05.06.2025
Recherchestellen: Drastischer Anstieg antisemitischer Vorfälle

Die Lage in Nahost befeuert den Antisemitismus in Deutschland.

2024 zählte der Rechercheverband Rias mehr als 8.600 antisemitische Vorfälle - 77 Prozent mehr als 2023. Bundesbildungsministerin Karin Prien spricht von einer alarmierenden Entwicklung.

Berlin (epd). Antisemitismus ist in Deutschland neuen Daten zufolge auf dem Vormarsch. Der Bundesverband der Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus (Rias) zählte im vergangenen Jahr gut 8.600 antisemitische Vorfälle, 77 Prozent mehr als 2023, wie der am Mittwoch in Berlin vorgestellte Jahresbericht zeigt. Hintergrund seien der Hamas-Überfall auf Israel im Oktober 2023 und der danach begonnene Krieg im Gaza-Streifen, erläuterte Rias-Geschäftsführer Benjamin Steinitz: "Die Gefahr, als Jude und Jüdin in Deutschland angefeindet zu werden, hat sich seit dem 7. Oktober objektiv erhöht."

Die für 2024 ermittelte Zahl ist die bislang höchste in der 2020 begonnenen Zählung des Vereins. Rechnerisch ereigneten sich pro Tag knapp 24 Vorfälle - und es deutet sich kein Abflauen an: "Im Gegenteil, die Lage für Jüdinnen und Juden in Deutschland hat sich weiter verschärft", sagte die wissenschaftliche Referentin beim Rias, Bianca Loy. Der Verein vermutet zudem eine hohe Dunkelziffer.

In einzelnen Kategorien war die Entwicklung besonders ausgeprägt. Nie zuvor seien in einem Kalenderjahr mehr gegen Jüdinnen und Juden gerichtete Angriffe gezählt worden, sagte Steinitz: "Nie zuvor wurden uns mehr antisemitische Vorfälle auf der Straße, in Bildungseinrichtungen, an Gedenkorten oder im Internet bekannt." So verdreifachte sich fast die Zahl der Vorfälle an Hochschulen von 151 auf 450. Im Jahr 2022 waren lediglich 23 Fälle gezählt worden.

Die Meldestelle ordnet die Vorfälle, wenn möglich, einem politisch-weltanschaulichen Hintergrund zu. 2024 gelang dies in 43 Prozent der Fälle. Der größte Anteil bei den zugeordneten Vorfällen entfiel auf antiisraelischen Aktivismus mit 26 Prozent, im Vergleich zwölf Prozent im Vorjahr. Dahinter folgte ein rechtsextremer oder rechtspopulistischer Hintergrund mit sechs Prozent. Die absolute Fallzahl von 544 war in dieser Kategorie die höchste seit Beginn der bundesweiten Rias-Auswertung.

"Hass gegen Jüdinnen und Juden in Deutschland hat sich auf einem beschämenden Niveau normalisiert", sagte der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein. Bundesbildungsministerin Karin Prien (CDU) sprach von einer alarmierenden Entwicklung. "Antisemitismus ist kein Randphänomen, sondern eine reale Bedrohung für das jüdische Leben in Deutschland", sagte sie dem "Tagesspiegel" (online). "Dass jüdisches Leben in Deutschland sichtbar und sicher ist, gehört zur DNA demokratischer Politik."

Am häufigsten erlebten Jüdinnen und Juden eine Täter-Opfer-Umkehr und eine Schuldumkehr, sagte der baden-württembergische Antisemitismus-Beauftragte Michael Blume dem Evangelischen Pressedienst (epd). Sie würden dabei für die Politik der israelischen Regierung verantwortlich gemacht, obwohl sie meist gar keine israelischen Staatsbürger seien und oft selbst etwa der Kriegsführung in Gaza kritisch gegenüberstünden.

Für den Rias-Bericht wurden Vorfälle ausgewertet, die dem Bundesverband, den regionalen Meldestellen oder einer kooperierenden Organisation zugetragen wurden. Die Meldungen wurden den Angaben zufolge verifiziert und analysiert.


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