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22.12.2022
Ich konsumiere - aber bin ich?

Er lädt die vorerst letzte Kiste in seinen SUV. Unten in der Parkgarage des Kaufhauses. Prall gefüllt. Die Packungen mit Lametta gucken noch raus.

Er macht die Hecklappe zu und wischt sich den Schweiß von der Stirn. Geschafft!

Die letzten Geschenke im Elektromarkt besorgt, die Gans abgeholt, zwei Kästen Bier und eine Kiste Wein. Und dann die Liste abgearbeitet aus dem Supermarkt. Alles drin.

Er fühlt sich lebendig.

Ich kaufe, also bin ich.

Schlecht fürs Portemonnaie, gut für die Wirtschaft.

Die will ja auch leben. Soll sie.

Er schwingt sich auf den Fahrersitzt und will schon starten, da merkt er so ein Ziehen in der Brust. Ist alles ein bisschen viel gerade. Jahresabschluss, alle Rechnungen raus, die Weihnachtskarten, die Firmenfeier, jetzt die Familienbesuche, die Geschenke, was für ein Run. Er ist eigentlich k.o. und braucht Ruhe.

Ich konsumiere – aber bin ich?

Und wenn ja – wer bin ich?

Er lehnt sich zurück und atmet erst einmal durch. Hatte ja auch der Kardiologe gesagt.

Öfter mal durchatmen. Nicht alles wollen. Spazierengehen. Was Schönes machen.

Aber dazu fehlte ihm die Zeit und der Nerv.

Ob er glücklich sei, hatte der Arzt gefragt. Glücklich? Nein, bei dem ganzen Wahnsinn?

Aus den Lautsprechern singen Kinder „Stille Nacht, Heilige Nacht“.

Grotesk!

Wobei – wenn er es recht bedenkt:

Wie er sich danach sehnt, dass es endlich still wird und heilig!

Ach, wenn die Welt doch still werden könnte. Wenn sich das Heilige zeigen darf.

Wenn wir auch nicht zu übersättigt wären, es zu sehen – das wäre ein Weihnachten!

Ulrike Greim, Weimar, Evangelische Kirche


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