Stein des Anstoßes
Der Stein des Anstoßes hängt ziemlich hoch. Genau genommen etwa 30 Meter hoch. Es ist eine Steinfigur, ein Wasserspeier am Dach der Kirche in Calbe an der Saale. Durch diese Figur schießt das Regenwasser vom Dach herab.
Sie stammt aus dem Mittelalter. Jemand küsst einem Schwein den Hintern. Aber eben nicht irgendjemand, sondern diese Figur ist als jüdischer Mensch zu identifizieren. Eine so genannte Judensau.
Solche Figuren wurden vor Jahrhunderten als Spott an manchen Kirchen angebracht. Furchtbarer mittelalterlicher Antisemitismus.
Soll man diese historische Figur abschlagen? Soll man verschwinden lassen, unsichtbar machen, was unsere Geschichte ist - die Geschichte, die wir mit uns rumschleppen. So tun, als sei da nichts gewesen?
Oder soll man sie sichtbar lassen? Vielleicht mit einer erläuternden Tafel, so wie in Wittenberg auf dem Fußboden direkt darunter. Mit einem Schuldbekenntnis, mit versöhnenden Worten?
In Calbe hat man lange gestritten. Jetzt zeichnet sich eine Lösung ab: ein Künstler wird die Steinfigur mit Ölzweigen verhüllen. Die Figur ist weiterhin da - aber die Ölzweige umranken sie wie ein Kokon.
Der Ölzweig ist ein Zeichen für den Frieden. Die Friedenstaube trägt ihn im Schnabel. In einem Kokon kann Neues wachsen. Ich glaube, dieser Kompromiss bringt endlich Frieden zwischen die verhärteten Fronten des Streites.
So ist das mit Kompromissen. Sie sind eine vermittelnde Lösung. Es wird nichts abgeschlagen – aber auch nichts gelassen, wie es ist.
Ich bin froh und dankbar, dass jüdische Menschen mitgearbeitet haben an dieser Lösung. Denn nur, wenn wir miteinander reden, kann Frieden werden.
Peter Herrfurth, Landesjugendpfarrer in Magdeburg