17.09.2020
Geteilte Reaktionen auf Kompromiss zur Flüchtlingsaufnahme | Diakonie-Chef: "Leider spät und springt viel zu kurz"

Berlin (epd). Die von der Bundesregierung geplante Aufnahme von rund 1.550 Flüchtlingen von griechischen Inseln stößt auf geteilte Reaktionen.

Während Menschenrechtler die Zahl als zu gering kritisierten, begrüßte etwa der Deutsche Städtetag den Kompromiss, mahnte aber zugleich eine umfassendere europäische Lösung an. Die Bundesregierung hatte am Dienstag angekündigt, 1.553 Menschen von den griechischen Inseln nach Deutschland zu holen. Wie Regierungssprecher Steffen Seibert mitteilte, handelt es sich um 408 Familien, die in Griechenland bereits als Schutzberechtigte anerkannt sind.

Deutschland setze "ein gutes Zeichen, ein Zeichen der Menschlichkeit", sagte Städtetagspräsident Burkhard Jung (SPD) den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Mittwoch). Viele Städte in Deutschland würden gerne geflüchtete Familien aufnehmen. "Ich bin froh, dass sich Deutschland nach dem Brand in Moria dafür entschieden hat, allein mutig voranzugehen", erklärte der Leipziger Oberbürgermeister. "Auf die schon lange stockende Reform des europäischen Asylsystems zu warten, wäre ein Fehler gewesen." Doch diese Reform müsse dennoch endlich gelingen: "Wir brauchen eine dauerhafte und nachhaltige Lösung in Europa zum Umgang mit Flüchtlingen."

Diakonie-Präsident Ulrich Lilie kritisierte hingegen, der Beschluss der Bundesregierung "kommt leider spät und springt viel zu kurz". "Es darf kein weiteres politisches Taktieren auf dem Rücken der Menschen geben", forderte der Präsident des evangelischen Wohlfahrtsverbandes am Dienstagabend in Berlin. Deutschland trage in der laufenden EU-Ratspräsidentschaft eine besondere Verantwortung und müsse notfalls allein vorangehen, damit andere Länder nachziehen. Jetzt müsse nicht für zehn Prozent, sondern für 100 Prozent der Menschen eine Lösung gefunden werden, betonte Lilie. Tausende Mädchen und Jungen verlören in griechischen Flüchtlingslagern ihre Kindheit unter unerträglichen Bedingungen. Nach dem Brand im Camp Moria sind allein auf Lesbos rund 12.000 Menschen obdachlos, auf anderen griechischen Inseln harren Tausende weitere Flüchtlinge und Migranten in Lagern aus.

Tausende Flüchtlinge "verbleiben in menschenunwürdiger Hoffnungslosigkeit ohne Perspektive auf Schutz", protestierte die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl. "Das ist ein erbärmliches Signal für die Menschenrechte in Europa, die SPD ist eingeknickt", erklärte am Mittwoch Geschäftsführer Günter Burkhardt. "Die Bundesregierung toleriert den Menschenrechtsbruch in Griechenland."

Mit Blick auf die Koalitionseinigung kritisierte SPD-Fraktionsvorsitzender Rolf Mützenich das Zögern anderer EU-Staaten. "Das ist ganz bitter", sagte er im Interview der "radioWelt am Morgen" des Bayerischen Rundfunks. Der Parlamentarische Staatssekretär im Innenministerium, Stephan Mayer (CSU), erklärte in der "Passauer Neuen Presse", man werbe "weiterhin auf allen Ebenen und aus voller Überzeugung für weitere Willige innerhalb der EU". Der Bundesregierung sei klar, dass es mehrere "Moria" auf europäischem Boden gebe und "es ist ein Armutszeugnis, dass wir bisher für solche Fälle keine konsentierte EU-Lösung gefunden haben".

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