08.05.2018
Imamin Seyran Ateş: „Der Islam ist reformierbar“

Seyran Ateş steht am Pult im Großen Saal des Landeskirchenamts in Erfurt und sprüht vor Energie. Die 55-Jährige spricht über das, was ihr ganz besonders am Herzen liegt: einen modernen Islam. Zu der Veranstaltung hatten gestern (7. Mai) das Lothar-Kreyssig-Ökumene-Zentrum der EKM und die Diakonie Mitteldeutschland eingeladen.

„Es gibt nicht den einen wahren Islam“, auch wenn die konservativen Islamverbände das so darstellten und für sich die Deutungshoheit einforderten, sagt die Anwältin und Frauenrechtlerin, die 1969 aus der Türkei nach Deutschland kam. Der Islam habe viele Ausrichtungen. „Leider orientiert sich aber auch die deutsche Politik an den konservativen Islam-Verbänden, also nur an einer bestimmten sunnitischen Ausrichtung. Andere Gruppen wurden dadurch verdrängt.“

Vor einem Jahr hat Ateş in Berlin die Ibn-Rush-Goethe-Moschee mitbegründet und ist dort Imamin. Die Moschee steht für einen liberalen Islam, der weltliche und religiöse Macht voneinander trennt und sich um eine zeitgemäße und geschlechtergerechte Auslegung des Koran und der Hadithen bemüht. „Wir wollen zeigen, dass der Islam reformierbar ist. Dass es einen modernen Islam geben kann. Man muss den Koran historisch-kritisch lesen, genau wie die Bibel auch. Wann wurden die Suren geschrieben? Welche gelten heute noch, welche müssen wir in der Zeit stehen lassen? Man muss immer den historischen Kontext sehen.“

In der Ibn-Rush-Goethe-Moschee beten Frauen und Männer zusammen. Frauen können, sie müssen aber kein Kopftuch tragen. Das Gotteshaus steht verschiedenen islamischen Konfessionen offen: Sunniten, Schiiten, Aleviten, Sufis.

Die Autoritäten der konservativen islamischen Verbände hat Seyran Ateş damit gegen sich. „Wir rütteln an patriarchalen Denkstrukturen“ - zum Beispiel daran, dass Frauen nicht zum Freitagsgebet gehen dürfen, obwohl das nirgendwo geschrieben steht. Nach Gründung der Moschee erhielt die 55-Jährige viele Morddrohungen, sie bekommt Polizeischutz – im Großen Saal des Landeskirchenamts passen vier Leibwächter auf die quirlige Frau auf.

„Dabei“, sagt Ateş, „kehren wir eigentlich zurück zu den Anfängen des Islam, als es nur Muslime gab, keine Trennung nach Schiiten und Sunniten. In unserer Moschee sind alle  zusammen. Und es funktioniert, weil wir Frieden und keine Trennung wollen.“

Immer wieder wird Seyran Ateş auch in die rechte Ecke gestellt, in die Ecke der AfD, weil sie kritisch auf den Islam blickt und Reformen möchte. Weil sie klar sagt: Muslime können hier in Deutschland keine Sonderbehandlung für sich in Anspruch nehmen. Und die Einzelfälle nähmen zu: Muslimische Väter weigerten sich, mit der Lehrerin zu sprechen. Muslimische Schüler gäben der Lehrerin nicht die Hand. Es werde durchgesetzt, dass während des Ramadan keine Klausuren geschrieben werden. Kleine Kinder tragen plötzlich Kopftuch. Muslimische Mädchen werden vom Schwimmunterricht befreit. „Wir müssen Orte wie Schulen oder öffentliche Ämter schützen, um deren Neutralität zu wahren. Die Religionsfreiheit ist die Religionsfreiheit der anderen. Auch derer, die gar keiner Religion angehören. Wir müssen hier eine klare Haltung haben“, sagt die Muslimin.

Übrigens: Die Ibn-Rush-Goethe-Moschee befindet sich im 3. Stock der evangelischen St. Johannis-Gemeinde in Berlin-Moabit. „Uns ist wichtig zu zeigen, dass Religionen zusammenwirken können“, sagt Ateş. Gelebte Ökumene.

 


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