03.10.2021
Predigt zum Erntedankfest/Tag der Deutschen Einheit, 3.Oktober 2021 in der Stadtkirche „St. Michael“ Jena, Regionalbischöfin Dr. Friederike F. Spengler

Dr. Friederike F. Spengler, Regionalbischöfin der Propstei Gera-Weimar

Predigttext: 2 Kor 9, 6-15 zusammen mit der altl. Lesung aus Dtn 8 und Wochenspruch
6Ich meine aber dies: Wer da kärglich sät, der wird auch kärglich ernten; und wer da sät im Segen, der wird auch ernten im Segen. 7Ein jeder, wie er’s sich im Herzen vorgenommen hat, nicht mit Unwillen oder aus Zwang; denn einen fröhlichen Geber hat Gott lieb. 8Gott aber kann machen, dass alle Gnade unter euch reichlich sei, damit ihr in allen Dingen allezeit volle Genüge habt und noch reich seid zu jedem guten Werk; 9wie geschrieben steht (Ps 112,9): »Er hat ausgestreut und den Armen gegeben; seine Gerechtigkeit bleibt in Ewigkeit.« 10Der aber Samen gibt dem Sämann und Brot zur Speise, der wird auch euch Samen geben und ihn mehren und wachsen lassen die Früchte eurer Gerechtigkeit. 11So werdet ihr reich sein in allen Dingen, zu geben in aller Lauterkeit, die durch uns wirkt Danksagung an Gott. 15Gott aber sei Dank für seine unaussprechliche Gabe!

Heinrich Schütz schrieb 1657 die Musik zu einem Vers aus Psalm 145. Der wurde zu einem der bekanntesten Tischgebete aller Zeiten: „Aller Augen warten auf dich, Herre, und du gibst ihnen ihre Speise, zur rechten Zeit. Du tust deine milde Hand auf und sättigst alles, was da lebt mit Wohlgefallen.“ (EG 461) Dabei hat der Verfasser Erfahrungen mit den Auswirkungen des dreißigjährigen Krieges. Er kennt dunkle Zeiten und schlechte Nachrichten. Krankheit, Seuchen und Tod als tägliche Begleiter. Er hätte ganz sicher genügend Anlässe dafür gefunden, ganz anders zu dichten: Kein Dankgebet, sondern reine, heiße Klage. Heinrich Schütz aber dankt.

„Und wenn du nun gegessen hast und satt bist und schöne Häuser erbaust und darin wohnst und deine Rinder und Schafe und Silber und Gold und alles, was du hast, sich mehrt, dann hüte dich, dass dein Herz sich nicht überhebt und du den Herrn deinen Gott vergisst, der dich aus der Knechtschaft geführt und dich geleitet hat durch die große und furchtbare Wüste, wo feurige Schlangen und Skorpione und lauter Dürre und kein Wasser war“… Mich erreichen die Worte aus dem Deuteronomium mit großer Kraft: Mose webt dem Volk vor dessen innerem Auge die Wege seiner Geschichte. Dann legt er ihnen den Stoff vor: Den Stoff ihrer Geschichte, den Stoff, der sie kleidet und wärmt, ihnen Würde verleiht und sie schön macht: Bäche und Quellen, Berge und Auen sind eingewebt. Weizen und Gerste, Weinstöcke und Obstbäume, Eisen und Erz ergeben ein fantastisches Muster.

Sowohl Heinrich Schütz als auch Mose danken Gott auf Zukunft hin! Das gute Leben ist Mitte des 17. Jahrhunderts in Deutschlands Häusern und Hütten ebenso weit entfernt, wie beim wüstenwandernden Gottesvolk. Der Dank geschieht in Spe – auf Hoffnung hin! Gott möge Gutes, nein, ganz sicher: Gott wird Gutes tun. Und dafür danke ihm bereits jetzt.

Dank für die guten und schönen Dinge des Lebens, für die Erntegaben, für Brot und Wein auf unseren Tischen und die Herbstblumen in den Gärten. Für den Altweibersommer, der unsere Gesichter sonnig aussehen lässt. So lässt es sich danken. Aber im Voraus? Das heißt doch, auch in schweren Situationen danken, auf dass es einmal wieder besser sein werde. Vielleicht. Hoffentlich. Liebe Gemeinde, ich habe Menschen getroffen, die ihren Dank bereits im Augenblick ihrer Tränen formuliert haben. Abgerungen, nur stammelnd ausgesprochen: Dank für das Leben trotz des plötzlichen Todes eines Nächsten; Dank mitten in der Krankheit, weil sie um Orientierung rangen; Dank trotz der vierzehnten Absage auf die Bewerbung um ein Studium, weil sie fest darauf vertrauten, dass Gott den Weg schon für sie wisse… Von einer solchen Haltung bin ich oft selbst weit entfernt. Und doch ahne ich, was ich gewinnen würde, wäre sie mir eigen…

6Ich meine aber dies: Wer da kärglich sät, der wird auch kärglich ernten; und wer da sät im Segen, der wird auch ernten im Segen“ schreibt Paulus an die Korinther. Der Predigttext geht mit uns sofort in medias res. „Was soll den wachsen, wenn du nichts ausstreust?“ Wenn wir so weitermachen, wie momentan in unserem Land, werden wir kärglich ernten! Denn wir säen kärglich, mehr als kärglich. Knauserig zählen wir unsere Vorräte und kommen stets auf ein Ergebnis, was uns nicht befriedigt sein lässt. Kleinlich rechnen wir nach und die Summe ist immer und immer wieder nicht groß genug. Unser ABER ist so übersteigert, dass wir kaum noch darüber hinwegsehen können. Wenn wir Gutes erinnern und erzählen, relativieren wir dies im selben Atemzug, wie es ausgesprochen ist. Holen es ein, bevor es beim Gegenüber richtig ankommen kann. Unser „Aber“ ist wie die Motte, die den wunderbar – gewebten Stoff zerfrisst. War sie ungehindert am Werk, bleiben nur Fetzen übrig: Fäden hängen lose herab und das einst so wärmende, kleidsame Gewand, lässt uns wie abgerissene Bettler dastehen.

Aus Danken dagegen wächst neues Denken. Danken gebiert Freigiebigkeit. Loslassen des ewigen „Abers“. Paulus schreibt: 7Ein jeder, wie er’s sich im Herzen vorgenommen hat, nicht mit Unwillen oder aus Zwang; denn einen fröhlichen Geber hat Gott lieb. 8Gott aber kann machen, dass alle Gnade unter euch reichlich sei, damit ihr in allen Dingen allezeit volle Genüge habt und noch reich seid zu jedem guten Werk.“

Wie gern würde ich diesen Satz heute laut hinausbrüllen in unser Land, nach Europa: „Teilt, denn ihr habt genug!“, würde ihn gern denen entgegenhalten, die sich gerade angesichts der Flüchtlingsströme sorgen um ihr Hab und Gut: „Vertraut auf den, der selbst das Leben ist, und ihr werdet keinen Mangel haben.“ Das möchte ihn ihnen entgegenhalten, die im Wahlkampf mit Parolen wie „Deutschland zuerst“ Stimmen gefangen haben.

Wer dankt, denkt anders, bedenkt alles in einem anderen Licht: Den Menschen, mit dem wir es vielleicht schwer haben; die Situation, die kaum auszuhalten ist.  

Wer dankt, denkt in Zusammenhängen, die ihm vorher nicht deutlich waren: „Du tust deine Hand auf“, lässt Heinrich Schütz mitten im Hunger singen. „Der Herr, dein Gott führt dich in ein gutes Land, ein Land, darin Bäche und Quellen sind und Wasser in der Tiefe, Feigenbäume und Granatäpfel wachsen dort und Öl und Honig wirst du finden.“ ruft Mose dem Volk Israel zu, die von Wüstensand, Hitze, Durst und Skorpionen die Nase gestrichen voll haben. 11"So werdet ihr reich sein in allen Dingen, zu geben in aller Lauterkeit, die durch uns wirkt Danksagung an Gott.“, schreibt Paulus. Denn Mose und Paulus und Heinrich Schütz wissen:  Zu danken verändert das Hier und Jetzt. Wer dankt, wird großzügig. Wer dankt, wird innerlich frei und seine Hände öffnen sich.

Zedaka – „Der Welt Gutes tun“, eine urhebräische Tugend. Zedaka meint die selbstverständliche Pflicht, den Schwestern und Brüdern neben uns ihren rechtmäßigen Anteil an der Fülle der unverdienten Gaben zu geben. Dabei ist dieses Teilen im Judentum nicht die herablassende Geste einer eilig zugeworfenen Münze in den Kaffeebecher des Bettlers, sondern Selbstverständnis des Menschen: Gott selbst, der Geber aller Gaben, alles Wohlstands, alles Daseins, ist der Gerechte, der selbst Zedaka, diese Wohltat übt und sie dem Menschen, als Träger seines Ebenbildes, als Daseinsaufgabe setzt. „Das Stück Brot, das ich habe, gehört sowohl Dir wie mir.“, sagten die alten jüdischen Lehrer. Und weiter „Ja, ihr habt recht gehört, dass das Wort ‚Dir‘ vor dem Worte ‚mir‘ steht, woraus zu folgen ist, dass die Pflicht, sein Brot mit anderen zu teilen, noch Vorrang vor den eigenen Bedürfnissen hat.“ Zedaka wird geübt, um die Gerechtigkeit, die Gott für diese Erde will, an einzelnen Stellen aufblitzen zu lassen.

Ihr Lieben, neben Erntedank im Sinne der Lebensmittel, feiern wir heute auch Erntedank für 31 Jahre Leben in Frieden in einem geeinten Deutschland. Und auch hier merke ich bei mir selbst, verändert sich das Denken, wenn ich danke: Wenn ich danke für die Möglichkeiten, die die freiheitliche Demokratie bietet. Für den Wohlstand, in dem so viele von uns, die wir heute hier in dieser Kirche sitzen, leben. Für die funktionierenden Gesundheits- und Sozialsysteme, die selbst unter den Herausforderungen eines uns fremden Virus nicht in die Knie gegangen sind. Solches Danken macht Herz und Augen weit und sieht im Danken für das, was ich haben, was ich nutzen, worüber ich verfügen kann, eben nicht das, was mir zusteht, sondern das, was meinen Brüdern und Schwestern zusteht. Nein, nein und nochmals nein: Wir haben es nicht verdient, dass es uns besser geht als dem größten Teil der Menschheit! Wir haben es nicht unserer Leistung und unserem ach so fleißigen und arbeitssamen Charakter zu verdanken, dass wir hier und heute leben: mit dem milden Klima und dem Schutz der Kernberge und der gemäßigten Saale im Paradies. Mose warnt: „Du könntest sonst sagen in deinem Herzen: Meine Kräfte und meiner Hände stärke haben mir diesen Reichtum gewonnen, sondern gedenke an den Herrn, deinen Gott, denn er ist`s, der dir Kräfte gibt, Reichtum zu gewinnen.“ Und Paulus schreibt: 10Der aber Samen gibt dem Sämann und Brot zur Speise, der wird auch euch Samen geben und ihn mehren und wachsen lassen die Früchte eurer Gerechtigkeit.“ Und Heinrich Schütz singt „Aller Augen warten auf dich“. Nein, wir sind es nicht! Und weil wir  es uns nicht selbst gegeben haben, deshalb haben wir nur ein Recht darauf, wenn unser Nächster dasselbe Anrecht hat. Dies zu ermöglichen, ist unsere Aufgabe: Zu organisieren, dass es eine solidarische Umverteilung gibt, damit keiner leer ausgeht und jeder dort leben kann und darf, wo er will. Mitzuhelfen, dass die Unterschiede zwischen Arm und Reich minimiert werden und von seiner Hände Arbeit jeder leben kann. Veränderungen zu erwirken, damit Zugänge zu Bildung, zu Wissenschaft und Kunst ebenso zu lebenserhaltenden Maßnahmen zählen, wie medizinische Hilfe. Ja, das macht Mühe. Und ja, das wird auch Probleme bereithalten. Da braucht es Aufmerksamkeit und Fingerspitzengefühl ebenso wie selbstbewusstes Auftreten und einen langen Atem.

Den Weg vom Danken zum Denken können wir heute beginnen, die ersten Schritte setzen. Mose sieht es schon vor sich: das neue Land, die gelobte Welt, in der alle in Gerechtigkeit und Frieden leben. Und Paulus schickt sein Gott aber sei Dank für seine unaussprechliche Gabe! zum Himmel. „…und sättigst alles, was da lebt mit Wohlgefallen“, jubelt Schütz. Der Anfang ist gemacht. Das Ziel ist vorbereitet. Das Dazwischen wartet auf uns… Amen


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