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06.06.2023
Jenseits der Norm

„Ferdinand ist ein Spinner,“ sagen die Leute. Dabei hat er einen ganz besonderen Sinn für alles jenseits der Norm. Für das Krumme, Schiefe und Schräge.

Täglich läuft der Postbote Ferdinand 30 Kilometer durch unwegsames Gelände. Einmal stolpert er über einen sonderbar geformten Stein. Ferdinand gräbt ihn aus und steckt ihn ein. Von nun an sammelt er immer mehr Steine im Rucksack oder mit der Schubkarre. Er schichtet daraus Türme, Mauern und Brücken und vermörtelt alles. Er läuft und sammelt. Und baut immer höher.

Dann stirbt seine Tochter, später seine Frau. Ferdinand stapelt Stein auf Stein.

33 Jahre lang.

Vor seinem inneren Auge sieht Ferdinand einen idealen Palast entstehen. Andere sehen nur eine völlig überdimensionierte Kleckerburg. Ein Teil sieht aus wie ein orientalischer Tempel. Man sieht verspielte Zinnen und Tierköpfe, alles mit Kieseln verziert. Man kann sogar durch die Gänge laufen. Aber wohnen kann man nicht darin.

Ferdinand investiert seine ganze Lebenszeit und Kraft, die der liebe Gott ihm schenkt. Sein idealer Palast wird zwölf Meter hoch und 26 Meter lang. Reporter kommen und fragen, welchen Sinn das haben soll. Aber Ferdinand weiß keine Antwort.

1924 stirbt Ferdinand Cheval, sein idealer Palast wird Jahrzehnte später zum Denkmal erklärt. 100.000 Menschen besuchen ihn jedes Jahr.

Nicht alles muss einen Sinn haben. Aber manchmal ergibt das Krumme, Schiefe und Schräge einen Sinn, weil es jemand liebevoll anschaut.

Peter Herrfurth, Landesjugendpfarrer in Magdeburg


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