Ein Engel am Zug: Karin Susan Luther von der Erfurter Bahnhofsmission

Ruhig ist der Arbeitsplatz von Karin Susan Luther nicht wirklich. Gerade ist die Regionalbahn nach Magdeburg auf Gleis 8 quietschend eingefahren.

Alle paar Minuten ertönt eine Lautsprecherdurchsage mit dem Hinweis, dass der ICE nach München Verspätung hat oder der Zug nach Jena heute von einem anderen Gleis abfährt. Und mittendrin, auf dem Bahnsteig zwischen den Gleisen 4 und 5, steht der kleine Pavillon der Erfurter Bahnhofsmission.

Sozialpastorale Mitarbeiterin. Das ist Karin Susan Luthers Jobbezeichnung. Sie ist die einzige hauptamtliche Mitarbeiterin bei der Bahnhofsmission, einem „Erprobungsraum“ der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM). Neben rund 30 Ehrenamtlichen. Seit Januar 2024 gehört sie zum Team.

Für die gelernte medizinisch-technische Assistentin und studierte Sozialarbeiterin ist das hier genau der richtige Job. „Das ist so richtig meins“, sagt sie: „Bahnhof ist eine andere Welt. Ich mag so unterschätzte Ecken. Hier ist vom Ingenieur, der von der Weiterbildung wieder nach Hause fährt, bis zum Obdachlosen, der seit 20 Jahren durch Deutschland reist, ist einfach alles dabei.“

Reisende, Mitarbeitende, Menschen, die gestrandet sind, Kinder, die vom Vater zur Mutter reisen, Alte, die den Zug verpasst haben. „Wenn ich gestrandet bin an einem Bahnhof, dann geht es mir ja nicht gut.  Selbst wenn ich nur meinen Zug verpasst habe, bin ich in einer Situation, wo ich was brauche. Da kann man manchmal mit ganz wenigen Dingen ganz viel helfen“, sagt Karin Susan Luther.

Zum Beispiel mit einer Zahnbürste. Oder mit dem Hinweis an die junge Mutter, dass es auf dem Bahnhof einen Wickelraum gibt. Oder zu den Sprechzeiten im Pavillon mit einer Tasse Kaffee und einem offenen Ohr. Willkommen ist hier in dem eckigen Pavillon jeder und jede: „Da kann man auch hören: Wer hat gerade welchen Kummer? Wo schicke ich den vielleicht hin? Wir können nur erste Hilfe leisten. Wir können für niemanden eine Wohnung organisieren, aber wir können zumindest in der Notunterkunft anrufen. Das sind so kleine Sachen, aber die machen ganz viel.“

Verbandszeug für die wunden Füße eines Obdachlosen gehört auch dazu. Manchmal auch eine trockene Hose oder im Winter ein paar Handschuhe gegen die Kälte. Und dann kommen wir ins Gespräch, sagt Karin Susan Luther, oft auch über den Glauben. „Manchmal fragen mich die Obdachlosen: Sag mal, bist du eigentlich verheiratet? Nee, bin ich nicht. Ah, du bist wohl mit Jesus verheiratet! Es immer wieder Thema. Davon erzählen, was hat Gott mit mir gemacht? Wie stehe ich zum Glauben? Aber eher so natürlich. Es kommt oder es kommt halt nicht.“ Mit der Bibel unterm Arm läuft sie nicht über den Bahnsteig.

Karin Susan Luther hat eigentlich immer geglaubt und mit Gott gestritten – getauft war sie nicht. Erst vor gut sechs Jahren ist sie diesen Schritt gegangen, gemeinsam mit ihrem Bruder, am Reformationstag im Jubiläumsjahr 2017. Klar, bei dem Nachnamen…
Dennoch: Sie hat lange gerungen, viele Streitgespräche geführt mit Pfarrer Bernhard Zeller von der Erfurter Martini-Luther-Gemeinde. „Aber der hat es immer wieder geschafft auf die einfache Frage zurückzukommen: Glaubst du an Gott?“ Am Ende war die Taufe „für sie „ein unglaubliches Erlebnis. Ich kriege immer noch Gänsehaut, wenn ich davon erzähle.“

Als Hauptamtliche der Bahnhofsmission ist Karin Susan Luther neben dem Kontakt zu den Menschen für die Akquise von Spenden zuständig. Sie sitzt außerdem in verschiedenen Gremien und Arbeitskreisen der Stadt, macht Networking – und, sehr wichtig, versucht, neue Ehrenamtliche zu gewinnen. Denn die werden dringend gebraucht.

Sie habe ein sonniges Gemüt, sagt Karin Susan Luther von sich selbst. Und doch nimmt sie manche Lebensgeschichte vom Bahnhof mit nach Hause und wird die nicht so schnell los. Haben die beiden gebrechlichen Senioren ihren Heimatort gut erreicht? Hat der Obdachlose mit den geschundenen Füßen in der Notunterkunft Unterschlupf gefunden und eine warme Decke?

Die Welt retten können auch die „Engel am Zug“ nicht, wie die Mitarbeitenden der Bahnhofsmission heißen. „Ich kann nur mein Menschliches tun. Es reicht, dass ich das als Mensch tue, was ich tun kann. Für das andere ist Gott da.“

Und dann verabschiedet sich Karin Susan Luther. Draußen am Bahnsteig steht eine junge Mutter, ihr Baby auf dem Arm. Die könnte Hilfe gebrauchen.

Mehr Infos zur Bahnhofsmission Erfurt: http://bahnhofsmission-erfurt.de/


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