19.07.2020
Predigt von Regionalbischöfin Dr. Friederike F. Spengler zum 6. Sonntag nach Trinitatis, 19.07.2020 zu Dtn. 7,6-12.

Dr. Friederike F. Spengler, Regionalbischöfin der Propstei Gera-Weimar

Erwählung ist kein Privileg. Erwählung ist Aufgabe.
Predigttext aus Dtn 7, 6-12

6 Denn du bist ein heiliges Volk dem HERRN, deinem Gott. Dich hat der HERR, dein Gott, erwählt zum Volk des Eigentums aus allen Völkern, die auf Erden sind.

7 Nicht hat euch der HERR angenommen und euch erwählt, weil ihr größer wäret als alle Völker – denn du bist das kleinste unter allen Völkern –,

8 sondern weil er euch geliebt hat und damit er seinen Eid hielte, den er euren Vätern geschworen hat. Darum hat der HERR euch herausgeführt mit mächtiger Hand und hat dich erlöst von der Knechtschaft, aus der Hand des Pharao, des Königs von Ägypten.

9 So sollst du nun wissen, dass der HERR, dein Gott, allein Gott ist, der treue Gott, der den Bund und die Barmherzigkeit bis ins tausendste Glied hält denen, die ihn lieben und seine Gebote halten,

10 und vergilt ins Angesicht denen, die ihn hassen, und bringt sie um und säumt nicht, zu vergelten ins Angesicht denen, die ihn hassen.

11 So halte nun die Gebote und Gesetze und Rechte, die ich dir heute gebiete, dass du danach tust.

12 Und wenn ihr diese Rechte hört und sie haltet und danach tut, so wird der HERR, dein Gott, auch halten den Bund und die Barmherzigkeit, wie er deinen Vätern geschworen hat,

 

 Die Bibel erzählt, wie Gott den Menschen schafft, männlich und weiblich schuf er sie. Die Bibel erzählt von diesem Anfang wie von einer Familiengeschichte. Hallo Bruder, hallo Schwester! Alle gehören zusammen. Von Anfang an sind wir Geschwister! Das ist keine christliche Erfindung, auch wenn sie über die Jahrhunderte immer mal wieder aus der Nische der Vergessenheit herausgeholt werden musste.

Die Bibel erzählt: Alle sind als königliche Menschen geschaffen und berufen. Keine biologischen Besonderheiten, keine unterschiedlichen Rassen. Ja, natürlich, die Heilige Schrift ist uns auch darin voraus. Sie entzieht jedweder Lehre in dieser Richtung von Anfang an den Boden. Sie lässt den Gedanken gar nicht erst aufkommen. Eigenartig, wie wir bis heute immer wieder auf solche Abwege kommen…

Aus dem, was die hebräische Bibel, unser Altes Testament, erzählt, hat die Präambel der deutschen Verfassung ihre Überzeugung gewonnen „Die Würde des Menschen ist unantastbar…. Freie Persönlichkeitsentfaltung, sofern es nicht das Recht des Anderen verletzt… alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich...“

Die Bibel erzählt von diesen besten aller Voraussetzungen für das Leben auf der Erde, „Und Gott sah an, alles was er geschaffen hatte und siehe, es war sehr gut!“ (Gen 1,31) Und dennoch führen die gleichen Ausgangsbedingungen nicht zu einem Leben, in dem jeder eine faire Chance hat. Obwohl allen alles zur Verfügung stand, begann das Kräftespiel umgehend. Bereits die, die alles zur Verfügung hatten – das hat später der Kommunismus für seine Idee gehalten! –  traten bereits in tödliche Konkurrenz zueinander. „Und Kain schlug seinen Bruder Abel tot.“ Und mit dem Brudermord begann die Geschichte der Ungleichheit, die Geschichte der Unterdrückung, Entrechtung, der Maßlosigkeit. Wenn Jesus später sagen wird „Mit dem Maß, mit dem ihr messt, werdet ihr gemessen werden“ (Mt 7,2) hat er wohl genau dies mit im Blick: Meinen eigenen Anspruch nach Recht und Freiheit und überhaupt. Dass diese im gleichen Maße dem Anderen gelten: trete ich dafür ein? Ist das Recht, dass uns in unserem Land zugesagt sind, mein Privileg oder ist es meine Aufgabe? Die Bibel nimmt kein Blatt vor den Mund, ist in einer Weise eindeutig, die mich zum Hinhören zwingt: Wir sind als Geschwister geschaffen. Eine Familie. Alle gehören zusammen. „Und siehe, es war sehr gut!“

Liebe Gemeinde, als hätte Corona uns ein wenig vergessen machen können, dass der Mensch nur auf seinen eigenen Vorteil bedacht ist, geht es seit Wochen wieder ganz anders zur Sache. Und schon jetzt ist von Gewinnern und Verlierern der Krise zu lesen. Gespaltene Gesellschaft? Gespaltene Welt? Was bedeutet das für die, die auf der anderen Seite des Spaltes stehen?

Verlust der Freiheit, Verlust von Eigenständigkeit, Unterdrückung des Stolzes, der Äußerungen des Glaubens, des Ansehens. So erlebte es auch das Volk Israel als Sklaven in Ägypten. Lehmpantscher waren sie. Ziegelbrenner. Der Abschaum, das Letzte, die Leiharbeiter des Pharaos. Wohnend in Sammelunterkünften auf engstem Raum und jederzeit angreifbar, auffindbar, benutzbar. Von Solidarität mit ihnen ist kaum zu lesen. Sie sind der Rand der Gesellschaft im stolzen Zweistromland. Pharao speist seinen Reichtum durch ihre Hände Arbeit. Sehr reich und bemittelt und sehr arm und unbemittelt. Die Schere weit.

In Gottes Augen ein Dorn. Ich sehe ihn ungläubig den Kopf schütteln: War nicht alles für alle da? Ausreichend? Und hatte ich nicht von Anfang an auf Beziehung gesetzt – Gott und Mensch. Schöpfer und Geschöpf. Vater und Kind. Hirt und Schaf. Jetzt aber verdreht der Mensch die Tatsachen und macht sich zum Gott. Zum Schöpfer. Zum Vater. Zum Hirten.

Pharao lässt sich gottgleich verehren. Gott selbst nun folgt ihm in seine Träume, dann in den Alltag mit Unwetter und Schädlingen und Entzug von Gesundheit und Leben. Ja, Gott macht Menschen seinen Auftrag mitunter auch schmerzhaft klar: Du hast alle Voraussetzungen. Du bist doch so privilegiert. Ich sorge für Dich. Du hast alles von mir. Eigentum verpflichtet, das steht sogar in deinem Grundgesetz. Eigentum in Besitz und Begabung. Setze beides ein. Für alle. Nichts steht nur Dir zu.

Und dann wendet sich Gott denen auf der anderen Seite der Macht zu: Auf der Seite der Ohnmacht. Den Schwachen. Den Gedrückten und Unterdrückten.  Den Verlierern. Ach, Gottes Schwäche für Verlierertypen! Das gehört wohl zu seinem Wesen. Von Anfang an. Schon als Kain seinen Bruder erschlug, fragte er den Täter nach dem Opfer. Und er straft den Täter, aber nicht maßlos: Er schützt ihn vor Verlust von Leben und Würde.

Und so malt es uns die Geschichte Israels vor Augen: Den Machthabern ging es nur immer solange gut, wie sie ihre Privilegien als Aufgabe sahen. Und einsetzten. Das lässt sich aus Gottes Sicht wohl gar nicht anders begreifen. Jeder König wurde so gemessen. Jeder in Machtpositionen wird bis heute von ihm so gemessen.

Ach ja, Gottes Schwäche für Verlierertypen. Ich stelle mir vor, wie der Herr der Welt jeden Tag seine Augen über dieser Erde aufgehen lässt und hinsieht. „Denn du bist ein dem Ewigen, deinem Gott, geheiligtes Volk. Dich hat der Ewige, dein Gott, erwählt, sein leibeigenes Volk zu sein, aus allen Völkern, die auf der Erde sind. Nicht weil ihr etwa zahlreicher als andere Völker wäret, hat euch der Ewige angenommen und erwählt, denn in Wahrheit seid ihr die wenigsten unter allen Völkern, sondern bloß, weil der Ewige euch liebt und den Eid halten will, den er euren Eltern geschworen hat, hat er euch mit starker Hand aus Ägypten geführt und aus dem Sklavenhause, von der Hand Pharaos, des Königs zu Ägypten, errettet.“

„…nicht weil ihr zahlreicher als andere Völker wäret – sondern weil er euch geliebt hat…“

Gott liebt: Sein Volk. Das Kleine. Das Abhängige. Das Geschundene. Und aus dieser Liebe weiß das Volk Israel um seine Erwählung. Und was macht die Welt daraus? Sie stimmt ihre Klage dagegen an! Sie bringt eine totbringende Anklage ins Rollen, die Antisemitismus heißt und über die Jahrtausende nicht abreißen will. Gott liebt sie immer wieder aus dieser Verneinung der Welt heraus. Unglaublich. Fantastisch. Liebe zum Leben.

Gott lebt und liebt in Beziehungen. Er nimmt den Faden auf zu seinen Geschöpfen. Er lässt den Faden nicht abreißen. Das Zeichen seiner Beziehung zu uns, ist die Taufe. In Deiner Taufe hat Dich Gott zu seinem Verbündeten gemacht – im wahrsten Sinne des Wortes – verBÜNDet. Einen Bund hat er mir Dir geschlossen, einen Faden geknüpft. Unzerreißbar. Gott hat sich aus freien Stücken an Dich gebunden. In diesen Bund bist Du mit Deiner Taufe eingetaucht und seitdem mit allen Wassern des Lebens gewaschen. Und alles, was Dich sonst noch binden will: Herkunft und Erziehung, Geschichte und Geschick, körperliche und seelische Voraussetzungen, Geld und Gut, Aberkennung oder Aberkennung…das alles ist mit hinein ins Wasser getaucht – „im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes“. Dieser Bund gilt Dir. In Jesus haben wir teil am ewigen Bund Gottes, sind durch ihn, den Sohn Davids, mit hineingenommen in die Zukunft: „Siehe, ich habe Dich erwählt. Ich habe Dich bei Deinem Namen gerufen; Du bist mein.“

Erwählung ist kein Privileg. Ihr Lieben, durch die Taufe gehört Ihr zu den Erwählten. Und so gilt auch für Euch: Erwählung ist Aufgabe! Weil Euch Gott in Freiheit und ins Recht setzt, ist es Eure Aufgabe, für Freiheit und Recht des Anderen einzutreten. Weil Euch Gott in diesem reichen Teil der Erde leben lässt, ist es Eure Aufgabe, den Reichtum mit Anderen zu teilen. Weil Gott an Deiner Würde nicht zweifelt, ist es Deine Aufgabe, die des Anderen zu achten und zu schützen. Dass Kirche „Kirche für andere“ ist, ist kein Spendenaufruf, sondern hat unsere Lebensweise zu sein! Wir sind Geschwister, Familie Gottes, Brüder und Schwestern von Jesus Christus selbst.

Amen

Die Familienverhältnisse Gottes werden sehr schön in einem Witz erzählt:

Kommt ein evangelischer Pfarrer in den Himmel. Petrus übergibt ihm, weil er sein Lebtag das Evangelium aufopferungsvoll verkündet hat, einen VW. Er freut sich und fährt spazieren. Plötzlich überholt ihn ein Mercedes, den ein katholischer Priester lenkt. Schlechtgelaunt kehrt er sofort um und fragt Petrus, wieso dieser einen so viel teureren Wagen bekommen habe. „Ach weißt du“, sagt Petrus „der hat sein ganzes Leben auf die Freuden der Ehe verzichten müssen, das ist der Ausgleich. Himmlische Gerechtigkeit eben.“  Der Pfarrer sieht das ein und fährt weiter. Kurz danach rast ein Straßenkreuzer mit offenem Verdeck an ihm vorbei. Ein Rabbiner mit wehendem Bart sitzt am Steuer. Voll Entrüstung spricht der Pfarrer Petrus darauf an, schließlich habe der jüdische Geistliche doch auch heiraten dürfen, Petrus darauf: „Nichts zu machen, das ist Verwandtschaft vom Chef!“


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