Angedacht, MDR, Radio, Radio-Andacht, Radio-Andachten, Radioandacht, Radioandachten,

22.09.2022
Markttag

Donnerstag war Markttag; da fuhr meine Mutter vollgepackt mit frischem Gemüse und Obst aus unserem Garten zum Markt, um die Waren feilzubieten. Für die Haushaltskasse war das die wichtigste Einnahme. Meine Eltern waren Kolchosbauern in einer rumänischen LPG. Sie erhielten keinen Lohn, sondern mussten meist bis spät in den Herbst warten, um einen Teil der Ernte zugeteilt zu bekommen. In den Sommerferien durfte ich sie oft zum Markt begleiten. Das Treiben und die Stände voller Obst faszinierten mich, die Gerüche, die Sprachenvielfalt: Ungarisch, Rumänisch, Deutsch, Romanes und auch Jiddisch. Es war spannend, wie meine Mutter mit den Käufern um den Preis feilschte: Sie pries die Ware als besonders frisch und schmackhaft an, und die Käufer fanden Druckstellen, um den Preis etwas zu senken. Dass es diesen Gemüsemarkt am Donnerstag ohne staatlich festgelegte Preise gab, ist im Nachhinein ein Wunder, denn in einer sozialistischen Planwirtschaft, war die freie Preisfindung illegal, wurde aber notgedrungen toleriert. Wenn es um kleinere Mengen ging, einigte man sich mit Worten, und meist bekam der Käufer eine kleine Tomate oder Gurke obendrauf. Wenn es um größere Mengen ging, klatschten sie ein oder zweimal in die Hand des anderen, und beim dritten Mal wurde der Preis mit Handschlag besiegelt. Der gegenseitige Respekt von Käufer und Verkäufer ist mir in Erinnerung geblieben und die faire Art der Preisfindung. Fair heißt übersetzt ‚gerecht‘, – nur wenn beide Seiten gerecht miteinander handeln, herrscht Friede in den Hütten. Und das gilt nicht nur für den Gemüsemarkt. Johann Schneider evangelischer Regionalbischof aus Halle.


Bleiben Sie mit unseren Newslettern auf dem Laufenden.

Hier Abonnieren

Die besten News per E-Mail - 1x pro Monat - Jederzeit kündbar