04.01.2023
Kramer: Einfache Antworten greifen nicht immer | Gute Debattenkultur innerhalb der Kirche

Erfurt (epd). Einfache Antworten in den großen gesellschaftlichen Debatten greifen oftmals zu kurz, sagt der Landesbischof der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM), Friedrich Kramer im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd).

Viele politische Entscheidungen, die getroffen werden müssten, seien Ja-Nein-Entscheidungen. Müsse anschließend nachgebessert werden, vergrößere das die Verunsicherung. Genau das mache sich die Neue Rechte zunutze.

epd: Krisen überall: 1989 waren die ostdeutschen Landeskirchen wichtige Treiber der friedlichen Revolution. Heute werden sie zum Teil von denselben Leuten angefeindet, die damals aktiv waren. Was hat beispielsweise die heutige Landeskirche so anders gemacht, dass das passieren konnte?

Kramer: Wir haben im Großen und Ganzen gar nichts so viel anders gemacht als 1989. Die Umstände haben sich vielmehr geändert. Damals standen wir gegen das System, heute wird uns nachgesagt, ein Teil des Systems zu sein.

epd: Sind Sie es?

Kramer: Nein. Kirchen allgemein - und nicht nur unsere EKM - sind heute vielen Angriffen und Unterstellungen ausgesetzt. Kirchen wird nachgesagt, sie seien zu systemtreu, dann wieder seien sie zu links. Sie würden dem Einzelnen nichts mehr bringen. Und zudem seien sie alt und verstaubt. Ich habe für jede dieser Aussagen gute Gegenargumente. Aber viele Kritiker hören uns gar nicht mehr zu.

epd: Welche dieser Aussagen ärgert Sie persönlich am meisten?

Kramer: Wir sind und waren nie systemtreu. Und es ist eine bösartige Unterstellung, wir seien zu links. Im Gegenteil: Wir pflegen innerhalb der Kirche und auch darüber hinaus eine vorbildliche Debattenkultur. Nehmen Sie die Haltung der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und der EKM zur aktuellen Frage der Waffenlieferungen in der Ukraine. Meine Haltung ist bekannt. Ich bin strikt dagegen. Jesus Christus hat Gewaltlosigkeit gepredigt. Die unbedingte Verpflichtung zur Gewaltlosigkeit ist für mich persönlich eine Richtschnur. Aber wir haben auf der anderen Seite unter anderem mit Generalmajor Ruprecht von Butler einen Synodalen in der EKD, der Waffenlieferungen befürwortet.

epd: Und wie haben Sie sich geeinigt?

Kramer: Wir haben das Thema in unserer Kirche heftig und kontrovers diskutiert, und wir haben uns in dieser Frage inhaltlich auch nicht einigen können. Aber wir haben dem jeweils anderen niemals in der Debatte das Menschsein oder das Christsein abgesprochen. Die Neue Rechte macht aber genau das mit uns. Schlimm an diesen Unterstellungen einer kirchlichen Systemtreue ist vor allem die Tatsache, dass wir durch solche und andere Angriffe Mitchristen verlieren, die im Grunde ihres Herzens für ihren Glauben brennen. Manche Menschen überzeugen diese Parolen und sie gehen auf Distanz zu ihrer Kirche. Aber Christen können wir nie allein, sondern immer nur in Gemeinschaft sein. Das schmerzt mich.

epd: Woran liegt diese Abkehr von Kirche und Politik?

Kramer: Ich denke, dass das mit der aktuellen Komplexität unserer Welt zu tun hat. Sie verunsichert. Das machen sich populistische und extremistische Parteien und Bewegungen zunutze. Viele politische Entscheidungen, die getroffen werden müssen, sind Ja-Nein-Entscheidungen. Entscheidungen müssen getroffen werden. Aber oft liegt man mit ihnen an vielen Stellen auch nur halb richtig. Während der Pandemie haben wir gemerkt, dass die einfachen Antworten wie etwa „Der Impfstoff schützt“ auf der einen Seite oder „Impfen ist unsinnig“ auf der anderen Seite, nicht immer greifen. Die wenigsten Medikamente helfen ja zu hundert Prozent. Und dennoch wurde das behauptet und geglaubt. Dadurch entstehen Konflikte, da wird dann der jeweiligen Gegenseite etwas unterstellt, und dann läuft das aus dem Ruder.

epd: Kann die Kirche in dieser Debatte anders reden?

Kramer: Ja, die Kirche kann und sollte erst einmal zuhören. Wir kennen ja oftmals die Geschichte hinter den Menschen nicht. Wenn du das verstehst, dann siehst du in der Debatte und auch der politischen Auseinandersetzung, dass Dinge auch anders betrachtet werden können. Das ist ja in der Friedensfrage genauso. Da wird behauptet, alle, die sich gegen Waffenlieferungen aussprechen, seien blauäugige Pazifisten. Aber schon dabei wird verkannt, wie breit das Spektrum in der Ablehnung von Waffenlieferungen ist. Ich möchte jedenfalls nicht mit Neonazis in einen Topf geworfen werden, die auch dagegen sind, aber aus anderen Gründen. Da muss man eben zuhören, Argumente ernst nehmen und dann erst in der Debatte - wo nötig - tapfer widersprechen.

epd: Aber wie erklären Sie sich die Aggressivität in der politischen Debatte?

Kramer: Die Frage beginnt ja erst dort, wo dem Anderen Bösartigkeit unterstellt wird. Sowohl beim Gerücht als auch in der Diskussion. Mein Eindruck ist jedenfalls, dass die Politik in den aktuellen, hochkomplexen Krisen nicht immer alles richtig macht. Da werden Verordnungen erlassen, die kurz darauf wieder kassiert oder abgeändert werden müssen. Da wird manchmal auch zu spät gesehen, dass einzelne Gruppen bei der vermeintlichen Lösung eines Problems übersehen wurden. Aber dann wird eben nachgesteuert. Das zeigt ja gerade, dass sich dieser Prozess nicht auf Bösartigkeit gründet. Ich weiß aber nicht, ob das gerade von denen so gesehen wird, die seit Jahren jeden Montag auf die Straßen gehen, sich umschauen und glauben, sie seien die Mehrheit. Letztlich müssten sich auch diese Menschen eingestehen, dass dem nicht so ist. Das zeigen ja die Wahlen.

epd: Reden Sie darüber auch mit der AfD?

Kramer: Nein, wir haben uns auf Leitungsebene entschieden, keine Kontakte zu dieser Partei und ihren Personen zu pflegen. Sicherlich gibt es immer wieder mal Gespräche zwischen einzelnen Kirchenmitgliedern oder auch Pfarrern in den Gemeinden und Mitgliedern der AfD. Aber diese Partei hat ihre Feindseligkeit uns gegenüber mehrfach öffentlich vorgetragen. Und für uns gilt der Grundsatz: Wir lieben unsere Feinde, aber wir müssen nicht mit ihnen Umgang pflegen.

epd-Nachrichten und Fotos sind urheberrechtlich geschützt. Sie dienen hier ausschließlich der persönlichen Information. Jede weitergehende Nutzung, insbesondere ihre Vervielfältigung, Veröffentlichung oder Speicherung in Datenbanken sowie jegliche gewerbliche Nutzung oder Weitergabe an Dritte ist nur mit Genehmigung der Verkaufsleitung von epd (verkauf@epd.de) gestattet.


Bleiben Sie mit unseren Newslettern auf dem Laufenden.

Hier Abonnieren

Die besten News per E-Mail - 1x pro Monat - Jederzeit kündbar