05.09.2021
Ein Schatz kehrt zurück: Wieder - Indienstnahme mittelalterlicher Schnitzaltar, Predigt von Regionalbischöfin Dr. Friederike F. Spengler. Sonntag, 14. Sonntag nach Trinitatis

14. Sonntag nach Trinitatis, 05.09.21- Wieder-Indienstnahme des mittelalterlichen Schnitzaltars in Dorna, Kirchenkreis Gera

Predigt zu 1 Thess 5, 14-24

Gnade sei mit Euch und Frieden…

„Was wird denn aus uns?“ Immer kleiner werdende Gemeinden. „Was wird denn aus uns?“ Weniger hauptamtliche Mitarbeitende und Ehrenamtliche, die beinahe die Grenze des Ihnen Möglichen erreicht haben. „Was wird denn aus uns?“ In einem reichen Land inmitten einer verarmten Welt, deren Volk nicht nach Gott fragt und dessen Kirche sich unter andere „Vereine“ subsumieren lassen muss, was bis hinein in die Wahlprogramme geschieht. „Was wird denn aus uns?“ auf einer Erde, deren Elemente zum Himmel stinken und Menschen heimatlos macht.

Liebe Gemeinde, hatten wir nicht gehofft, als die Kirchen von Gebeten und Kerzen erfüllt 1989/90 ihre Leute kaum fassen konnten, dass alles ganz großartig würde? Hatten wir nicht gehofft, dass die Themen der Kirche, aus der wir kamen, die Themen „Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung“ von nun an staatstragend sein könnten? Hatten wir nicht auf Anerkennung, auf Aufstieg und Beachtung des christlichen Glaubens gehofft?

In den vergangenen eineinhalb Jahren ist durch die pandemiebedingten Veränderungen von Gottesdiensten, deren Verlagerung in Funk, Fernsehen und ins Digitale, unsere Empfindlichkeit erneut zutage getreten und an den Kirchentüren, in den Sitzungen und Konventen wird die Frage immer lauter gestellt„Was wird aus uns?“

Eine Predigt hat die Aufgabe, die Fragen der Gemeinde im Licht der biblischen Botschaft zu betrachten und nach Antworten zu suchen. Unser Predigttext ist Teil eines Briefes an die Gemeinde in Thessaloniki. Paulus hat ihn geschrieben, etwa 50 n. Chr. Thessaloniki ist zu dieser Zeit Hauptstadt der kaiserlichen Provinz Mazedonien und Sitz des Prokonsuls. Sie ist eine große Hafenstadt mit guter Weltanbindung, bereits demokratisch geordnet, so richtig mit Stadtparlament und Volksversammlung. Die Handelsstraße aus Rom führt hindurch, die aus dem Norden mündet im Zentrum. Hier war was los! Man hatte es gut. Die Stadt blühte. Das gesellschaftliche Leben auch. Kein Tag verging wie der andere, Abwechslung und Ablenkung machten das Leben leicht. Reden an jeder Ecke, Propagandisten und Missionare luden die Bewohner ein, ihren Ideen, ihrem Glauben zu folgen. Was für ein Reichtum an geistigen und geistlichen Dingen und an den Waren des täglichen Bedarfs sowieso! Eine Synagoge ist archäologisch nicht belegt, aber natürlich gab es hier auch Menschen, die jüdische Bildung besaßen. Solche Berührung jedenfalls lassen sich auch in der ganz jungen, kleinen christlichen Gemeinde nachweisen, an die der Brief geht. Die Gemeinde ist eine der Gründungen, die Paulus selbst auf seiner ersten Missionsreise unternahm. Die in Philippi war die erste, Thessaloniki folgte. Ach, was hatte man nicht alles erhofft! Die jungen Christen rechneten jeden Tag damit, dass Jesus wiederkommen würde. Morgen konnte es schon soweit sein. Bis dahin wollten sie sich sammeln und stärken und das Evangelium weitersagen, um so viele, wie möglich damit zu erreichen. Doch nun kam es ganz anders. Christen wurden erneut verfolgt, sie waren verängstigt. Verhaftungen stellten sich ein. Selbst der als so charismatisch-wirkende Paulus und seine Mitarbeiter mussten die Arbeit einstellen und wurden nicht einmal mehr geduldet. Die christliche Gemeinde war ganz und gar verunsichert … zu jedem neuen Gottesdienst wieder ein Platz mehr leer. Den Mut, unter solchen erschwerten Bedingungen, sein Bekenntnis öffentlich abzulegen, hatten nicht mehr viele. Sie fragen einander: „Nun haben wir die ersten Schwestern und Brüder bereits beerdigt und nichts ist geschehen! Kein offener Himmel. Herabsteigende Engel an der Verbindung zwischen Himmel und Erde wie bei Jakob, alles nur ein schöner Traum?... Was wird denn nun aus uns?“ So fragten sie.

Paulus erfährt von der Not und den drängenden Fragen der Gemeinde. Er riskiert alles. Endlich können Mitarbeiter nach Griechenland reisen, Timotheus kommt zu den Thessalonichern. Er hat einen Brief in der Tasche und hofft, dass diese Predigt des Paulus die Gemeinde aufbaut, tröstet und stärkt. Paulus will vergewissern, was trägt, wenn einem die Felle wegschwimmen:

Paulus schreibt:

14Wir ermahnen euch aber: Weist die Nachlässigen zurecht, tröstet die Kleinmütigen, tragt die Schwachen, seid geduldig mit jedermann. 15Seht zu, dass keiner dem andern Böses mit Bösem vergelte, sondern jagt allezeit dem Guten nach, füreinander und für jedermann.

16Seid allezeit fröhlich, 17betet ohne Unterlass, 18seid dankbar in allen Dingen; denn das ist der Wille Gottes in Christus Jesus für euch.

19Den Geist löscht nicht aus. 20Prophetische Rede verachtet nicht. 21Prüft aber alles und das Gute behaltet. 22Meidet das Böse in jeder Gestalt.

23Er aber, der Gott des Friedens, heilige euch durch und durch und bewahre euren Geist samt Seele und Leib unversehrt, untadelig für das Kommen unseres Herrn Jesus Christus. 24Treu ist er, der euch ruft; er wird’s auch tun.

Ihr Lieben, enttäuscht? Weil Timotheus keinen Masterplan aus der Tasche zieht, mit dem er in einem 12-Punkte-Papier die Kirche neu ordnet, damit sie wächst und die Begeisterung am Wort Gottes zunimmt? Paulus weist vielmehr die Christen darauf hin, dass es um Treue im Alltag, um das Weitermachen gegen die scheinbare Sinnlosigkeit geht.

So spricht er von gegenseitiger Hilfe und Ermutigung. Solche ist wirksam, auch und besonders in einer Zeit, in der der gesellschaftliche Druck auf die Christengemeinde damals zunahm und heute erneut und unter ganz anderem Vorzeichen wieder zunimmt. Damals als kleine sektiererische Gruppe wahrgenommen, stellten die Christen den römischen Einfluss auf das Leben und den Glauben schmerzlich infrage. Heute unter dem Vorzeichen der Allgültigkeit von all und jedem, dem Hofieren von Macht und Geld und dem Sich-Verlassen auf militärische und politische Stärke, ergeht es uns erneut so. Nein, die Geschichte der Christenheit ist keine Geschichte des „Größer, höher, weiter.“ Vielmehr ein Sich-Beugen zu denen, die uns brauchen.

„Weist die Nachlässigen zurecht, tröstet die Kleinmütigen, tragt die Schwachen“. Die „Nachlässigen“ sind hier nicht die, die nicht gut frisiert oder angezogen sind, sondern jene, die nachlassen in ihrer Hoffnung. Und kleinen Mut, also „Kleinmütigkeit“, den finde ich auch in mir. Die Schwachen sollen wir tragen, nicht den Starken applaudieren. Solche Sätze sind christliches Urgestein; wohltuende Regeln angesichts eines immer respektloseren und aggressiveren Umgangs.

 

„Seid geduldig mit jedermann.“, schreibt Paulus der Gemeinde, schreibt er uns. Geduld – das galt damals schon in der Antike als Tugend. Geduld ist keine passive, sondern eine höchst aktive Lebenshaltung, die ein Ziel nachdrücklich, jedoch ausnahmslos ohne Gewalt verfolgt. Zu ihr gehört sanfte Beharrlichkeit und langer Atem … Die Suche nach schnellen Konfliktlösungen greift dagegen oft auf Gewalt zurück… Geduld arbeitet auf Gewaltlosigkeit hin, weil sie Konflikte länger aushält. Solche Geduld fordert der Apostel von uns. Diese ist – wie die Liebe – ein Beziehungsgeschehen und damit: Geduld mit sich selbst und mit anderen haben. Manchmal auch mit Gott… Vor allem in Situationen, in denen wir sein Eingreifen erflehen und nicht wahrnehmen, wie er wirkt…

15Seht zu, dass keiner dem andern Böses mit Bösem vergelte, sondern jagt allezeit dem Guten nach, füreinander und für jedermann.

16Seid allezeit fröhlich, 17betet ohne Unterlass, 18seid dankbar in allen Dingen“, heißt es weiter. Das erinnert uns an den Wochenspruch aus Ps 103: „Vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat!“ Wir sind so oft vergesslich, besonders dem Guten, der Güte Gottes gegenüber. Die schweren Erfahrungen im eigenen Leben und weltweit nehmen dann viel mehr Platz ein, melden sich deutlicher zu Wort. Da ist es gut, einander zu erinnern „Vergiss nicht, was Gott dir Gutes getan hat!“ Das ist Auftrag an uns als Gemeinde, sich selbst und den anderen daran zu erinnern. Solches Erinnern macht froh, weitet das Herz und lässt gelassener in die Zukunft sehen.

„Betet ohne Unterlass“. Gebet ist wie Atmen, Beten als Einatmen und Ausatmen der Seele. „Bleibt in Verbindung mit Gott“, meint das. Nicht nur am Sonntag (und zu solch einem Fest wie diesem). Gott will dein „Alltagsgesicht“, deine „Alltagsmühe“, deine Alltäglichkeit mit dir teilen. Dafür ist sich Gott nicht zu schade! Beten als Grundhaltung eines Christen, mit Gott auf „Du und Du“. Paulus ist überzeugt davon, dass Gott selbst sich solches sehnlichst von dir wünscht.

„Unser Christsein wird heute nur in Zweierlei bestehen: im Beten und im Tun des Gerechten unter den Menschen. Alles Denken, Reden und Organisieren in den Dingen des Christentums muss neu geboren werden aus diesem Beten und diesem Tun.“ (schreibt Dietrich Bonhoeffer)

Die letzten beiden Verse des Abschnitts aus dem Thessalonicherbrief knüpfen an unsere Frage vom Anfang wieder an. Die christliche Gemeinde damals und die Gemeinden heute fragen „Was wir denn aus uns?“ Und Paulus antwortet:

„ …der Gott des Friedens, heilige euch durch und durch“.

Diese Bitte richtet sich zunächst an Gott, er möge seine Menschen heiligen, sie also heilig machen. Was für eine Aussage, Du und ich, wir werden heilig, wir sind Heilige!

Also nicht nur Margarete, Andreas, Nikolaus, Barbara und so weiter, die ihr auf Euerm wunderschönen Altar hier in Dorna als Heilige immer vor Augen habt, sondern Ihr, wir Heilige! Nicht, weil Ihr für Euren Glauben Euer Leben lasst wie Katharina oder wundertätig wäret wie Wolfgang. Sondern weil Ihr auf den Namen Jesus Christus getauft seid Gott selbst Euch heiligt. Und dann richtet sich diese Bitte auch an uns, denn das „Heilig-Sein“ hat Konsequenzen. Wer dem Zuspruch vertraut: „Du bist ein Heiliger, eine Heilige“, der wird auch mit dem, wie er lebt, Zeichen setzen, wird anders leben! Geheiligt durch Gottes Ja zu Dir, obwohl wir, Du und ich, uns unserer Grenzen durchaus sehr bewusst sind. Vor allem dann…

Gott bürgt für Euer Heil, so endet Paulus. Deshalb müssen wir nicht ängstlich fragen „Was wird denn aus uns?“, sondern vertrauen dem, der Weg und Mittel für uns weiß. Denn „Treu ist Gott, der euch ruft; er wird’s auch tun.“ So sei es – Amen!


 

Predigtlied:        EG 358,1-6 Es kennt der Herr die Seinen


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