24.07.2023
Antisemitismusbeauftragter will Menschen ins Gespräch bringen

Naumburg (epd). Seit rund sechs Monaten hat Sachsen-Anhalt einen Antisemitismusbeauftragten für die Justiz, Thomas Kluger.

Seit Jahrzehnten engagiert sich der heute 60 Jahre alte Richter des Magdeburger Landgerichts für jüdisches Leben. Für sein noch junges Amt als Antisemitismusbeauftragter wurde er für die Justiz zur Generalstaatsanwaltschaft Naumburg abgeordnet. Mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) hat Kluger über Herausforderungen seiner Arbeit und eine sachsen-anhaltische Besonderheit seiner Rolle gesprochen.

epd: Herr Kluger, seit inzwischen einem halben Jahr fungieren Sie als Sachsen-Anhalts Antisemitismusbeauftragter für die Justiz. Was hat sich als Herausforderung ihres Amtes herausgestellt?

Thomas Kluger: Eine Herausforderung besteht tatsächlich darin, das gesamte Bundesland abzudecken. Die Begriffe „Stadt“ und „Land“ sind dabei ein Thema. Es kommt immer auf die Örtlichkeit an und welche Aktivitäten es dort schon gibt. Magdeburg zeichnet sich beispielsweise durch eine ausgesprochen lange, intensive Stolperstein-Aktion aus. In den Großstädten Halle und Magdeburg geschieht schon viel.

So gehe ich gerade auch in kleinere Städte, beispielsweise Dessau. Die kleineren Gemeinden, die kleinen Einheiten, sind das Herzstück der Demokratie. Je weiter man sich nach oben bewegt, umso theoretischer wird es. Geht man weiter nach unten, kommt man zum „wahren Leben“. Was ich referiere, ist individuell auf die Institution und Zuhörerschaft ausgerichtet, so macht es einen Unterschied, ob ich mit Polizisten, Staatsanwälten, der Zivilgesellschaft oder Schülern spreche.

epd: Wie sieht ihre Arbeit in der Praxis aus?

Kluger: Es geht darum, Menschen und Institutionen ins Gespräch zu bringen und zu vernetzen. Zu den Aufgaben gehört beispielsweise die Zusammenarbeit mit der Polizei, engen Kontakt mit jüdischen Gemeinden zu halten und für Fortbildungen bei Staatsanwaltschaften und Gerichten zu sorgen. Ich gehe auch in Schulen und Universitäten und informiere über Judentum sowie Antisemitismus, dabei vor allem über dessen strafrechtliche Sanktionen. Aber ich bin nicht der Spezialist für jüdisches Leben, sondern immer im Kontext der Justiz unterwegs.

Ich habe aber keine Einsicht in konkrete Fallakten und bin daher auch kein Ermittler. Dafür bin ich nah an der Thematik und werde über möglicherweise antisemitische Hintergründe befragt. Das ist nicht immer sofort ersichtlich, zum Beispiel bei Symbolen.

epd: Ihr Amt ist noch jung. Wie viel Gestaltungsfreiheit haben Sie innerhalb der Hierarchie des Justizsystems in Sachsen-Anhalt?

Kluger: Die strukturelle Ausgestaltung der mir übertragenen Aufgaben gestalte ich tatsächlich selbst. Ich bin flexibel. Letztens habe ich beispielsweise bei einer Staatsanwaltschaft angerufen, die ich besuchen wollte. Dann hieß es dort, an dem angefragten Tag seien auch Referendare zu Besuch und ob die ebenfalls dabei sein könnten. Genau so muss es sein. Mir werden keine Steine in den Weg gelegt, ganz im Gegenteil, sondern ich stoße auf Unterstützung. Aus der Zuhörerschaft kommen auch immer wieder neue Ideen, was man noch machen könnte.

epd: Sie setzen bei Ihrer Arbeit auf eine bestimme Herangehensweise...

Kluger: Die Menschen erreicht man am besten mit einer empathischen Erinnerungskultur. Früher habe ich oft von positiver und trauernder Erinnerungskultur gesprochen. Auf einer Tagung habe ich dann den Begriff „emphatische Erinnerungskultur“ gehört und übernommen. Wenn ich sagte: „Im Angesicht von sechs Millionen ermordeten Juden bin ich für mein Amt zu 100 Prozent freigestellt worden“, dann wäre das moralische Attitüde. Das trifft nicht meine Aufgabe. Dann sagen die Leute: „Wieder ein Beauftragter.“ Meine Arbeitsweise soll ein Potpourri sein und eben keine moralische Attitüde.

Dem Judentum bin ich aus verschiedensten Gründen sehr zugewandt. Aber ich bin weder ein Lobbyist für Israel noch für das jüdische Leben an sich. In meinem Amt setze ich als Netzwerker auf Informationsaustausch, damit sich jüdisches Leben in Sachsen-Anhalt weiter in einem sicheren Umfeld entwickeln kann.

epd: Sie sind seit 30 Jahren im Vorstand der Deutsch-Israelischen Gesellschaft Magdeburg und für jüdisches Leben engagiert. Wie hat das Attentat von 2019 auf die Synagoge in Halle an der Saale aus Ihrer Sicht das Sicherheitsempfinden der jüdischen Gemeinschaft verändert?

Kluger: Jeder Anschlag erschüttert die jüdische Gemeinschaft. Sie erleidet das seit 2000 Jahren. Aber in seiner Symbolik ist dieses Attentat schon ein herausragendes Ereignis. Eine Synagoge ist nicht nur ein sakraler Ort. Eine Synagoge ist auch das Gemeindezentrum, das Herzstück einer Gemeinde. Insofern war das nicht nur ein Anschlag auf ein sakrales Objekt, was schon frevelhaft genug ist, sondern ein Anschlag auf das Herzstück der jüdischen Gemeinde.

epd: Sie waren auch beim Prozess des Oberlandesgerichts Naumburg gegen den Täter involviert.

Kluger: Nicht im justiziellen Sinn. Während des Prozesses war ich im sachsen-anhaltischen Justizministerium in dem Aus- und Fortbildungsreferat tätig. Da man dort wusste, dass ich Kenntnisse über jüdisches Leben habe, habe ich rund 70 Justizwachtmeister geschult. Um sie unter anderem zu sensibilisieren, wie zu reagieren ist, wenn jüdische Zuhörer zum Prozess kommen und eine Kopfbedeckung tragen.

epd: 2022 ist in Sachsen-Anhalt nicht nur ihr Amt geschaffen worden, es hat sich auch ein Beirat für jüdisches Leben konstituiert. Tut das Land genug bei der Bekämpfung von Antisemitismus?

Kluger: Ich finde, es wird enorm viel gemacht. Das wird von jüdischen Gemeinden auch positiv wahrgenommen. 2022 haben die Justizminister der Länder einstimmig entschieden, dass jedes Bundesland einen Antisemitismusbeauftragten für die Justiz bekommt. Bundesweit bin ich aber der einzige, der auch für die Gerichte zuständig ist und hierfür insgesamt zu 100 Prozent freigestellt ist. Der Kollege aus Berlin ist nur zu 50 Prozent freigestellt. Ich bin wirklich stolz auf Sachsen-Anhalt, dass es sich so etwas „leistet“.

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