Ritual
Abschiede wollen gut inszeniert sein. Unsere anderthalbjährige Enkelin Malina weiß das genau.
Wenn sie mit ihrem Papa telefoniert hat, der gerade auf einer Dienstreise ist, weint sie lautstark auf. Aber mit der Hand greift sie schon nach einem Buch, das ihr jetzt unbedingt vorgelesen werden soll.
Wenn ihre Mutter sie in den Kindergarten bringt, gibt es ein herzzerreißendes Schluchzen. Doch aus den Augenwinkeln schaut Malina schon neugierig, welche Kinder da sind und ob ihre Lieblingserzieherin Dienst hat.
Wenn ich Besucher zum Bahnsteig begleite, hole ich mein großes Stofftaschentuch heraus. Ich entfalte es sorgfältig und winke, besonders zur Freude meiner Enkel, dem abfahrenden Zug mit großer Geste hinterher.
Abschiede wollen gestaltet sein. Das finde ich wichtig!
Jeder Gottesdienst endet mit einem Segen: Macht es gut, wenn ihr jetzt durch die Kirchentür hinausgeht. Seid mutig und beherzt nach dem schönen Gottesdienst und der strahlenden Musik. Gott bleibt euch nahe in euerm Alltag, in dem, was nun kommt!
Die Gottesdienstbesucher gehen und freuen sich vielleicht schon auf ihren Sonntagsbraten.
Ich falte am Bahnhof mein Taschentuch zusammen. Und denke: Schön wars, nun zurück nach Hause; dort liegen noch die ungelesene Zeitung und viele andere Dinge, die auf mich warten. Wir werden uns ja wiedersehen!
Hans-Jürgen Kant von der Evangelischen Kirche in Halle.