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09.03.2024
Passion beklatschen

Nach einer Passion klatscht man doch nicht! Nein, natürlich nicht, alle gut erzogenen Menschen wissen das. Nur sicherheitshalber lässt ein großer Chor in Thüringen das immer wieder ins Programmheft ihrer großen Aufführungen drucken, damit es auch die beherzigen, die nicht so kulturbeflissen erzogen wurden. Nach der Passion wird nicht geklatscht. Denn da geht es um das Leiden Jesu, das ist nichts, für das man Applaus zu spenden hätte, das wäre pietätlos.

Doch da ist nun diese neue Kantorin, und die macht ja manches anders, als es sonst war. Und die sagt doch tatsächlich, dass dieser Satz dieses Jahr nicht ins Programmheft braucht. Bitte? Ja, sagt sie. Wenn den Leuten nach Applaus zumute ist – ist doch großartig! Das ist doch ein Riesenkompliment an Chor und Orchester, dass da was wirkt.

Beim Weihnachtsoratorium hatten sie das – sogar als Szenenapplaus nach dem Eingangschor, einfach, weil es die Leute von den Sitzen gehoben hat. Toll, oder?

Ja, ja, aber hier geht es um eine Passion.

Ja, genau, sagt sie. Aber da darf man auch genauer hingucken. Die Johannespassion endet doch fantastisch. Da heißt es, mit Jesu Tod werde der Himmel aufgeschlossen und die Hölle zugesperrt. Ist das nicht unglaublich? Da dürfe man absolut applaudieren.

Nun, sie lässt sich darauf ein, dass nach dem letzten Ton der Johannespassion die Glocken geläutet werden. Mag sein, alle sind berührt und andächtig und schweigen. Dann ist es gut. Mag aber auch sein, es ist ihnen durchs Herz gegangen und sie müssen etwas loswerden. Dann kommt es, wie es kommt.

Passionszeit heißt ja nicht Trauerzeit, sondern Zeit, unter all dem Gelernten und dem Richtigen die Leidenschaft wieder zu entdecken.

Ulrike Greim, Weimar, Evangelische Kirche


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