Chor-Gottesdienst am 29.06.2025, Friedenskirche Jena
Musikalische Friedens-Predigt zu Psalm 108 von Regionalbischöfin Friederike Spengler
1 Ein Psalmlied Davids.
2 Gott, mein Herz ist bereit,
ich will singen und spielen.
Wach auf, meine Seele!
3 Wach auf, Psalter und Harfe!
Ich will das Morgenrot wecken.
4 Ich will dir danken, Herr, unter den Völkern,
ich will dir lobsingen unter den Leuten.
5 Denn deine Gnade reicht, so weit der Himmel ist,
und deine Treue, so weit die Wolken gehen.
6 Erhebe dich, Gott, über den Himmel
und deine Ehre über alle Lande!
Was seid ihr/was sind sie für Sommermenschen? Solche, die sich – endlich die Möglichkeit – ausschlafen, bis die Sonne hoch am Himmel steht? Das kann herrlich sein! Aufwachen durch Sonnenstrahlen, die das ganze Zimmer in warmes Licht tauchen. Aufwachen und das Gefühl haben, so richtig in den Tag hineinleben zu können. Wunderbar!
Oder seid ihr/sind sie solche, die selbst im Urlaub früh aufstehen – freiwillig und gern. Weil sie den Anbruch des neuen Tages bewusst erleben möchten. Oder weil in der Stille des Morgens eine besonders Offenheit da ist, eine für die eigene Seele und damit auch das Gespräch mit Gott. Oder sie die stille erste Stunde des Tages schätzen, um sich einzustimmen auf das, was kommt. Herrlich!
Wer singen und dafür seine Stimme gut vorbereiten will, muss sich einsingen. Wer schön und sauber musizieren will, muss sein Instrument stimmen. Und der Beter des Psalms, vielleicht David, weiß: Um mit Gott in Kontakt zu kommen, brauche ich eine aufgeweckte Seele. Wenn ich Gott loben will, muss ich mein Herz bereit machen, um all die vielen Dinge sehen zu können, die Gott wunderbar gemacht hat, für die ich dankbar sein kann:
Für den Tau auf der Wiese an einem Sommermorgen; für die Früchte an den Beerensträucher, die seit Monaten jeden Tag etwas mehr reifen, und heute kann ich sie ernten; für den milden Geruch von Regen auf einem Feldweg; für das erste Lächeln der Kollegin, nachdem sie gerade eine schwere Zeit durchgemacht hat; für den jungen Mann, der einer gestürzten Seniorin zu Hilfe eilt, für das laufradfahrende Kind, das vor lauter Begeisterung die ganze Zeit die neue Klingel ausprobiert, für den schmunzelnden alten Herrn vor dem Schaufenster des Buchladens…
2 Gott, mein Herz ist bereit,
ich will singen und spielen.
Wach auf, meine Seele!
3 Wach auf, Psalter und Harfe!
Ich will das Morgenrot wecken.
Liebe Gemeinde, das kann ich alles gut nachempfinden. Den Psalm zu beten, das fällt mir nicht schwer, bis hierher jedenfalls nicht. Die Bildsprache ist fantastisch und als wir vorhin für sie musikalisch das Morgenrot geweckt haben, hatte ich nichts anderes als Freude unter der Haut. Gott mit seiner Gnade zu besingen, wenn die Wiesen sommerdurchleuchtet mit Klatschmohn und Margeriten, Lupinen und Klee aufwarten, fällt nicht schwer. Den Himmel als Beweis für Gottes Güte und seine Gegenwart zu feiern, wenn arglose Schäfchenwolken über ihn hinwegziehen, ist leicht.
Aber selbst dieser Psalm, dieses Jubelgebet des Volkes Israel, kennt das ganze Leben, kennt die ganze Wahrheit, kennt auch die ganz andere Seite. Und, und das überzeugt mich an den biblischen Texten immer wieder ganz besonders, dies wird nie verschwiegen. Vielmehr darf, nein muss es zur Sprache kommen!
Der heute im Mittelpunkt stehende Psalm entstand vor mehr als zweieinhalb Jahrtausenden in einer politisch heiklen Zeit. Immer wieder drohten Konflikte zwischen Israel und seinen Nachbarvölkern zu eskalieren. Das muss man wissen, um verstehen zu können, wie der Psalm weitergeht:
Hier heißt es ab Vers 7:
7 Lass deine Freunde errettet werden,
dazu hilf mit deiner Rechten und erhöre mich!
8 Gott hat in seinem Heiligtum geredet:
Ich will frohlocken;
ich will Sichem verteilen
und das Tal Sukkot ausmessen.
9 Gilead ist mein, Manasse ist auch mein,
und Ephraim ist der Schutz meines Haupts,
Juda ist mein Fürst.
10 Moab ist mein Waschbecken, /
ich will meinen Schuh auf Edom werfen,
über die Philister will ich jauchzen.
11 Wer wird mich führen in die feste Stadt?
Wer wird mich nach Edom leiten?
12 Wirst du es nicht tun, Gott, der du uns verstoßen hast,
und ziehst nicht aus, Gott, mit unserm Heer?
13 Schaff uns Beistand vor dem Feind;
denn Menschenhilfe ist nichts nütze.
14 Mit Gott wollen wir Taten tun.
Er wird unsre Feinde niedertreten.
Der Psalm-Beter scheint sich sicher zu sein: Gott steht auf seiner Seite, auf der Seite seines Volkes. Er hörte wohl Gott davon reden, dass alle Nachbarvölker letztlich auch unter dessen Herrschaft stehen: „Ich will Sichem verteilen und das Tal Sukkot ausmessen. (…) Moab ist mein Waschbecken. Ich will meinen Schuh auf Edom werfen, über die Philister will ich jauchzen.“ – Mir kommen da Zweifel. Ob das wirklich Gottes Rede ist? Oder doch eher die Wunschvorstellung des Beters. Gottes Beistand in der Vernichtung der Feinde? Auf jeden Fall ist das Volk Israel sicher, dass nur Gott allein ihm Frieden schaffen kann: „Schaff uns Beistand vor dem Feind; denn Menschenhilfe ist nichts nütze.“
Ich tue mich schwer damit, Gott auf die Seite einer bestimmten Kriegspartei zu zerren – und sei es auf die Seite des Volkes Gottes. Ich glaube, Gott ist bei denen, die im Krieg leiden unter der Gewalt, dem Hunger, der Zerstörung von Häusern und Feldern – auf beiden Seiten.
Und: Darf man sich über den Tod anderer Menschen freuen und Gott dafür loben und danken? Mir bleibt das Singen im Halse stecken. Die Bösen müssen sterben und die Guten freuen sich darüber - es sind dieselben Kategorien, die wir auch heute noch anwenden: Der Angriffskrieg auf die Ukraine, unser Mitbangen und Mitfühlen für die Opfer. Würden wir jubeln, wenn russische Soldaten im Meer ertrinken? Oder im Kanonenhagel sterben? Und überhaupt:
Ich bin überzeugt, dass kein Krieg, der je geführt wurde, gerecht war. Kein Krieg dieser Welt, weder in der Vergangenheit noch in der Gegenwart. Selbst wenn es im Einzelfall nötig war und ist, not-wendig, das heißt, allerletztes Mittel, um eine noch größere Not zu wenden, das kann wohl sein. Und war es auch schon. Aber gerecht? Niemals! Denn in jedem Krieg sterben Menschen, die leben wollen. Denn in jedem Krieg wird unsere Mitwelt zerstört, werden Ressourcen verschleudert, Entwicklungen um Jahrzehnte zurückgesetzt u.s.w. „Krieg soll um Gottes Willen nicht sein!“ so hat es 1948 der ökumenische Weltrat der Kirchen formuliert und das gilt auch weiterhin.
Welche Lieder sind also erlaubt, wenn das Unrecht auf der Welt zum Himmel schreit?
Liebe Gemeinde, es geht nicht darum, über Schlechtes hinwegzusingen. Helle Lieder werden nie darüber wegtäuschen, dass es Dunkelheit gibt. Sie wollen es auch nicht. Aber sie helfen, dem Dunklen nicht den ganzen Raum zu überlassen. In mir und auf der Welt. Deshalb:
Wach auf, meine Seele! Ich will Gott singen und spielen.
Der Psalmbeter wartet nicht darauf, dass erst alles gut ist, damit er Gott loben kann. Früh am Morgen steht er auf, stimmt sein Instrument, singt sich ein: seine Seele, sein Herz und seine Stimme und lobt dann Gott– was auch immer kommen mag.
Als Singende wissen wir: Beim Singen ist nicht nur der Kopf beteiligt. Sondern der ganz Mensch. Singen ist mehr als einen Text lesen oder eine Melodie spielen. Beim Singen nehme ich Worte und Töne in mich auf. Ich mache sie mir zu eigen. Beim Singen spüre ich Resonanz. Meine Stimmbänder schwingen, mein Körper schwingt mit. Beim Singen verändert sich meine Stimmung. Ich spüre mich selbst. Ich bin Lied. Ich bin Psalm.
So will ich durch meine Stimme, meinem Innersten und damit einem Teil der Welt Stimme geben. Ich will durch Lieder, durch mein Singen hörbar machen, dass die Hoffnung in mir nicht verstummt ist. Solche Hoffnung, solches Vertrauen steckt in den Liedern, die Gemeinden weltweit in Kirchen, Kapellen, unter freiem Himmel, in Domen und in Hütten Woche für Woche singen. So auch heute: mit ihnen und für sie, Lieder der Hoffnung in Gottes Namen,
Amen