14.06.2005
Das Ringen um gesellschaftliche Erneuerung 1981-1989

Seit 1978 kam es zu einer neuen, von der Basis getragenen Friedensbewegung, die nicht mehr durch Moskauer Vorgaben ideologisiert war.

Von einer Dresdner Initiative angeregt wurde ein „sozialer Friedensdienst“ gefordert.

Die biblische Losung „Schwerter zu Pflugscharen“ wurde auf einen Aufnäher gedruckt, der an der Kleidung getragen werden konnte. Die Figurengruppe eines sowjetischen Bildhauers, die als Geschenk der Sowjetunion vor dem UNO-Hauptgebäude steht, wurde zum Symbol. Konnte die DDR einer so pfiffigen pazifistischen Agitation widersprechen? Sie antwortete trotzdem mit scharfen repressiven Maßnahmen. Es ließ sich aber nicht hindern, dass überall aktive Friedensgruppen entstanden und in jedem November zur Friedensdekade aufgerufen wurde.

Latente Opposition griff zugleich das Thema Umwelt auf: Gefahren der Umweltbelastung in der Landwirtschaft und der Energiepolitik (Kernkraftwerk Stendal!) wurden öffentlich diskutiert. Bischof Dr. Christoph Demke (1983-1997 Bischof der KPS) und aktive Mitglieder der Magdeburger Kirchenleitung (Propst Dr. Heino Falcke, Propst Dr. Christoph Hinz, Präses Dr. Reinhard Höppner) unterstützten die ökumenische Initiative zu einem Konzil des Friedens. 1987 – 1989 tagte in Dresden und Magdeburg die Ökumenische Versammlung für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung.

Luthers 500. Geburtstag im Jahr 1983 brachte gesamtkirchlich einen Höhepunkt. Die DDR-Führung hatte entdeckt, dass Luther für die deutsche Geschichte wichtiger war als Thomas Müntzer. Die Kirchenprovinz konnte davon profitieren, war Luther doch in Eisleben geboren und gestorben, war in Erfurt Student und Mönch und dann als Reformator in Wittenberg tätig. Für die Gemeindeglieder ergaben sich wichtige Impulse – und die Erfahrung, dass auch das Bildungswesen bereit war, die Bedeutung Luthers und seines Werks in neuem Licht zu sehen.

Seit 1961 war es nicht mehr möglich gewesen, dass Besucher aus der DDR zu den westdeutschen Kirchentagen fuhren;  letztmalig hatte 1954 in Leipzig ein gesamtdeutscher Kirchentag stattgefunden. 1974 gab es einen kleinen, regionalen Kirchentag in Magdeburg; weitere folgten in Erfurt und Halle. 1983 konnten in der DDR  im Rahmen des Lutherjahrs sieben regionale Kirchentage veranstaltet werden. In Anlehnung an Luthers Erklärung zum 1. Gebot standen sie alle unter der Losung „Vertrauen wagen“ - diese verbreitete sich als Auto-Aufkleber in die Öffentlichkeit. Die KPS war Gastgeber für die Kirchentage in Erfurt, Eisleben, Magdeburg und Wittenberg. 

Reichtum und Belastung der Kirchenprovinz bedeutet die große Zahl historisch wertvoller Gebäude (2311 Kirchen und Kapellen). Angesichts der flächendeckenden Verstaatlichung der Baubetriebe und der Abhängigkeit auch der Handwerksleistungen von zentraler staatlicher Planung bedurfte es in jedem Einzelfall einer beharrlichen Energie, nötige Reparaturen an Kirchengebäuden durchzusetzen. Initiativen in  den Gemeinden bewirkten trotzdem Erstaunliches. So war es jeweils ein Glücksfall, wenn eine Kirche renoviert werden konnte. Bei besonderen denkmalswerten Kirchen gab es wirksame, auch finanzielle Unterstützung durch die staatliche Denkmalpflege. Wesentlich waren materielle Hilfen aus den westdeutschen Partnerkirchen (Sonderbauprogramm und Kirchen-Neubauprogramm). In mehreren Fällen mussten sich Gemeinden dazu entschließen, ihre Kirche abzugeben. In Ausnahmesituationen konnte es vorkommen, dass eine Kirche zur Ruine wurde.

Für die DDR blieb die Kirche als unangepasste, eigenständige Institution mit zahlreichen Verbindungen nach dem anderen deutschen Staat und ins Ausland ein Risikofaktor. Das MfS bemühte sich in steigender Intensität darum, die Kirche insbesondere auf der Ebene der Leitung und der Öffentlichkeitsarbeit zu überwachen. Wie in allen anderen gesellschaftlichen Bereichen  der DDR wurden Inoffizielle Mitarbeiter (IM) angeworben. Das war den Kirchen mindestens seit den 50iger Jahren bekannt. Immer wieder wurde empfohlen, dass Menschen, die sich durch das MfS unter Druck gesetzt fühlten, sich einem kirchlichen Partner anvertrauen sollten: Wer in solcher Weise die Konspiration verletzte, wurde für das MfS unbrauchbar. Trotzdem gab es eine Reihe von Spitzeldiensten, auch in der Synode und im Konsistorium. Als dies seit 1991 aufgedeckt wurde, hat die Kirchenprovinz die Überprüfung aller Pfarrer und Kirchenbeamten veranlasst und gegebenenfalls dienstrechtliche Konsequenzen gezogen.

Der Kampf um Reisefreiheit spielte in den 70iger und 80iger Jahren eine wachsende Rolle. Gerade die Einschränkungen der Bewegungsfreiheit (und der Behinderungen im Bildungsbereich) führten zu einer immer größer werdenden Zahl von Anträgen auf Übersiedlung in die Bundesrepublik. Obwohl unsere Kirche stets dazu ermutigte, in der DDR zu bleiben, um hier Einfluss auf die Verbesserung der Lebens-Chancen zu nehmen, hat sie in familiär und humanitär belastenden Fällen Übersiedlungsanträge ausdrücklich befürwortet, in etlichen Fällen auch helfen können.

Westdeutsche Kirchen (insbesondere die Partnerkirchen der KPS in Hessen und in der EKU) haben die Gemeindearbeit in der DDR materiell und finanziell wirksam unterstützt. Die reiche diakonische Arbeit (Krankenhäuser und Pflegeheime) wäre nicht durchführbar gewesen, wenn nicht durch die Hilfe der EKD-Kirchen immer wieder Bauleistungen, Sanierungen und die Einfuhr moderner medizinischer Geräte ermöglicht worden wären. Der kirchlichen Arbeit kam dabei zu gute, dass die DDR auf die Valuta-Finanzierung solcher Leistungen angewiesen war.

In welchem Maße die evangelischen Kirchen in der DDR Vertrauen gewonnen hatten, zeigte sich in der friedlichen Revolution 1989: von den Gebeten in den Kirchen gingen nicht nur in Leipzig, sondern gerade auch in vielen Städten der Kirchenprovinz die Demonstrationen aus, die zu der Wende führten.

 

Professor Dr. Harald Schultze (Magdeburg), ehemaliger Beauftragter der Evangelischen Kirchen bei Landtag und Landesregierung Sachsen-Anhalt


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