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23.07.2023
Schweigen verboten

Auf demselben Papier, auf dem der Lagerkommandant gerade noch die Todesurteile ausgestellt hatte, hält der Maler nun die Gesichter der im Lager Zurückgelassenen fest. Der Name des Malers ist Zinovii Tolkatchev, und er begleitet die Rote Armee in den 1940er Jahren als deren offizieller Künstler – ja, auch so was gab es.  

Tolkatchev ist auch dabei, als die Rote Armee die deutschen Vernichtungslager Majdanek und Auschwitz erreicht. Was Tolkatchev dort sieht und mit Kohlestift auf Papier bannt, das ist unerträglich: die stummen Schreie der ausgemergelten Menschen; ihre Augen, die die Hölle gesehen hatten.  

Tolkatchev zeichnet wie im Wahn, isst, trinkt, schläft fast nicht. „Ich tat, was ich tun musste“, wird er später sagen. „Ich konnte nicht anders. Mein Herz befahl es, mein Gewissen verlangte es.“ Auf dem Rand der Zeichnung notiert Tolkatchev immer wieder die kraftlos gestammelten Worte der Überlebenden: „Erinnern, nicht vergessen“, „Erinnern, nicht vergessen“! Wie kurz das Gedächtnis der Generationen ist, war offenbar schon im Moment der Befreiung allen klar.  

Heute vor 79 Jahren wurde das Vernichtungslager Majdanek von der Roten Armee befreit. Dieses Grauen fand ein Ende, eine Aufgabe aber bleibt. Elie Wiesel, Überlebender eines anderen Konzentrationslagers, formuliert sie so: „Darüber zu sprechen, ist unmöglich, darüber zu schweigen, verboten.“

Conrad Krannich, Halle


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