05.09.2021
Virtuelle Tour durch Erfurts zerstörte Große Synagoge

Erfurt (epd). Ab sofort kann Erfurts 1938 von den Nazis geschändete und zerstörte Große Synagoge dank moderner Technik wieder betreten werden.

Dafür liegen im Showroom „360Grad Thüringen Digital Entdecken“ der landeseignen Tourismus-Gesellschaft, im Erinnerungsort Topf & Söhne und in der Neuen Synagoge der Jüdischen Landesgemeinde insgesamt zehn VR-Brillen für virtuelle Besichtigungen bereit, kündigte die Oberkuratorin der Erfurter Geschichtsmuseen, Annegret Schüle, am Mittwoch in der Thüringer Landeshauptstadt an. Zudem sei ein 3D-Modell des 1884 im maurischen Stil errichteten und geweihten jüdischen Gotteshauses freigeschaltet worden.

Landesrabbiner Alexander Nachama, der mit Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) und Erfurts Kultur-Beigeordneten Tobias Knoblich als erster eine der Brillen in der Neuen Synagoge ausprobierte, sagte, der virtuelle Rundgang erlaube einen näheren Zugang etwa zur aufgeschlagenen Tora als dies in der Realität möglich sei. Von dieser Nähe verspreche er sich auch einen einfacheren Zugang zum Judentum gerade für junge Leute. Sie trügen keine Schuld an den schrecklichen Taten der Nazizeit, aber Verantwortung dafür, dass sich so etwas nie wiederhole, betonte Nachama.

Der Landesrabbiner erinnerte auch an den Bau der Neuen Synagoge auf dem Grundstück der zerstörten Großen Synagoge 1952. Das Gebäude war der einzige Neubau eines jüdischen Gotteshauses zu DDR-Zeiten.

Trotz des Neubaus und der nun erfolgten virtuellen Rekonstruktion sprach Nachama von „irreparablen Schäden“. 1938 hätten noch über 3.700 Männer, Frauen und Kinder der Jüdischen Landesgemeinde angehört. 1989 seien es nur noch 26 gewesen. Inzwischen sei die Gemeinde - nicht zuletzt durch die Einwanderung von Juden aus der früheren Sowjetunion - wieder auf 700 Menschen angewachsen.

Angesichts der nur fragmentarisch überlieferten Quellen sei es eine Herausforderung gewesen, detailgenau die Architektur, die religiösen Objekte, die Geschichte der Menschen in der Synagoge zu recherchieren, sagte Kuratorin Schüle. Ein interdisziplinäres Team habe nach der Rekonstruktion die Räume mit Klang, Bildern und Videos ausgestattet. Daran seien Fachleute der Universität und der Fachhochschule Erfurt, der Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena sowie zahlreiche junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler beteiligt gewesen. Große Unterstützung habe auch die Jüdische Landesgemeinde geleistet.

Unter den bundesweit bereits virtuell zugänglichen Synagogen bietet die VR-Anwendung in Erfurt nach Schüles Worten eine innovative Besonderheit: Sie ermögliche erstmals Interaktivität und sorge damit für noch mehr Realitätsnähe. So könnten sich Interessierte im virtuellen Raum individuell bewegen, mit Objekten interagieren und nach eigener Auswahl Informationen abrufen.

Ramelow verwies auf die laufende Erfurter Bewerbung um Aufnahme ihrer mittelalterlichen jüdischen Stätten in das Unesco-Weltkulturerbe. „Die Geschichte betrifft nicht nur die Jüdische Gemeinde, sie betrifft uns. Eine aktive und lebendige jüdische Gemeinde ist eine Aufgabe von uns und für uns“, betonte der Ministerpräsident.

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