18.06.2018
"Freie Schulen sind deutlich unterfinanziert"

Erfurt (epd). Der Entwurf für ein neues Thüringer Bildungsgesetz stößt bei der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM) auf große Vorbehalte. Ebenso wie der Anfang Juni vom Bildungsministerium vorgelegte "Thüringenplan", der mittelfristig die Ziele der rot-rot-grünen Schulpolitik beschreibt, benachteilige das Gesetz in seiner aktuellen Form die Schulen in Freier Trägerschaft, sagte der Vorstandsvorsitzende der Diakonie Mitteldeutschland, Christoph Stolte, dem Evangelischen Pressedienst (epd).

Es entstehe der Eindruck, dass Freie Schulen nur als Anhang der Schullandschaft gesehen werden. "Zudem sind sie im Vergleich zu staatlichen Schulen durch den Freistaat Thüringen deutlich unterfinanziert", erklärte der Diakoniechef.
epd: Der Thüringer Bildungsminister hat vor wenigen Tagen sowohl den Entwurf des neuen Schulgesetzes vorgelegt als auch den Thüringenplan für die Weiterentwicklung der Schulen. Wie ist ihr erster Eindruck?
Christoph Stolte: In einem allgemeinen Schulgesetz auch die Förderschulen zu regeln, ist ein bedeutsamer Schritt zu einem inklusiven Schulsystem. Auch den Vorrang gemeinsamen Unterrichts für alle Kinder begrüßen wir sehr. So kann für viele Kinder ein sinnvoller Übergang von einer inklusiven Kindertageseinrichtung in einen gemeinsamen Unterricht erfolgen. Voraussetzung ist dabei jedoch, dass die Schulen baulich und in der Ausstattung für gemeinsamen Unterricht gut ausgestattet sind. Dazu bedarf es eines entsprechend qualifizierten Teams verschiedener Professionen an den Schulen, damit gemeinsamer Unterricht sinnhaft für alle Kinder gestaltet werden kann.
epd: Wo steht Thüringen in dieser Frage aktuell?
Stolte: Hier ist noch ein weiter Weg zu gehen. Zu Recht befürchten Lehrerinnen und Lehrer, dass es an den notwendigen Rahmenbedingungen mangelt und damit die notwendige Unterrichtsqualität nicht erreicht werden kann.
epd: Ist es wirklich sinnvoll, dass alle Kinder zusammen lernen?

Stolte: So vielfältig wie die Fähigkeiten und Möglichkeiten von Kindern sind, so vielfältig muss auch das Schulsystem sein. Förderschulen sind auch zukünftig bedeutsam, da sie für Kinder mit besonderem Förderbedarf der geeignete Lernort sind. Besonders für Kinder mit emotionalen Einschränkungen kann der gemeinsame Unterricht eine kontinuierliche Überforderung sein. Thüringen hat eine hohe Expertise im Förderschulbereich aufgebaut, die weiterhin sinnvoll eingesetzt werden muss.
epd: Wer entscheidet denn über den Lernort der Kinder?
Stolte: Bildungsminister Holter betont, dass an erster Stelle immer das Wunsch- und Wahlrecht der Eltern steht. Das unterstützen wir als Diakonie sehr. Damit Eltern ihr Recht aber auch ausüben können, bedarf es eines vielfältigen Angebotes verschiedener Schulformen. Sehr kritisch sehen wir, dass zukünftig die Erstdiagnostik eines Förderbedarfes nur noch vom Freistaat Thüringen durchgeführt werden darf.
epd: Was stört Sie daran?
Stolte: Viele Förderschulen befinden sich in Freier Trägerschaft und haben in diesem Bereich eine sehr hohe Fachkompetenz. Die soll nun dafür nicht mehr zum Einsatz kommen. Damit ist eine Tendenz der Verstaatlichung aufgezeigt, die dem Grundsatz der Subsidiarität widerspricht. Eine überzeugende Begründung, warum der Staat die Diagnostik besser kann, kenne ich nicht.
epd: Sehen Sie in diesen Plänen ein grundsätzlicheres Problem?
Stolte: In den vergangenen gut 25 Jahren wurden viele Schulen in Freier Trägerschaft aufgebaut. Diese bilden inzwischen etwa zehn Prozent der Schullandschaft in Thüringen. Aufgrund der von Eltern sehr geschätzten pädagogischen Arbeit erfreuen sich diese Schulen einer großen Beliebtheit. Im Thüringenplan werden die Freien Schulen ganz am Ende des umfassenden Papiers auf knapp drei Seiten abgehandelt, gerade einmal vor dem Abkürzungsverzeichnis.
epd: Ist das für Sie symptomatisch?
Stolte: Es entsteht der Eindruck, dass die Schulen in Freier Trägerschaft nur als Anhang der Schullandschaft gesehen werden. Zudem sind sie im Vergleich zu staatlichen Schulen durch den Freistaat Thüringen deutlich unterfinanziert. Hier wäre ein Schülerkostengutachten von unabhängigen Experten zwingend nötig, damit es zeitnah zu einer angemessenen Refinanzierung der Leistungen der Freien Schulen kommt. Der Thüringenplan würdigt die Leistungen der Freien Schulen nicht angemessen und übergeht bestehende Grundsatzprobleme.
epd: Wie gehen die Freien Schulen mit dem Lehrermangel um?
Stolte: Erfreulicherweise gibt es viele Lehrerinnen und Lehrer, die hoch motiviert eine sehr gute pädagogische Arbeit an den Schulen in Freier Trägerschaft machen. Doch die Personalknappheit ist auch hier spürbar. An dem Programm der Seiteneinsteiger des Freistaates Thüringen konnten Schulen in Freier Trägerschaft bisher nicht teilnehmen. Jetzt soll das möglich werden, aber die Kosten für die Ausbildung der Seiteneinsteiger bleiben bei den Freien Trägern hängen: Sie müssten Nachqualifizierungen selber anbieten und finanzieren. Dabei ist Lehrerausbildung Aufgabe des Landes Thüringen. Es wäre nur fair, wenn zehn Prozent der vom Land Thüringen finanzierten Qualifizierungsplätze für Seiteneinsteiger den Freien Schulen zur Verfügung ständen.
epd: Was erwarten Sie vom Bildungsminister?
Stolte: Der Thüringenplan spricht von einem vertrauensvollen und partnerschaftlichen Dialog. Der Erfolg muss sich daran messen lassen, dass die Schulen in Freier Trägerschaft in ihrer Bedeutung für die Schülerinnen und Schüler in Thüringen deutlicher gewürdigt und Tendenzen zum Abbau von Subsidiarität beendet werden. Zudem erwarten wir kontinuierliche Gespräche mit verbindlichen Ergebnissen am Tisch des Ministers, damit die bekannten Probleme nachhaltig gelöst werden können. Gemeinsam kann viel mehr für eine zukunftsfähige Schullandschaft erreicht werden.

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