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Gottesdienst zur Eröffnung der 9. Tagung der III. Landessynode der EKM 08.05.2025, 11 Uhr, Klosterkirche Drübeck

Predigt von Regionalbischöfin Friederike Spengler und Regionalbischof Tobias Schüfer zu 80 Jahre Kriegsende in Europa

Heute denken wir an den 8. Mai 1945. Vor 80 Jahren endete der Zweite Weltkrieg mit der bedingungslosen Kapitulation der Deutschen. 

Wir denken an das unermessliche Leid, das die Deutschen verursacht haben.

Über 6 Millionen ermordete Juden.

Über 50 Millionen Tote, 35 Millionen Verwundete und 3 Millionen vermisste Menschen im Krieg.

Wir denken an das Grauen des Krieges.

Und an die Dankbarkeit, dass diese Schreckensherrschaft vorbei, dass dieser Krieg vorbei.

Und dass wir hier in Frieden leben. 

Über den ganzen Gottesdienst verteilt hören wir, was Ursula Preiß, Pfarrfrau in Wiesenthal in der thüringischen Rhön, vor 80 Jahren aufgeschrieben hat. Ihr Bericht nimmt uns hinein in die Stimmung zum Kriegsende in einer unserer Gemeinden. Sie schreibt:

„Das Dörfchen lebt im tiefsten Frieden, soweit das im 6. Kriegsjahr möglich ist. Stark beunruhigend wirkt der Frontdonner, der sich merkbar näher schiebt. Gegen Ende März kommen die ersten Gerüchte über gesichtete Panzerspitzen zwischen Tann/Rhön und Oechsen. Das will niemand glauben, die meisten, die es hören, lachen, da der Wehrmachtsbericht Kämpfe um Frankfurt und Mannheim berichtet.“

Donnerstag, d. 29. März:

„Früh halb sechs wird der Volkssturm alarmiert. Er tritt um halb acht am Kindergarten an. Jeder ist nach Gutdünken ausgerüstet, mit Rucksack und Essen für 3 Tage. Um 12 Uhr geht es wieder nach Hause zum Essen. Es werden Witze gerissen über die Ausrüstung, den Mangel an jeglicher Waffe usw.. Um 2 Uhr kommen die ersten Autos mit geflüchteten Soldaten. Sie sind mit Sack und Pack beladen. Flüchtende Frauen retten sich auf ihnen aus der Kampfzone. Sie fahren Richtung Wernshausen. Es folgen Sanitätsautos und Kolonnen. Um 4 Uhr kommen die ersten Soldaten ins Dorf. Sie sind ohne Waffen und vollkommen verdreckt. Zwei machen im Pfarrhaus Quartier für einen Hauptmann. Dann kommt Auto um Auto ins Dorf. Der Hauptmann kommt um 8 Uhr abends. Er hat nur noch Mantel, Mütze und alten Waffenrock. Er erzählt, er sei auf Kundschaft gewesen und als er zurückkam, wären die Amerikaner schon in seinem Quartier gewesen. Sie sind vollkommen überrascht worden und haben flüchten müssen. Keiner hat eine Waffe mitgenommen. Die meisten haben kein Stück Brot mehr zu essen.“

Karsamstag, der 31. März:

„Früh kommt die Kunde, die Amerikaner seien bei Vacha durchgebrochen. Es setzt rege Fliegertätigkeit ein. Gegen 8 Uhr abends setzt schweres Artilleriefeuer ein. Es heißt: Wir haben unsere Artillerie in Vacha zusammengezogen und verteidigen es. Über den Bergen ist der Himmel hell. Ein Munitionszug soll in die Luft geflogen sein. Wahrscheinlicher ist, auch laut Heeresbericht der U.S.A., dass Hersfeld verteidigt wird und brennt. Um 9 Uhr ist wieder Ruhe.“

Ostersonntag, d. 1. April:

„Wir müssen zweimal in den Keller, da Tiefflieger Bomben warfen und alles unter MG-Beschuss nahmen. Um ein Uhr kommt die Order: Alle Soldaten in 20 Minuten den Ort räumen. Unser Hauptmann isst noch schnell, er ist sehr ernst und einsilbig und wird schon zum Auto geholt. Um 4 Uhr wird ein Major bei uns angemeldet, der Kaffee bei uns trinken möchte. Dann kommt der Major. Er sagt, dass seine größte Aufgabe darin bestände, seine Mannschaft von noch 200 Mann glücklich durchzubringen.

Gegen Abend treffen 2 junge Soldaten von Hersfeld aus hier ein. Sie waren dorthin transportiert: 120 Mann mit 10 Gewehren, nur 1 Pistole mit 4 Schuss Munition. Dort waren sie alle getürmt. Der Major gab ihnen den Rat, zu bleiben, Zivil anzuziehen und sich dann zu stellen, aber sie wollen heim.

Es hat kein Gottesdienst stattfinden können, da die Leute zu aufgeregt waren.“

4. April:

„Heute erfolgt die Besetzung durch die Amerikaner. Schon am Vormittag wurden auf dem Kirchturm 3 weiße Fahnen gehisst und im Nu wehten aus allen Fenstern weiße Fahnen und Tücher. Gegen Mittag hieß es: „Sie sind da.“ Am Anger standen plötzlich 3 Panzerspähwagen mit 6 Amerikanern, die sich mit der Lehrerin und russischen Gefangenen unterhielten. Da alles so ganz formlos abging, gehen wir sehr erleichtert und glücklich nach Hause zum Mittagessen. Um 1 Uhr mittags kommen neue leichte Wagen mit je 2 Mann, die den Bürgermeister verlangen und sehr lachen, als sie erfahren, dass er getürmt ist. Das Pfarrhaus muss innerhalb einer halben Stunde geräumt sein, der Kommandant will bei uns Wohnung nehmen. Während wir noch schnell etwas Esswaren einpacken, kommt auch schon der Kommandant, liegt auch sofort auf dem Liegesofa und deckt sich mit Decken und Kissen zu.

Die Offiziere unterscheiden sich sonst durch nichts von den andern. Pudding, Marmelade, Eingemachtes sind sofort verzehrt, ebenso Plätzchen, Ostereier. Wir beobachten zitternd von Dietzels Fenster aus das Treiben. Um 7 Uhr fahren sie wieder fort. Außer ein paar Tellern ist nichts kaputt. Der Kommandant hat sogar die Sofadecke wieder zusammengelegt.

„Es heißt: Zwischen Gotha-Erfurt und Zella-Mehlis seien neue schwere Kämpfe entbrannt. Wir hören den ganzen Tag fernes Artilleriefeuer und Bombeneinschläge. Trotzdem sind die meisten Leute froh, dass sie jetzt vor Bomben sicher sind. Mancher macht seinem Herzen jetzt Luft.

Landflüchtige aller Nationen halten sich im Dorf auf. Es ist ein unbeschreibliches Elend.“

22. April – Sonntag:

„Der Gottesdienst ist sehr gut besucht. An dem anschließenden Abendmahl nahmen auch viele Fremde teil.

Alles vergehet, Gott aber stehet ohn alles Wanken!“

27. April:

„Wir haben wieder elektrisches Licht.“


PREDIGT:

Ein Augenblick ist die Zeit, in der das Auge auf dem anderen ruht: Vielleicht ist da eine ganz hin und weg vom Blick einer anderen. Vielleicht kann einer die andere mit seinem Blick gar nicht mehr loslassen. So gesehen zu werden, ist schon etwas Besonderes… 

Jesus sieht Menschen förmlich zu sich heran. So beschreibt Lukas ihn: Als einen, der sich nähert und im selben Augenblick sieht.

Hinsieht.

Ansieht.

Im Hinsehen nähert sich Jesus. Kommt heran, geht in Blickkontakt. Sucht den Augen-Blick. Und dann, so hinsehend, füllen sich seine Augen mit Tränen.

So, wie Jesus hier beschrieben wird, ist das nicht nur ein Sehen, so ein bisschen verschleiertes Hingucken. kla`io, griechisch, ist ein sehr starkes Wort für „wehklagen, Tränen vergießen“. Es wird sonst nur in der Beschreibung der Witwe von Nain beim Anblick ihres Sohnes, der tot vor ihr liegt, verwendet. Und Jesus selbst wird uns weinend nur noch bei Lazarus beschrieben. Also schon die Wortwahl macht das Besondere des Augenblicks deutlichen.

Aber weshalb weint Jesus?

Weil die Stadt, die den Frieden doch schon im Namen – Jeruschalajim - trägt, nicht zum Frieden findet. Lukas wählt hier sogar den im Plural: Es sind viele Augenblicke, viele Möglichkeiten vergangen, dem Frieden zu dienen. Nicht nur in Jerusalem. Jesus kommen die Tränen.

Er nimmt Anteil am politischen Leben, sieht, was geschieht, was geschehen wird und bricht darüber in Tränen aus.  Wir sehen sein trauriges Gesicht.

Seine Tränen. Und schweigen. Ja, mir geht es manchmal, wie es dir gerade geht, Jesus, am liebsten würde ich losheulen.

Und Jesus, dein Weinen steckt an, ja, Herr, ich könnte heulen, es treibt mir die Tränen ins Gesicht. Mitweinen mit Jesus.

Jesus weint über die Stadt, sieht, dass Jerusalem zerstört werden wird, so unklug wie die Menschen agieren.

Jesus weint über die Stadt und weint zugleich über all die Städte, die wieder und wieder zerstört werden.

Weint über Dresden und Nordhausen, und weint auch über Mariupol, Charkiv und Butscha, weint auch über Gaza Stadt, Häuser kaputt, die Brücken, die Straßen, die Schulen und das Krankenhaus,

kein Wasser, kein Strom, die Stadt ist zerstört und mit ihr die Hoffnung, das Leben.

Jesus weint über sie und wir weinen mit ihm.

Er weint über die Stadt und weint auch über das Unvermögen der Menschen:

Ach ja, Herr, wenn wir doch erkennen würden, was zum Frieden dient.

Die Bibel beschreibt, dass der Mensch sich im Angesicht Gottes im Streben nach Frieden verwirklicht. Friede ist der von Gott gewollte Zustand der Welt. Shalom, wie in Jeruschalajim, meint sehr umfassend den Gesamtzustand von Gesundheit, Sicherheit, Heil, Ruhe. Also Lebensermöglichung pur. Lukas lässt Jesus von Eirene sprechen. Das Wort erinnert auch an die griechische Friedensgöttin, die für Wohlstand und Fülle des Lebens steht.

Von der römischen Besatzungsmacht seiner Zeit kennt Jesus selbst sicher den Ausdruck „pax“ für Frieden . Pax war, wenn ein Friedensvertrag nach Befriedung von Kämpfen aufgesetzt war. Endlich konnte das Recht wieder Recht sprechen im Unterschied zum Kriegsrecht, wo Gesetze das Papier nicht wert sind, auf das sie geschrieben werden. Biblische Friedensbilder nehmen die gesamte Fülle von Shalom, Eirene und Pax auf. Weil Frieden immer umfassend und nicht nur für ausgewählte Länder gedacht wird. Und weil immer um das notwendige Miteinander von Gerechtigkeit, Freiheit und Frieden gewusst wird.

So weint Jesus um die Stadt, dann kommt die Tempelreinigung, und nur wenig später wird er sagen: „Wachet und betet!“

Seine Aufforderung zu beten hören wir in diesen Tagen, in den Tagen, in denen wir wieder um Frieden beten.

Das Wenige, was wir tun können: Wir können spenden, können unsere Lebensgewohnheiten überdenken und verändern. Einer von uns kann Friedensbeauftragter werden.

Wir können gemeinsam mit unserem Friedensbeauftragten um Positionen ringen, für den Frieden demonstrieren, wir können wählen, den Wehrdienst verweigern, für Frieden in unserer Gesellschaft eintreten, wir können Menschen aufnehmen, die vor den Kriegen flüchten.

Und wir können die Spannungen aushalten und gestalten, die das mit sich bringt.

Und wir können unsere Hände falten und beten. Täuscht euch nicht: Beten ist nicht das Passive in dieser Aufzählung. Beten ist sehr aktiv. Beten ist sehr konkret. Beten ist sehr politisch. Unterschätzt euer Gebet nicht.

Vor 80 Jahren war  - ja, auch nach vielen Gebeten weltweit -  endlich Schluss mit dem unvorstellbar-weitreichenden, brutalen Krieg, der von Deutschland ausgegangen war. Frieden. Nicht immer einer, der gepaart war von Gerechtigkeit und Freiheit. Bei weitem nicht, Gott seis geklagt! Aber friedliche Zeiten, die nun in die vierte und fünfte Generation reichen. Dankbar loben wir Gott und preisen ihn als den Schöpfer allen Friedens.

Und doch hat unser Friede nicht viel mit dem zu tun, was die Bibel meint, wenn sie Shalom, Eirene und Pax sagt. Denn Frieden ist nur „für alle“ oder ist kein Frieden.

Daran müssen sich messen lassen, die da „nur Russland“ oder „Amerika first“ oder „alles für Deutschland“ brüllen. So wird kein Frieden entstehen.

Ukrainer wissen, dass wir für den Frieden beten. Russen wissen, dass wir für Frieden beten.

Die Machthaber weltweit wissen, dass Christen weltweit für Frieden beten.

Ja, das könnt ihr ruhig hören, ihr Machthaber: Wir beten ohne Unterlass um Frieden.

Dein Wille geschehe, Herr. Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein.

Die Augen Jesu ruhen auch weiter auf Jerusalem. Der Augenblick dauert an. Die Augen Jesu, sein Augenblick, ruht auch auf uns. Sein Blick führt zu Veränderungen. Sein Blick kann verwandeln.

Liebe Schwestern und Brüder, verpassen wir den Augenblick nicht! Gott schenke uns dazu seinen Geist – Amen.


„Dann ein furchtbares Dröhnen und Erschüttern, alles sieht in die Luft nach Fliegern. Das Dröhnen wird immer schlimmer und 6 Tanks von gewaltigem Ausmaß biegen um die Ecke und fahren weiter Richtung Roßdorf.“

„Im Oktober ist wieder Bibelstunde. Es kommen nur wenige Frauen, die Last, die auf den Menschen liegt, ist so schwer, dass man kaum jemand aufmuntern kann. Die Frauen, die Mütter gefallender oder vermisster Söhne sagen fast alle, dass sie Nerven- oder Herzbeschwerden bekommen.“

„Das Durcheinander Evakuierter (hauptsächlich aus Köln, Koblenz, Aachen) nimmt immer mehr zu. Sie ziehen mit kleinsten Kindern im Wagen, ihr weniges Hab und Gut auf ausgedienten Kinderwagen und Karren mit sich schleppend, nach dem Westen. Trotz großer Kälte und anschließender Hitze ziehen täglich Dutzende durchs Dorf.“ 

Verordnung: Alle Waffen, Munition, Brieftauben, Sendegeräte müssen bei Todesstrafe abgegeben werden. Alle Amtsgebäude sind geschlossen, bis die Nazielemente daraus entfernt sind. Der Militarismus und Nationalsozialismus sollen restlos ausgerottet werden.“

„Sofort nehmen die Soldaten das ganze Haus in Beschlag. Im Nu sind Küche, Speisekammer, Keller und jedes Schubfach durchstöbert. Aber vor dem Wein und den Abendmahlsgeräten scheinen sie Respekt zu haben.“

„Wir sind heilfroh, dass wir so davongekommen sind und wollen Gott danken, und wenn das für uns das letzte sein sollte.“

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