PM 47 | 15.06.2005
Bischoefe zum 8 Mai 2005

In einem Brief zum 60. Jahrestag des Kriegsendes drücken die Bischöfe Axel Noack und Christoph Kähler ihr Unverständnis darüber aus, dass der Nationalsozialismus auch heute noch auf viele Jugendliche eine Art Faszination ausübt.

„Möglicherweise geschieht das in großer Unkenntnis und Unwissenheit, aber es geschieht und wir dürfen das nicht übersehen“, heißt es in dem Schreiben an die 3.300 Gemeinden der Kirchenprovinz Sachsen und der Thüringer Landeskirche. Angesichts dieser Tatsache fordern die Bischöfe der Föderation Evangelischer Kirchen in Mitteldeutschland (EKM) dazu auf, sich stärker für die Demokratie zu engagieren. „Die Frage wird sein, ob es unserer Gesellschaft gelingt, neben der nötigen Freiheit ein ebenso großes Maß an Geborgenheit zu vermitteln. Und wir müssen uns fragen, was unsere Kirchen dazu beitragen können.“

In dem Brief drücken die Bischöfe außerdem Dank für „die große Gnade einer langen Friedenszeit“ aus. Sie erinnern an die Schrecken des totalen Krieges, dem die totale Niederlage gefolgt sei. In den vergangenen Jahrzehnten sei „viel getan worden, um von den Völkern, über die durch uns Deutsche so viel Leid gebracht worden ist, Vergebung zu erlangen. Heute sind wir nirgends mehr von ‚Feinden’ umgeben. Aber: Die Suche nach Frieden und Verständigung zwischen den Völkern ist kein ein für alle Mal abgeschlossener Vorgang. Er bedarf der ständigen Bemühung.“

Weiter heißt es in dem Brief: „Besonders betroffen sind wir bis heute darüber, dass große Teile der Bevölkerung einfach weggesehen haben, als Tausende Einwohner in Konzentrationslagern verschwanden und die damals große Gruppe der jüdischen Mitbürger bewusst und planmäßig vernichtet worden ist.“ Es bleibe wichtig, der Menschen zu erinnern, die sich damals den klaren Blick und ihr menschliches Mitgefühl bewahrt hätten.

Für den 8. Mai sind die Kirchgemeinden der EKM dazu aufgerufen, um 11 Uhr die Glocken zu läuten; dies ist zugleich Auftakt zur Aktion „Weiße Rosen“ (vgl. die PM vom 27. April 2005).

Brief an die Gemeinden der EKM

“HERR, der du bist vormals gnädig gewesen deinem Lande
und hast erlöst die Gefangenen Jakobs….” (Psalm 85,2)

Liebe Schwestern und Brüder in den Kirchengemeinden in der EKM,
zum Sonntag Exaudi, dem 8. Mai, grüßen wir Sie mit dem 85. Psalm, der uns alle an unsere Gebete in den Friedensdekaden erinnert. Wir denken heute in besonderer Weise an das Ende des 2. Weltkrieges vor 60 Jahren.

Zuerst und voller Dankbarkeit wollen wir festhalten, dass wir die große Gnade einer langen Friedenszeit erleben dürfen. Keine Generation in der deutschen Geschichte konnte auf eine 60 jährige Friedenszeit zurückblicken, wie wir das am 8. Mai 2005 tun. Dabei sollen weder die Auswirkungen des “Kalten Krieges” noch die Ängste, die mit jedem Schritt neuer Hochrüstung verbunden waren, vergessen sein. Aber die Waffen haben geschwiegen und sie schweigen auch jetzt. Der 8. Mai 2005 ist daher zuerst und vor allem ein Tag des Dankes gegen Gott.

Der 2. Weltkrieg war “total” und ein erschreckend großer Teil der deutschen Bevölkerung hat dem “totalen Krieg” jubelnd zugestimmt. Dem “totalen Krieg” folgte die totale Niederlage. Sie ging einher mit der Zerbombung vieler unserer Städte, mit Flucht und Vertreibung und unsäglichen Opfern unschuldiger Menschen. Das hat es schwer gemacht, das Kriegsende als “Befreiung” zu sehen und anzunehmen. Wir haben uns schwer getan, dem 8. Mai einen richtigen Namen zu geben. Früher war er als “Tag der Befreiung” verordnet worden und das hat uns gehindert, ein eigenes Verhältnis dazu zu finden. Der 8. Mai war für viele bestimmt keine “frohe Befreiung”, aber er war eine Befreiung aus “gottlosen Bindungen” und er war ganz sicher für viele Menschen eine ganz reale Befreiung aus der Knechtschaft.

Mittlerweile ist viel getan worden, um von den Völkern, über die durch uns Deutsche so viel Leid gebracht worden ist, Vergebung zu erlangen. Heute sind wir nirgends mehr von “Feinden” umgeben. Aber: die Suche nach Frieden und Verständigung zwischen den Völkern ist kein ein für alle mal abgeschlossener Vorgang. Er bedarf der ständigen Bemühung. Gut ist es, dass unsere jungen Leute heute so einen selbstverständlichen Austausch über die Landesgrenzen hinweg pflegen können. Lassen Sie uns mit den Geschwistern in anderen Ländern zeigen: Vom Hören auf Gottes Wort gehen Versöhnung und Frieden aus.

Was darf uns im Blick auf die Geschichte nicht ruhig werden lassen? Die meisten Menschen in Deutschland sind dem “Führer” in großer Treue gefolgt, selbst dann noch, als das Unheil über Deutschland schon hereingebrochen war. Besonders betroffen sind wir bis heute darüber, dass große Teile der Bevölkerung einfach weggesehen haben, als Tausende Einwohner in Konzentrationslagern verschwanden und die damals große Gruppe der jüdischen Mitbürger bewusst und planmäßig vernichtet worden ist. Es mag sein, dass über die eigentlichen Vernichtungslager möglicherweise viele Menschen gar nicht oder nur gerüchteweise Bescheid wussten. Dennoch: überall, in Schulen, Kinos, Zeitungen und Rundfunk war die mörderische Sprache zu hören, mit der über Juden, über Zigeuner und andere hergezogen wurde.

Es bleibt deshalb so wichtig, uns der Menschen zu erinnern, die sich damals den klaren Blick bewahrten. Es gehören viele unserer besten Schriftsteller und Künstler, etliche Wissenschaftler und – Gott sei dank – auch Theologen und Politiker, aber eben auch ganz einfache Menschen dazu, die sich trotz staatlicher Vernebelungsaktionen ihren Anstand und ihr menschliches Mitgefühl bewahren konnten. Dass wir diese Menschen heute ehren, geschieht nicht zuletzt deshalb, weil sie für die Ehre unseres Landes in dieser finsteren Zeit gestanden haben und bis heute stehen.

Heute ist besonders unverständlich, dass von dem damaligen Terrorregime immer noch eine Art Faszination auszugehen scheint und sich besonders junge Leute davon in den Bann ziehen lassen. Möglicherweise geschieht das in großer Unkenntnis und Unwissenheit, aber es geschieht und wir dürfen das nicht übersehen. Was bleiben wir den jungen Menschen heute schuldig? Oftmals erleben sie unsere, so auf ihre individuelle Freiheit bedachte Gesellschaft als kalt und herzlos. Übt etwa deshalb die Gemeinschaftsideologie des Nationalsozialismus eine solche Anziehungskraft aus? Diese Fragen sind es, die uns wachsam und nüchtern bleiben lassen müssen: Menschen sind verführbar und das gilt nicht nur für die Generation unserer Väter und Mütter. Es wäre falsch, die heutigen Gefährdungen des demokratischen Staatswesens ignorieren zu wollen. Die Frage wird sein, ob es unserer Gesellschaft gelingt, neben der nötigen Freiheit ein ebenso großes Maß an Geborgenheit zu vermitteln. Und wir müssen uns fragen, was unsere Kirchen dazu beitragen können.

Aus alledem leitet sich unser Auftrag als Kirche ab, wie ihn schon die Väter 1934 in Barmen benannt haben: “Die Kirche erinnert an Gottes Reich, an Gottes Gebot und Gerechtigkeit und damit an die Verantwortung der Regierenden und Regierten. Sie vertraut und gehorcht der Kraft des Wortes, durch das Gott alle Dinge trägt.” Gott hat uns gnädigerweise eine lange Zeit des Friedens geschenkt. Wir dürfen bei aller Kritik im Einzelnen in stabilen Verhältnissen leben. Wir nehmen diese guten Gaben Gottes dankbar an und lassen uns von ihm in Anspruch nehmen.
Gottes guter Geist verbreite Licht und Klarheit in unseren Köpfen und Herzen und lasse uns Gott zur Ehre und unserem Nächsten zum Nutzen in dieser Welt leben.

Es grüßen Euch Eure Bischöfe
Christoph Kähler und Axel Noack


Bleiben Sie mit unseren Newslettern auf dem Laufenden.

Hier Abonnieren

Die besten News per E-Mail - 1x pro Monat - Jederzeit kündbar