sich einzumischen, haben sich die Nachfolger der 89er nur noch mit sich selbst beschäftigt.

 

Zurück zu den Politikern:

Wer Verantwortung übernimmt, riskiert etwas. Er kann falsche Entscheidungen treffen. Er kann zwischen die Fronten geraten. Er kann oft nur zwischen zwei schlechten Möglichkeiten wählen. Er macht sich angreifbar. Er wird haftbar gemacht. Das bedeutet für uns: Wer von Barmherzigkeit weiß, wird eine Kultur der Fehlerfreundlichkeit stärken. Wer von der Menschenfreundlichkeit Gottes weiß, wird für einen fairen Umgang zwischen Politik, Menschen und Gesellschaft eintreten.

Wer die Bibel kennt, wird die biblische Wahrheit den Menschen wie einen Mantel hinhalten, in den sie hineinschlüpfen und ihnen nicht die Wahrheit mit dem Scheuerlappen um die Ohren hauen.

Es gibt nur wenige Politiker, die es riskieren, für ihre Überzeugungen so zu streiten, dass sie dabei ihre politische Karriere gefährden. Ihnen gilt einerseits unser Respekt und andererseits unsere Unterstützung. Wir sollten unsere Möglichkeiten wahrnehmen, für eine politische Kultur zu werben, die die Gewissensfreiheit und individuelle Überzeugung eines jeden Politikers respektiert und erträgt.

Friedrich Schorlemmer zitiert dazu Galater 5,1: „Zur Freiheit hat uns Christus befreit! So steht nun fest und lasst euch nicht wieder in das knechtische Joch fangen“ und legt diesen Satz folgendermaßen aus : „Wer um das Letzte weiß, ist befreit zum Tun für das Vorletzte. Die Freiheit des Einzelnen, in der er sich nicht zugleich um die Freiheit und das Lebensrecht der je anderen kümmert, ist egoistische Verantwortungslosigkeit. Sie darf nicht zum Prinzip einer demokratischen Gesellschaft werden. Dann gäben wir uns auf. Und das ganze Christentum dazu.“

Und zuletzt in diesem Zusammenhang das Wichtigste: Wer die Bibel kennt, vergisst nicht, für die zu beten, die Verantwortung für der Stadt Bestes übernehmen.

 

3. Wie sehe und gestalte ich meine Aufgabe?

Früher gab es die Gespräche mit dem Rat des Bezirkes. Heute läuft das etwas anderes.

Als Beauftragter der Kirchen bei Landtag und Landesregierung habe ich zum einen die politischen Erwartungen der Kirchen zu transportieren und andererseits die politischen Entwicklungen zu beobachten und in die Kirche hineinzutragen.

Oft genug bin ich Übersetzer der unterschiedlichen Sprachen von Politik und Kirche. Missverständnisse sind auszuräumen, Spannungen abzubauen, Erwartungen an den richtigen Mann oder Frau zu bringen.

Meine Gesprächspartner sind Minister, Abgeordnete, Fraktionen, gesellschaftliche Institutionen. Ich bin zum einen Seelsorger, Prediger, Gesprächspartner, Lobbyist, Interpret, Koordinator, Einfädler, Erklärer, aber auch Interessenvertreter von Menschen, die ansonsten keine Stimme haben.

Einige Themen, die aktuell in der Diskussion sind, möchte ich nur als Überschriften benennen. Ein Dauerbrenner ist die unbefriedigende Situation des Religionsunterrichts. Gefängnisseelsorge braucht ständig Abstimmungen und Interventionen. Flüchtlingspolitik und die Zukunft des Kirchenasyls beschäftigt uns. Rechtsextremismus – ein Dauerthema. Freie Schulen, DDR- Aufarbeitung und

Der erstarkende Laizismus und die Auseinandersetzung mit ihm ist ein Dauerthema – ich hatte davon gesprochen. Dazu zählt u.a. die Attacken auf die Kirchensteuer, die Staatsleistungen, den Dritten Weg, die Mitwirkung in gesellschaftlichen Gremien.

Es ist ein inzwischen schon fast vergessener Segen, dass wir als Kirche in dieser Gesellschaft respektiert und gefragt sind. Nichtsdestotrotz gilt es immer wieder abzuwägen: werde ich hier nur als folkloristisch- religiöser Zuckerguss instrumentalisiert oder kann ich an dieser Stelle etwas oder jemanden erreichen? Es wäre tragisch, wenn wir das Geschenk, gefragt zu sein - im öffentlichen Raum sichtbar zu werden - nicht mehr sehen und nicht nutzten. Es ist unser gesellschaftlicher Auftrag, es ist unsere biblische Verpflichtung.

Micha Hoffmann bat mich, noch ein wenig meine Rolle als Beauftragter zu reflektieren – auch im Verhältnis zu meinem „ersten Leben“ in der DDR. Das will ich gerne tun.

Es war 1990/91. Ich hatte den LJR mit gegründet und war Vorsitzender des LJHA. Ich wusste um die sich völlig neu eröffnenden Fördermöglichkeiten und brachte sie unter die Leute.

Nicht alle waren begeistert. Walter Schilling lehnte die Staatsknete ab – „das bringt uns in neue Abhängigkeiten.“ Es bedurfte langer heftiger Diskussionen, bis die meisten verstanden: wir haben Anspruch auf Steuergelder. Wir leisten etwas für das Gemeinwesen – und dafür haben wir Anspruch auf die Finanzierung dieser Aufgaben. Dabei muss uns das Risiko der Vereinnahmung oder gar der Steuerung durch lockende Angebote bewusst sein.

Die Einführung des Religionsunterrichtes und der Militärseelsorge waren Anlass zu heftigen Auseinandersetzungen innerhalb der Jugendarbeit, der Kirche und zwischen Kirche und Staat. Und ich immer mittendrin. Kämpferisch, irrend, vermittelnd, wachsam: was macht das mit uns? Begeben wir uns in Abhängigkeiten? Stimmen die Vorwürfe derer, die schon wieder eine unheilige Allianz Kirche und Staat feststellen? Ja, neben reichlich Unannehmlichkeiten war manches in der DDR einfacher. Niemand kam auf die Idee, Kirche zum Establishment zu zählen. Als Pfarrer hatten wir ein Gehalt unter dem des LPG- Traktoristen. Das war auf der einen Seite für uns nicht immer leicht, auf der anderen Seite mussten wir nicht um unsere Glaubwürdigkeit ringen. Unsere Glaubwürdigkeit bei denen, die wir erreichten, war hoch, andererseits machen wir uns nichts vor: unsere Reichweite war gering. Wir waren im öffentlichen Leben kaum sicht- und hörbar. Und nun rang ich als Bildungsdezernent mit dem Kultusministerium um faire Rahmenbedingungen für den RU, die Schulen, die Jugendarbeit. Die Rollen waren klar verteilt. Hier die Kirche, die Erwartungen hat, dort der Staat, der sie nicht ausreichend genug erfüllt. Heute bin ich in meiner letzten beruflichen Station Wanderer zwischen den Welten. Einerseits bin ich, was ich immer bin: Pfarrer und Seelsorger für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Landtags, der Landesregierung, der Ministeriumsmitarbeiter.

Zum zweiten bin ich Übersetzer und Übermittler kirchlicher Anliegen. Dies sind mitnichten allein die innerkirchlichen Erwartungen. Ich fühle mich als Lobbyist für diejenigen, die keine Lobby haben. Neben den monatlichen Andachten und Gebetsfrühstücken im Landtag finden vierteljährlich sogenannte Hintergrundgespräche statt. Mit ca. 60 Teilnehmern aus Politik, Gesellschaft und Kirche werden gesellschaftlich-kirchliche Themen wie z. B. Demografischer Wandel, Kirche und Geld, Armuts - und Reichtumsbericht, „Was hält unser Land zusammen?“, diskutiert. Der alljährliche Adventsempfang, das Treffen Handwerk und Kirche, das Gespräch mit den Evangelischen Arbeitskreisen der CDU von Sachsen-Anhalt und Thüringen sowie „Fraktionsgespräche“ mit den Vorständen der im Landtag sitzenden Fraktionen gehören dazu. In meiner Arbeit stoße ich auf außerordentliches Wohlwollen, große Bereitschaft zu einer konstruktiven Zusammenarbeit und eine höchst erfreuliche Grundsympathie der Minister, Staatssekretäre und Fraktionsvorstände, von denen eine Reihe evangelisch sind.

In einer Vielzahl von Gesprächen mit Ministerialvertretern, Abgeordneten, Beauftragten, politischen und gesellschaftlichen Institutionen kann ich kirchliche Anliegen, Erwartungen und Positionen deutlich machen. Die positiven Rückmeldungen machen Mut, den schwierigen „Übersetzungsauftrag“ kirchlicher Positionen in den gesellschaftlichen Diskurs fortzusetzen. Wir sind gefragt!

Der nachwachsenden kirchenfernen Generation von Politikern in allen Parteien fehlt allerdings oft der Bezug und das tiefere Verständnis für die ausgewogene partnerschaftliche Beziehung zwischen Kirche und Staat, wie ich sie vorhin beschrieben habe. Auch wenn die Spitzen in den Parteien durchweg positiv zum bewährten status quo stehen, sieht es in der zweiten und dritten Reihe oft anders aus. Hier ist intensive Überzeugungsarbeit und die Bereitschaft von Christen, politische Verantwortung zu übernehmen, nötig.

Für meine Rolle als Beauftragter ist Selbstreflexion, Disziplin und Rollenklarheit entscheidend. Was meine ich damit? Zum einen habe ich zu vielen politischen Fragen eine Meinung. Ich muss mir dabei klar sein: rede ich als politischer Mensch oder als Beauftragter der Kirche? Natürlich habe ich zur Gebietsreform eine Meinung. Aber ich habe mich zurückzuhalten. Zum einen, weil dies keine Frage ist, die biblisch begründet beantwortet werden kann, auch wenn es Theologen gegeben ist, zu allem auch biblisch begründete Beiträge zu liefern. Zum anderen, weil wir unser Pulver trocken halten müssen, um bei den uns wichtigen Fragen Gehör zu finden. Zum dritten, weil ich mich hüten muss, instrumentalisiert zu werden.

Wir wollen als Kirche politisch deutlich sein, aber uns nicht parteipolitisch vereinnahmen lassen. So gehört es zum Berufsprofil des Beauftragten, eine Äquidistanz zu allen Parteien zu halten. Es ist allerdings nicht zu vermeiden, dass Parteien dies anders wahrnehmen. Aber ich habe es immer wieder so gut wie möglich zu versuchen.

Es ist gut, wenn ein Beauftragter seinen Job eine längere Zeit innehat. Beziehungen und Vertrauen müssen aufgebaut werden. Die Kehrseite der Medaille – und dies kennen auch Journalisten: wer ständig miteinander zu tun hat, begibt sich in Beziehungen, die das notwendige Gegenüber, die Distanz, die Rollenklarheit verwischen. Wenn man darum weiß, kann man es allerdings steuern.

In letzter Zeit wird im Besonderen aus den Reihen der CDU die Frage gestellt, ob kirchliche Stellungnahmen zu konkreten, tagesaktuellen, politischen Handlungsfeldern in der Gefahr stehen, zur Parteinahme von Kirche im politischen Meinungsstreit zu führen und damit deren Rolle als ethisches Gewissen in unserer Gesellschaft zu konterkarieren, so Mike Mohring fast wörtlich. Binden kirchliche Stellungnahmen das Gewissen, beenden sie den Streit, indem sie aus „heiliger Höhe“ sich als „ Moralagentur“ aufspielen und Andersdenkende ins ethische Abseits stellen ? Sie ahnen meine Argumentationslinie: zum einen: wir äußern uns nur zu Fragen, zu denen wir etwas zu sagen haben. Wir erheben dabei mitnichten den Anspruch auf unhinterfragbare Wahrheiten, sondern mischen uns als selbstverständlicher Teil der Zivilgesellschaft in den öffentlichen Diskurses ein.

Wir wollen Gewissen nicht binden, sondern schärfen. Wir treten für die ein, die keine Stimme haben. Dies lassen wir uns niemals nehmen.

Zum Schluss: natürlich hätte ich mir vor 30 Jahren nicht vorstellen können, dies zu tun, was ich heute tue. Da waren allerdings die Verhältnisse auch anders. Aber wenn ich einen Schritt zurücktrete und prüfe, ob ich mich verbiege, mich zu nah an den Staat kuschle und dadurch die notwendige kritische Distanz verliere, kann ich ehrlichen Gewissens sagen: Nein. Die Rollenklarheit ist gewahrt. Jeder kennt sein Feld. Wir liegen nicht in einem Bett. Wir arbeiten zusammen, jeder an seiner Stelle. Und das ist gut so.

Suchet der Stadt Bestes und betet für sie.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit


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