Handeln bei Verdacht auf Kindeswohlgefährdung

1. Ruhe bewahren, entschleunigen und Situation analysieren

  • Reflexion der eigenen Rolle und der eigenen Gefühle
  • Verdachtstagebuch führen (Was beobachten Sie? Welche Signale? Wann beziehungsweise seit wann? Wer? Wie häufig?)
  • Kein Aktionismus! Nicht mit den vermuteten Tätern oder den Eltern der Kinder sprechen. Das macht u. U. die Situation für die Betroffenen nur noch schwieriger.
  • Einschätzen, wie sicher oder gefährdet das Kind aktuell ist! Nur bei akuter Gefahr müssen Sie sofort eingreifen, davor bitte noch eine Telefonberatung mit der Ansprechpartnerin der Landeskirche.

2. Situationsanalyse überprüfen

  • Vertrauliches Gespräch über die Beobachtung mit anderen Mitarbeitenden, die ebenfalls mit dem Kind arbeiten.
  • Ggf. Gespräche mit Vertrauensperson des Kirchenkreises oder Ansprechpartnerin der Landeskirche.
  • Überlegen Sie gemeinsam, ob sich ein ausreichender Verdacht bestätigt und was die notwendigen nächsten Schritte sind!

3. Hilfe organisieren

  • Holen Sie professionelle Hilfe von den Kinderschutzdiensten, der „In-soweit-erfahrenen-Fachkraft“ oder vom Jugendamt.
  • Besprechen Sie, welche Person am geeignetsten ist, um mit dem möglicherweise betroffenen Kind zu sprechen. (fachliche Qualifikation!)
  • Hat sich Ihnen ein Kind anvertraut, bitte das gesamte Vorgehen mit ihm altersgerecht besprechen. Dabei ist es wichtig, dass eine Person direkt an der Seite des Kindes als spezielle Vertrauensperson bleibt.
  • Keine automatische Strafanzeige ohne Zustimmung der Betroffenen.

4. kirchlicher Kontext

  • Wenn ein begründeter Verdacht besteht, dass die Tat im kirchlichen Kontext geschieht, informieren Sie umgehend Ihren Superintendenten/Ihre Superintendentin.
  • Bleiben Sie klar an der Seite der Betroffenen, aber ohne eine Vorverurteilung des Beschuldigten, der Beschuldigten.

Verhaltensregeln in der Seelsorge

Prüfen Sie, ob es sich bei dem Gespräch um ein Beichtgespräch, ein seelsorgerliches Gespräch oder um ein Beratungsgespräch handelt. Beachten Sie die entsprechenden Regelungen der Verschwiegenheit. Nehmen Sie die Betroffenen ernst und glauben Sie ihnen das Erzählte, auch wenn es „wirr“ erscheint.

  • Versprechen Sie nichts, was Sie nicht halten können.
  • Schaffen Sie Rollenklarheit für sich selbst und die Betroffenen.
  • Erkennen Sie die Grenzen der Seelsorge. Sie sind keine Therapeuten und schon gar nicht Traumatherapeuten.
  • Bedenken Sie, dass die Opfer oft in einer schwierigen Verquickung mit den Tätern und Täterinnen leben.
  • Holen Sie sich Hilfe bei Menschen, die ebenfalls an die seelsorgerliche Schweigepflicht gebunden sind. Sorgen Sie dafür, dass Sie trotz dieser Besprechungen die Schweigepflicht nicht verletzen. (Anonymisierung des Falles, nicht mit Personen, die möglicherweise die Betroffenen oder die Täter kennen)
  • Machen Sie sich von allen Gesprächen Notizen. Eine genaue Dokumentation hilft:
    • falls es zur Strafanzeige kommt, als Argumentationsmittel,
    • falls es zum Antrag auf Entschädigung kommt, als „Beweismittel“ für die geschädigte Person,
    • falls Sie selbst plötzlich verdächtigt werden, weil das Opfer etwas auf Sie projiziert, als Schutz.
  • Bewahren Sie diese Falldokumentation verschlossen auf.
  • Die betroffene Person entscheidet, welche Hilfe sie braucht.
  • Begleiten Sie die Person auf ihrem Weg, zeigen Sie Hilfsmöglichkeiten auf (Therapien, Opferverbände), aber bestimmen Sie diesen Weg nicht.
  • Wenn die Tat noch nicht verjährt ist, überlegen Sie gemeinsam die Möglichkeit einer Strafanzeige und zeigen Sie die Konsequenzen auf, die sich aus dieser Entscheidung ergeben. Holen Sie sich ggf. den Fachverstand der Beratungsstellen für sexualisierte Gewalt ein.
  • Sollte der Täter/die Täterin in der Kirche haupt-, neben- oder ehrenamtlich arbeiten, dann bitten Sie das Opfer um das Einverständnis, ein kirchliches Ermittlungsverfahren einzuleiten. Lassen Sie sich in diesem Fall von der seelsorgerlichen Schweigepflicht entbinden!
    • Kirchliche Ermittlungsverfahren unterliegen keiner Verjährungsfrist!
    • Machen Sie deutlich, dass ein Ermittlungsverfahren nötig ist, um andere mögliche Betroffene zu schützen.
    • Melden Sie den Vorfall der Superintendentin, dem Superintendenten und nehmen Sie Kontakt mit der Fachberatung Pfarrerin Thea Ilse auf.
    • Vergessen Sie nicht, dass Vorfälle sexueller Gewalt durch kirchliche Mitarbeitende, egal ob Haupt- oder Ehrenamtliche, immer auch die ganze Gemeinde betreffen. Gemeindeberatung zur Aufarbeitung kann dringend notwendig werden.
  • Und bei allem bedenken Sie: Der Schutz der Betroffenen hat oberste Priorität! Nichts geschieht gegen den Willen der Betroffenen.