07.10.2020
Sachsen-Anhalt sichert Schutz jüdischer Einrichtungen vertraglich zu | Zentralrat der Juden kritisiert Innenminister Stahlknecht

Halle (epd). Das Land und die jüdische Gemeinschaft in Sachsen-Anhalt haben eine Zusatzvereinbarung zum 2006 geschlossenen Staatsvertrag abgeschlossen.

Sie regelt die baulich-technischen Sicherungsmaßnahmen der jüdischen Einrichtungen, deren Wartung sowie Fragen zum Wachpersonal, sagte Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) am Dienstag in Halle. Zuvor hatte er mit dem Vorsitzenden des Landesverbandes Jüdischer Gemeinden, Max Privorozki, die Vereinbarung unterzeichnet. Daneben verständigten sich beide Seiten auf den Entwurf eines neuen Staatsvertrages, der die Finanzleistungen des Landes nach 2022 absichern soll.

Dieser sei notwendig, weil die im Doppelhaushalt 2020/21 vorgesehenen finanziellen Mittel erkennbar nicht ausreichten, um alle vom Landeskriminalamt nach dem Anschlag auf die Synagoge in Halle als notwendig erachteten Investitionen in die Sicherheit der jüdischen Einrichtungen finanzieren zu können, erklärte Privorozki. Laut gültigem Staatsvertrag erhielten die jüdischen Gemeinden jährlich rund eine Million Euro aus der Landeskasse. Aus dieser Summe mussten bislang auch baulich-technische Sicherungsmaßnahmen an Synagogen und anderen Einrichtungen finanziert werden.

Die Zusatzvereinbarung soll den jüdischen Gemeinden Planungssicherheit verschaffen. Danach sind in diesem Jahr 890.000 Euro für Maßnahmen zum Schutz ihrer Einrichtungen eingeplant, erläuterte Innenminister Holger Stahlknecht (CDU). 2021 sollen es 1,5 Millionen Euro sein. Die Absicherung der Finanzierung in zwei Etappen begründete der Ministerpräsident mit haushaltsrechtlichen Überlegungen.

Über die Mittelvergabe soll eine Kommission entscheiden, zu der bisher neben Vertretern der jüdischen Gemeinschaft und des Landes auch Experten des Landeskriminalamtes zählen. Privorozki kündigte an, auch Spezialisten des Zentralrates der Juden in das Gremium einladen zu wollen.

Die Landesregierung beschloss auf ihrer auswärtigen Sitzung in Halle zudem ein "Landesprogramm für jüdisches Leben in Sachsen-Anhalt und gegen Antisemitismus". Ein Jahr nach dem Anschlag von Halle soll damit ein klares Zeichen gesetzt werden: "Jüdisches Leben in Sachsen-Anhalt hat eine reiche Tradition und es soll auch eine gute Zukunft bei uns haben", erklärte Haseloff. Zugleich mache die Landesregierung unmissverständlich klar, dass Antisemitismus in Sachsen-Anhalt keinen Platz habe und entschieden dagegen vorgegangenen werde.

Zum Programm gehören Maßnahmen zum Schutz der jüdischen Gemeinschaft und von Antisemitismus betroffenen Personen, Präventionsarbeit gegen Extremismus und die Strafverfolgung von Hasskriminalität. Schulische Demokratiebildung, Forschung, aktive Erinnerungskultur und interkulturelle Begegnungen mit den jüdischen Gemeinden zählen ebenso dazu wie die Betonung der reichhaltigen jüdischen Kultur im Land und die Freundschaft mit Israel, so der Ministerpräsident.

Sachsen-Anhalt will außerdem das Versammlungsrecht verschärfen. Es soll laut Stahlknecht um das Schutzgut der "öffentlichen Ordnung" erweitert werden. So ließen sich rassistische oder antisemitische Auftritte verhindern, die bisher eine Strafverfolgung juristisch nicht rechtfertigten, fügte der Innenminister hinzu.

Zentralrat der Juden kritisiert Innenminister Stahlknecht

Berlin/Magdeburg (epd). Der Zentralrat der Juden in Deutschland hat die Ablösung des Innenministers von Sachsen-Anhalt, Holger Stahlknecht (CDU), nahegelegt. Der Präsident des Zentralrates, Josef Schuster, kritisierte im Gespräch mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) (Montagabend, Online) Äußerungen Stahlknechts über die Bewachung jüdischer Einrichtungen und dadurch angeblich entstehende personelle Engpässe bei der Polizei. Der Minister suggeriere, Juden seien schuld daran, wenn sich die Polizei um die Belange der übrigen Bevölkerung nicht mehr angemessen kümmern könne, sagte Schuster.

"Ein Landesinnenminister scheut sich nicht, Juden als privilegiert darzustellen und sie gegen andere Bevölkerungsgruppen auszuspielen. Damit befördert er Antisemitismus. Das ist ein Armutszeugnis", sagte Schuster. Eine solche Einstellung mache den Zentralrat nach dem Anschlag von Halle am 9. Oktober 2019 und dem jüngsten antisemitischen Angriff in Hamburg fassungslos.

Stahlknecht hatte Medienberichten zufolge bei einem Besuch des Polizeireviers Dessau-Roßlau erklärt, dass die Beamten dort monatlich 1.500 Arbeitsstunden zusätzlich leisten müssten, um die Bewachung jüdischer Einrichtungen in Dessau abzusichern. Es könne deshalb sein, dass die Polizei nicht bei jeder anderen Anforderung pünktlich zur Stelle sei. Der CDU-Politiker habe wörtlich erklärt: "Diese 1.500 Stunden fehlen woanders."

Der Zentralrat hatte Stahlknecht bereits nach dem gescheiterten Angriff auf die unbewachte Synagoge in Halle scharf kritisiert. Schuster und die jüdischen Gemeinde beklagten damals, der Gemeinde sei erbetener Polizeischutz stets versagt worden.

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