03.10.2019
Predigt von OKR Christhard Wagner im Ökumenischen Gottesdienst am Tag der Deutschen Einheit, 3.Oktober 2019

Point Alpha/ Geisa
Predigttext: Markus 4, 35- 41

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch Allen.

Fast genau vor 30 Jahren fand in der Georgenkirche Eisenach das 3. Friedensgebet statt, in der ich den heutigen Predigttext auslegte. Ich möchte einige Gedanken daraus an den Anfang stellen:
Die Freunde von Jesus sind in einem Boot.
Der Sturm macht ihnen schwer zu schaffen.
Sie haben Angst.
Sie kämpfen tapfer. Aber es wird immer bedrohlicher.
Sie wecken Jesus. Sie beklagen sich:
Siehst du nicht, wie wir untergehen?
Mit einem Wort stillt Jesus den Sturm.
Und fragt seine Jünger: Warum habt ihr Angst?
Ich bin doch bei euch!

Wir Christen glauben:
So etwas geschieht auch im Oktober 1989.
Wir haben Angst.
Wir kennen Jesus.
Wir bekommen Mut.
Wenn der Sturm uns zu kentern droht.
Er hilft.

Wenn ich Predigten des Herbstes 1989 lese, stelle ich fest:
So lebendig, so unmittelbar sprach das Evangelium zu uns – so ermutigend und genau unsere Situation treffend erlebten wir die alten Worte der Bibel.
Der Geist Gottes wehte kräftig – und die Herzen der Menschen waren offen. Sie ließen sich bewegen.

Der Geist der Freiheit, aber auch der Geist der Gewaltlosigkeit führte zu dem Besten, was in unserem Land geschah: zur friedlichen Revolution. Und bitte reden Sie nicht von Wende. Das Wort erfand Egon Krenz, um uns weiszumachen, dass mit ihm die Wende gelungen ist und wir wieder nach Hause gehen können.

Das Wort des Paulus an Timotheus – sie galten uns:
„Gott hat uns nicht den Geist der Furcht gegeben, sondern den der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit.“

Wir erlebten: Bibelworte beginnen zu leuchten.  Menschen legen ihre Angst ab. Verhältnisse ändern sich. Machthaber verlieren Macht. Die Freiheit schmeckt im Oktober nach Frühling.
Wer sich dieses Wunder vor Augen führt, der kann gar nicht anders als Gott zu loben und zu danken.

Dafür sind wir heute hier zusammengekommen: Wir loben Gott und danken von ganzem Herzen, aus ganzer Seele, aus ganzem Gemüt für das Wunder unseres Lebens.

Ein zweites:
Wer das Wunder erlebt hat, wird zum Glaubenszeugen..
Die Mauer von Jericho fiel - mit Gottes Hilfe und einem Posaunenchor.
Die Mauer unseres Landes wurde durch mutige Menschen mit Kerzen und Gebeten umgeworfen.
Als Glaubenszeugen dürfen wir deshalb nicht schweigen über das, was wir erlebt haben.
Unsere Angst im Sturm der Zeit – sie war in diesen Oktobertagen sehr berechtigt.
30 Jahre verklären so manches. Wir schauen auf die Geschichte zurück und kennen das gute Ende. Wir erzählen fröhliche Anekdoten und was wir am 9. November taten.
Umso wichtiger ist für uns, daran zu erinnern, wie nah und real der Krieg war.
Dieser Ort- Point Alpha erinnert eindrücklich daran:  Unsere Ängste waren berechtigt. Der Krieg war näher als Viele glaubten.
Egon Krenz behauptet heute allen Ernstes: er hat dafür gesorgt, dass die Revolution friedlich blieb.
Ich erinnere mich anders: Dieser Egon Krenz lobte noch im September das Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens und gab uns damit zu verstehen, dass dies auch in Berlin oder Eisenach vorstellbar ist.

In Eisenach waren während des Friedensgebetes die staatlichen Gebäude rund um den Marktplatz mit Bewaffneten besetzt.
Die Staatssicherheit hatte noch weit über die Novembertage hinaus Pläne, die Macht gewaltsam wieder an sich zu reißen. Wir tanzten und ahnten nicht, wie dünn das Eis ist.
Wir gedenken heute dankbar der Menschen, die damals mutig vorangingen, als noch so mancher vor dem Fernseher oder hinter der Gardine abwartete.
Wann gelang jemals eine Revolution ohne jegliches Blutvergießen? Es gab im Oktober 89 jede Menge Anlässe zur Eskalation. Der Ruf Jesu: Keine Gewalt - er kam aus den Kirchen und wurde von den Tausenden auf den Straßen gehört.

Auf der einen Seite ein System bis an die Zähne bewaffnet, ein Repressionsapparat, der bis in jede Familie hineinwirkte – dazu eine Grenze mit tödlicher Sicherheit.
Und auf der anderen Seite: Menschen mit Kerzen und Gebeten.

Wir sind Glaubenszeugen. Nichts muss so bleiben wie es ist. Wir schaffen das. Mit Gottes Hilfe. Auch wenn der Sturm unser kleines Glaubensboot fast zum Kentern bringt. Wir haben Jesus dabei.
„…ein Wörtlein kann ihn fällen“ : den Sturm. Die SED. Die Mauer.

Ein drittes:
Als Glaubenszeugen dürfen wir hoffen. Wunder gibt es immer wieder! Wir dürfen damit rechnen.
Dabei brauchen wir Jesus heute genauso dringend wie damals.

Denn auch heute ist unser Glaubensschiff  in schwerer See. Die Mannschaft geht von Bord. Wir sind jedenfalls in unseren Breiten eine kleine Crew geworden.
Das stolze Schiff Kirche ist eher eine Schaluppe geworden. Wir sehen kein Land. Wie wird es mit dem Schiff, dass sich Gemeinde nennt, weiter gehen ?
Unser Land ist im Sturm.

Die Welt dreht sich immer schneller und schüttelt uns durch. So beengt, so miefig, so bleiern die DDR war – so stark bläst uns jetzt der Wind ständiger Veränderungen in das Segel und lässt unser Boot gefährlich schlingern.

Viele Menschen fühlen sich verunsichert und wünschen sich die Zeit zurück, als Alles seinen sozialistischen Gang ging, nur ohne Sozialismus. Viele fühlen sich -oft auch zu recht- ungerecht behandelt. Viele sind hinten runtergefallen. Sie alle fragen sich: wie kommen wir wieder in ruhiges Fahrwasser?

Christen sind Menschen mit Hoffnung und Zuversicht. Wir wissen: Jesus ist im Boot. Manchmal meinen wir, er schläft. Wir fühlen uns allein gelassen.
Aber wir haben sein Wort: warum seid ihr so furchtsam? Habt ihr denn keinen Glauben? Wir mögen Alle ein wenig seekrank zu sein – und wir sind nicht die, die für jede schwierige Situation eine Antwort haben. Aber wir haben eins: wir haben Jesu Zusage: am Ende wird alles gut. Und wenn es nicht gut ist, ist es noch nicht das Ende. Wir dürfen Hoffnung und Zuversicht weitergeben, denn wir haben Jesus im Boot. Und wir haben es selbst erlebt. Jesus stillt den Sturm.

Die Mauer ist weg. Gott sei Dank. Andere Mauern werden hochgezogen.
Wir waren und sind nicht die Einzigen, die für sich Freiheit, Frieden und Wohlstand erhoffen. Was ist das für ein Glaube, der allein Segen für sich erbittet und den Bruder und die Schwester hartherzig abweist.
Wir sitzen in einem Boot. Mit unseren Schwestern und Brüdern auf der ganzen Welt. Wir sind gemeinsam Kinder Gottes. Er liebt uns und seine Kinder in der ganzen Welt.
Das wichtigste Gebot heißt deshalb: Liebe Gott und deinen Nächsten wie dich selbst. Damit steht fest: wenn wir Gott loben für das Wunder, dass uns Freiheit gebracht hat, wenn wir darauf hoffen, dass er bei uns bleibt im Boot, dann können wir nicht diejenigen, die auf uns hoffen, geflissentlich übersehen oder tausend Gründe suchen, warum wir nicht helfen wollen.
Das Wort Gottes bleibt in Ewigkeit. Wir haben dies als Christen laut und deutlich weiterzusagen. Egal, in welchem Land, egal in welcher Gesellschaftsordnung. Das Wort Gottes tröstet und ermutigt, aber es ist auch anstößig, fordernd, unbequem. Wir sind nicht der Zuckerguss, sondern Salz der Erde.

Das gefällt nicht Allen. Das kann auch gar nicht anders sein. Doch es bleibt unser Auftrag. Wir dürfen dabei darauf vertrauen. Jesus ist im Boot.

In einem Choral heißt es:
„Die Hände, die zum Beten ruhn, die macht er stark zur Tat.“
Wir haben in den Friedensgebeten Gott in den Ohren gelegen. So wie die Jünger im Boot. Wir haben uns durch sein Wort trösten und ermutigen lassen. Und sind dann auf die Straße gegangen.
Dieser Dreiklang ließ damals die Mauer brechen. Sie fiel nicht einfach um, wie das Wort Mauerfall vermuten lässt. Sie wurde überwunden durch Kerzen und Gebete. Durch den Geist der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit. Durch Menschen, die sich davon begeistern ließen.

Dies haben wir erlebt. Mit dieser Glaubenserfahrung können wir auch die Stürme unserer Zeit durchstehen. Die großen weltpolitischen Stürme, die mittleren Stürme, die unser Land ergriffen haben und die ganz persönlichen, in denen so mancher auch von uns heftig geschüttelt wird.

Wir sind Glaubenszeugen.
Bezeugen wir unsere Hoffnung. Loben wir Gott. Vertrauen wir: Gott ist im Boot.
Hoffen wir auf ihn: er führt uns durch den Sturm. Damals- heute-morgen.
Amen.

Christhard Wagner


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