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28.06.2018
Hose mit Löcher

„Die Welt wird immer komplizierter“ stöhnt meine betagte Mutter. Dabei meint sie gar nicht die Bedienung des Fernsehers oder die Einstellung der Heizung. Technisch ist sie absolut auf der Höhe der Zeit. E-Mails mit den Enkeln - das ist alles kein Problem für sie.

Nein, irritierend empfindet sie, was sie so auf der Straße sieht. Zum Beispiel Jeanshosen mit Rissen und Löchern. „Die haben doch Geld für heile Hosen!“ Und früher habe man Löcher gestopft. Neulich sei sogar eine mit solchen löchrigen Jeans in den Gottesdienst gekommen.

Ich unterbreche und erkläre: Diese sorgfältig zerstörten Hosen liegen absolut im Trend. Man gibt viel Geld aus dafür, dass sie genauso aussehen. Ihr „Verrückt!“ klingt mir noch im Ohr.

Ich unterbreche: „Meinst Du, den jungen Leuten gefällt, was Du Dir anziehst? - geschweige, denn dass sie sich selber so anziehen wollen? Sollen denn etwa alle gleich aussehen? Gott hat uns doch auch ganz unterschiedlich gemacht. Den einen lang, den anderen kurz. Eine mit blauen Augen, die andere mit braunen. Es geht bei ihm nun auch nicht gleich zu.“

Sie stutzt. Sie nickt nicht. Aber sie hat mich angehört. Ich habe von ihr gehört, dass, was für den einen selbstverständlich oder gar cool ist, für den anderen gar nicht selbstverständlich und völlig uncool ist.

Ich bin ja froh, dass wir darüber reden können. Eine Meinung haben wir da nicht. Über löchrige Jeans wird sie vielleicht immer noch ihre Augen verdrehen. Aber vielleicht wird sie auch mehr Freude haben, wenn andere eben auch wirklich anders sind.

 

Pfarrer Jan von Campenhausen, Wittenberg


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